Roundtable zur Börse "Kaufchancen bei Aktien erst später im Jahr“

Neun Star-Investoren, darunter Felix Zulauf, Brian Rogers und Abby Cohen, sagen unserem Partnermagazin „Barron’s“ im großen Börsen-Roundtable ihre Meinung zu den Märkten. Wie deutsche Anleger die Empfehlungen umsetzen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Felix Zulauf, Scott Black, Meryl Witmer, Bill Priest und Abby Cohen Quelle: Brad Trent

Meine Damen, meine Herren, beginnen wir mit einem Ausblick auf die Konjunktur. Mario, was erwartet uns?

Mario Gabelli: Den US-Verbrauchern geht es gut. Ihre Löhne steigen, ihre Vermögensbilanzen sind in Ordnung – selbst nach dem Kursrückgang zum Jahresstart. Unter dem Strich könnte die US-Wirtschaft zwei Prozent Wachstum schaffen.

Vita von Mario Gabelli

Mario Gabelli Quelle: Brad Trent

Wie sieht es aus in anderen Teilen der Welt?

Gabelli: In Europa hat EZB-Präsident Mario Draghi die Konjunktur stimuliert. Die Lage wird sich weiter verbessern. In China könnte der Konsum, der erst 40 Prozent zur Wirtschaftsleistung beiträgt, in den nächsten Jahren um zehn Prozent jährlich wachsen.

Der Rest der chinesischen Wirtschaft wird sich mit drei bis vier Prozent Wachstum begnügen. Für Indien und Japan bin ich optimistisch, für die meisten Länder Lateinamerikas hingegen weniger.

Die Tops und Flops der Anlage-Gurus 2015

Wie sehen Sie die Lage, Bill?

Bill Priest: Die Notenbanken haben die Bewertungen an den Börsen mit ihren Anleihekaufprogrammen in die Höhe getrieben. Doch diese Programme laufen in den USA und in Großbritannien und werden in Europa und Japan nicht mehr so stark wirken. Die Bewertungen werden von nun an stagnieren oder sinken.

Vita von Bill Priest

Bill Priest Quelle: Brad Trent

Viele Unternehmen schaffen keine Umsatzzuwächse, die Gewinnmargen stehen unter Druck. Die Inflationsrate liegt in den meisten der 34 OECD-Länder unter einem Prozent. Das stellt die Politik vor Herausforderungen.

Mit der Verlangsamung der chinesischen Konjunktur geraten Rohstoffproduzenten wie Brasilien und Australien unter Druck, ebenso die chinesischen Handelspartner im Pazifischen Raum. In Europa hat Deutschland eine schlimme Erkältung, und alle anderen dort werden das spüren.

Brian, stimmen sie zu?

Brian Rogers: Mit dem Meisten schon. Die Probleme gehen alle auf die Finanzkrise zurück.

Vita von Brian Rogers

Brian Rogers Quelle: Brad Trent

Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff schrieben in ihrem Buch „This Time Is Different“: Wenn man sich aus einer globalen Finanzkrise mit Schuldenmachen in großem Stil herauswursteln will, lässt sich nur schwer Wachstum erzielen.

Finanzkrise schwächt die Weltwirtschaft immer noch

Wann werden wir die Nachwirkungen der Finanzkrise überwunden haben?

Scott Black: Wenn die Wirtschaft wieder auf die Beine kommen soll, brauchen wir strukturelle Veränderungen. Das durchschnittliche Wachstum nach dem Krieg lag bei drei Prozent.

Zwischen 2009 und 2014 wuchsen die USA nur noch um durchschnittlich 1,4 Prozent pro Jahr.

Vita von Scott Black

Scott Black Quelle: Brad Trent

Wir brauchen umfassende Steueränderungen, damit Jobs wieder zurückkehren nach Amerika.

Wir brauchen Steuererleichterungen für Investitionen und ein großes Infrastrukturprogramm.

Jeff Gundlach: Ein gewaltiges Problem ist die Demografie. Wenn ein immer geringerer Teil der Bevölkerung arbeitet, muss die Produktivität der Arbeitenden steigen, um den Wohlstand zu halten.

In Japan geriet das Verhältnis schon vor 20 Jahren aus der Balance.

Vita von Jeff Gundlach

Jeff Gundlach Quelle: Brad Trent

China befindet sich jetzt an diesem Punkt. Italien verliert in der nächsten Generation ein Drittel seiner Arbeitskräfte. Russland steht am Rand der größten Bevölkerungsimplosion in der Weltgeschichte, wenn man von Hungersnöten, Krieg und Seuchen absieht.

Felix Zulauf: Zu unseren Lebzeiten wurde die Weltwirtschaft von drei demografischen Schüben befeuert: Erst traten die Baby-Boomer ins Arbeitsleben ein, dann wurde Osteuropa ein Teil der Weltwirtschaft und schließlich China. Das ist nun Vergangenheit. Ein weiteres Problem ist die Verschuldung.

Seit Anfang der 1980er-Jahren wurde die Weltwirtschaft von zunehmender Verschuldung getragen. Jetzt stößt die Schuldenaufnahmefähigkeit der Wirtschaftssubjekte an ihre Grenzen. Das bedeutet definitionsgemäß weniger Nachfrage. Hinzu kommt die seit 15 Jahren dramatisch zunehmende Regulierung.

Das hemmt die Wachstumskräfte, ebenso wirtschaftspolitische Ansätze, die sich seit Jahrzehnten auf die Stimulierung der Nachfrage konzentrieren. Wir können die Demografie nicht ändern, aber wir sollten die Schulden restrukturieren, Regulierung abbauen und vernünftigere politische Ansätze finden. Aber keines dieser Themen wird diskutiert oder adressiert.

Vita von Felix Zulauf

Felix Zulauf Quelle: Brad Trent

Ziemlich viel Pessimismus. Querdenker könnten annehmen, wir stünden an der Schwelle eines Booms.

Zulauf: Querdenker liegen nicht immer falsch, aber eben auch nicht immer richtig. Jeder Zyklus hat ein eigenes dominantes Thema. Im letzten Zyklus war es die US-Wohnimmobilienblase, aus der sich schließlich die globale Finanzkrise entwickelte. In diesem Zyklus ist es China.

China steckt in einer gravierenden Zahlungsbilanzkrise, deren Ursachen die meisten Fachleute nicht verstehen. Eine Zahlungsbilanzkrise endet stets mit einer Rezession. Die chinesische Währung verliert an Wert. Die einzige Möglichkeit zur Stützung wäre eine Beschränkung der Kapitalflüsse.

Die Anlageideen von Felix Zulauf für 2016

Aber das führte zu einer weiteren Blase in China, der noch massivere Probleme folgten. China wird eine Abwertung der Währung letztlich hinnehmen müssen.

Gabelli: Felix, warum lassen sie die Abwertung nicht jetzt zu?

Zulauf: Das wäre die beste Lösung, aber eine Abwertung des Renminbi um 15 bis 30 Prozent vom aktuellen Niveau aus schadet nicht nur Chinas Handelspartnern, sondern auch seinen Mitbewerbern weltweit. China ist der weltweit größte Exporteur und eines der wichtigsten Importländer.

"Wenn die Währung abwertet, landen wir in der Rezession"

Wenn die Währung massiv abwertet, brechen die Importe ein und die Preise für Exportgüter fallen. Das bedeutet für die Weltwirtschaft einen starken deflatorischen Impuls. Umsätze und Gewinne außerhalb Chinas schrumpften, Unternehmen wären zu Kostensenkungen gezwungen. Die Weltwirtschaft landete in der Rezession. Darauf steuert die ganze Situation zu.

Gundlach: Die Leute glauben, Chinas Regierung könne, nur weil es sich um ein autokratisches Regime handelt, jedes Mal, wenn ssich das Wachstum verlangsamt, auf einen Knopf drücken und schon steige das Wachstum wieder auf sieben bis acht Prozent.

Warum rühmen wir alle die Vorzüge der freien Marktwirtschaft? Holen wir uns doch einfach einen autokratischen Herrscher und lassen ihn die US-Konjunktur auf acht Prozent Wachstum jährlich ankurbeln. China wächst wesentlich langsamer als zugegeben wird.

Die Anlageideen von Jeff Gundlach für 2016

Das ist die Botschaft, die wir am Markt ablesen. Auf China entfallen fast 50 Prozent der globalen Nachfrage nach Kupfer, Stahl und Aluminium sowie 70 Prozent der Nachfrage nach Kohle. Die Rohstoffpreise fallen von Tag zu Tag. Die einzige plausible Erklärung dafür ist die schwache chinesische Nachfrage.

Meryl Witmer: Der Ölpreis ist eingebrochen, weil das Ölangebot stark ausgeweitet wurde.

Vita von Meryl Witmer

Meryl Witmer Quelle: Brad Trent

Abby Joseph Cohen: Der Trend der Rohstoffpreise zeigt seit Jahrhunderten fast immer abwärts. Dafür sorgt technologischer Fortschritt und der Aufbau von Kapazitäten. Die Risiken für die globale Konjunktur liegen nicht so sehr an den chinesischen Wirtschaftsdaten selbst.

Bedeutender sind deren psychologische Wirkung auf Portfoliomanager und Unternehmenslenker. Nur ein Prozent der Umsätze von US-Unternehmen hängt ab von China. Im Jahresverlauf werden die Anleger ein klareres Bild von der US-Konjunktur erhalten, verglichen mit anderen Volkswirtschaften.

Wir haben die bessere Demografie, wir haben unserer Finanzsystem rascher wieder in den Griff bekommen, die Konsumenten haben ihre Budgets in Ordnung gebracht – abgesehen von zu hohen Auto- und Studentenkrediten.

Ihre BIP-Prognose?

Cohen: Irgendwo zwischen zwei und zweieinhalb Prozent. Einige Negativfaktoren fallen weg. Wir hatten eine sehr starke fiskalische Bremse in den vergangenen Jahren. Dieser Faktor dreht auf neutral bis leicht positiv. Auch der Einbruch der Investitionen im Energiesektor drückte auf das Wachstum.

Vita von Abby Cohen

Abby Joseph Cohen Quelle: Brad Trent

Wenn die Investitionen nicht weiter zurückgeschraubt werden, ist der Nettoeffekt definitionsgemäß positiv. Die Gewinne der S&P 500-Unternehmen litten im Vorjahr unter Währungsverlusten und dem scharfen Verfall der Energiepreise.

Der Dollar hat seit Mitte 2014 handelsgewichtet um etwa 30 Prozent aufgewertet. Wird er weitere 30 Prozent steigen? Wahrscheinlich nicht. Auch die Erträge im Energiesektor werden kaum noch einmal im gleichen Ausmaß sinken.

"Alle Branchen profitieren von tieferen Energiepreisen"

Zulauf: Schon eigenartig. Da wird gesagt, die Gewinne des S&P 500 wären besser als berichtet, wenn man den Energiesektor ausklammere. Dabei profitieren alle anderen Branchen von tieferen Energiepreisen.

Gundlach: Das ist wie ein Portfolio-Manager, der seinen Vergleichindex verfehlt und seinem Chef erklärt: „Wenn Sie die Minusperformer ausklammern, liegen wir vorne.“

Rogers: Oder wie ein Unternehmen, das seinen Gewinn als Umsatz vor Kosten angibt.

Die Anlageideen von Brian Rogers für 2016

Priest: Die Industrieproduktion in den Industrieländern insgesamt stagniert seit 2008. Nur in den USA gab es einen Produktionszuwachs. China war der Grenzkäufer all dieser Waren, setzt jetzt aber plötzlich aus.

Zulauf: Wir haben das Ausmaß des chinesischen Investitions- und Kreditbooms wahrscheinlich immer noch nicht ganz verstanden. Es war der größte Boom in der Menschheitsgeschichte. Binnen drei Jahren verbrauchte China etwa so viel Zement, wie die USA in den vergangenen 100 Jahren.

Wenn der Renminbi um 20 Prozent fällt, wird das einen immensen deflationären Effekt auf die gesamte Welt haben und alle hier genannten Prognosen über den Haufen werfen.

Gundlach: Was ich bemerkenswert finde ist der Kontrast zwischen der Geldpolitik in den USA und Europa. Das US-Wachstum tendiert seitwärts bis leicht abwärts, das in Europa aufwärts. Doch Europa hat Negativzinsen und die EZB erwägt eine Ausweitung ihrer Anleihekäufe, während in den USA die Zinsen angehoben werden und sich die Kreditbedingungen verschärfen.

Seit 1945 hat die Fed die Zinsen 118 Mal angehoben. In 112 dieser Fälle lag das nominale BIP-Wachstum bei über 5,5 Prozent, im Durchschnitt bei 8,6 Prozent. Nur zwei Mal hat die Fed die Zinsen bei einem nominalen BIP-Wachstum von unter 4,5 Prozent angehoben, zuletzt 1982.

Diesen Schritt musste sie rasch wieder rückgängig machen. Aktuell dürfte sich das nominale BIP-Wachstum in Richtung zwei Prozent bewegen.

Oscar Schafer: Auch hat die Fed die Zinsen noch nie angehoben, wenn der ISM-Einkaufsmanagerindex unterhalb von 50 lag wie aktuell.

Vita von Oscar Schafer

Oscar Schafer Quelle: Brad Trent

Cohen: Es gibt große Unterschiede zwischen den USA und Europa. US-Finanzinstitute sind robuster aufgestellt als die europäischen. In Europa hat keine vergleichbare Bilanzsanierung stattgefunden wie in den USA. Das macht europäische Banken anfälliger gegenüber konjunkturellen Schocks, Managementfehlern und dergleichen.

Die Fed hat die Zügel etwas angezogen hat, aber keineswegs gestrafft. Die Zinsen sind weiterhin extrem niedrig. Der Zinsschritt hatte keinen Einfluss auf kreditsensitive Bereiche wie den Haus- oder Automobilsektor.

Rogers: Keine Investitionsentscheidung wird auf Eis gelegt, wenn die Kapitalkosten marginal um 0,25 Prozentpunkte steigen.

"Seit der Zinserhöhung hat sich die Lage verschlechtert"

Gundlach: Aber steigende Zinsen können die Dinge nicht besser machen. Am 17. September sah die Fed von einer Erhöhung ab mit Blick auf die global schwierigen Finanzmarktbedingungen. Wenn die Bedingungen damals zu schwierig waren, warum wird dann jetzt von gleich vier Zinsschritten in diesem Jahr gesprochen? Die Bedingungen haben sich seither verschlechtert.

Zulauf: Zentralbanker haben keine Ahnung von dem, was in der Welt passiert. Sie hatten auch keinen Schimmer, dass die Märkte so mies ins Jahr starten werden und sie verstehen auch nicht, was die Situation in China für den Rest der Welt bedeutet.

Ich bin gewiss kein Anhänger von Nullzinspolitik, aber das Timing der Zinserhöhung war völlig verfehlt. Die Fed machte das nicht aufgrund der Faktenlage, sondern weil sie das Gefühl hatte, sie sollte handeln.

Black: In den USA wurden im Vorjahr 2,5 Millionen Jobs geschaffen. Im Großen und Ganzen sieht es gut aus. In der Industrie jedoch stagnieren die Aufträge. Es gibt keine Ertragsdynamik.

Fed-Chefin Janet Yellen musste die US-Konjunktur nach der Zinserhöhung im Dezember etwas positiver darstellen. Wenn sie auf die Industrieunternehmen geschaut hätte, hätte sie gesehen, dass da einiges im Argen liegt.

Priest: Wenn Sie heute in das Kreditbüro eines Autohändlers gehen, können Sie einen Kredit mit einer Laufzeit von 78 oder 84 Monaten aufnehmen und ein Auto mitnehmen. Die Bruttoverschuldung pro Dollar Wirtschaftsleistung ist weltweit gestiegen.

Sind die Zinsen niedrig, dann lassen sich die Schulden leicht bedienen, aber das reale Wachstum wurde durch Kreditausweitung befeuert. Doch die Menschen müssen ihre Schulden zurückzahlen. Das ist ein Grund, warum die Einzelhandelsumsätze hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.

Gabelli: In der Share Economy, wo die gemeinsame Nutzung in den Vordergrund rückt gegenüber dem eigenen Besitz, muss man kein eigenes Auto mehr besitzen. Über alle Industrien hinweg ist eine Vielzahl struktureller Veränderungen im Gang.

Die Anlageideen von Mario Gabelli für 2016

Cohen: Es ist durchaus denkbar, dass die offiziellen Einzelhandelsdaten die Realität verzerren, weil viel über Online-Kanäle läuft. Möglicherweise messen wir auch Produktivität, Kapitalausgaben und das BIP nicht mehr richtig im Zuge der Digitalisierung.

"Sind die Verluste von Amazon in Wahrheit Investitionen?"

Cohen: Michael Porter von der Harvard Business School verwendet dieses Beispiel: Amazon baut sein Prime-Geschäft aus und macht damit Verlust. Aber eigentlich will Amazon neue Käufer anziehen. Haben wir es jetzt noch mit einem Verlust zu tun oder mit einer Investition im Stil des 21. Jahrhunderts? Unsere statistische Datenerhebung hat nicht nicht mitgehalten mit den strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft.

Zurück zu den Zinsen. Wo geht es hin mit den US-Renditen, Jeff?

Gundlach: Ich vermute, die Rendite zehnjähriger US-Treasuries wird steigen. Nun, wie kann ich das sagen, wenn ich mit keiner weiteren Zinserhöhung rechne, die Rohstoffpreise unten sind und Junk-Bonds in Turbulenzen stecken? Nun, die US-Renditen steigen schon seit Jahren. Zweijährige bildeten schon vor fünf Jahren einen Boden aus, die fünf- und die zehnjähren folgten im Juli 2012 aus, die 30-jährigen vor einem Jahr.

Der Grund, warum die Renditen können: Ausländische Investoren könnten ihre Bestände abbauen. Tatsächlich scheinen Verkäufe von ausländischen Zentralbanken und Staatsfonds die Nachfrage nach US-Staatsanleihen, die durch die Flucht in Qualität entsteht, inzwischen zu übertreffen.

Priest: Wie wird sich die Zinsstrukturkurve in diesem Jahr entwickeln?

Gundlach: Wenn die Fed tut, was ich erwarte, dann wird die Kurve steiler. Wenn die Fed die Geldpolitik strafft, verflacht sich die Kurve gewöhnlich. Die Finanzierungsbedingungen verschlechtern sich seit Juni 2014 und die Zinsstrukturkurve hat sich verflacht.

Priest: Für einige Finanzinstitutionen wäre eine flachere Zinsstrukturkurve der Todesstoß. Das haben wir zuletzt an den Kurseinbrüchen von Finanzwerten gesehen.

Gundlach: Weil die Fed ihre Rhetorik nicht zurückschraubt und weiter von vier Zinsschritten in diesem Jahr spricht. Wir erleben den katastrophalsten Jahresbeginn in der Geschichte und zwei Fed-Gouverneure stellen sich hin und sagen: „Wir planen vier Zinsschritte.“

Die Fed muss ihre Zinserhöhungsrhetorik zurückschrauben. Die Frage ist, wie lang sie sich damit noch Zeit lässt und wie stark Junk Bonds noch unter Druck kommen müssen. Viele Emittenten kommen aus dem Energie- und Bergbausektor. Selbst wenn der Ölpreis eine starke Rallye auf 40 Dollar je Barrel hinlegte, läuft die Zeit ab für viele Energieunternehmen. Die Ausfallraten und Ratingabstufungen werden zunehmen.

Zulauf: Es ist klar, dass die Fed die Zinsen zurück auf ein normales Niveau bringen will, aber die Umstände gestatten dies nicht. Ich setze gegen den Konsens. Die Fed wird die Zinsen nicht weiter anheben, weil die Konjunktur überraschend stark schwächelt.

Ich stimme Jeff zu: Ausländische Zentralbanken verkaufen US-Regierungstitel in großem Stil, um ihre Währungen zu stützen. Das sind nicht nur die Chinesen, sondern auch Saudis, Omanis und einige andere. Die Renditen sind nicht so stark gefallen, wie man hätte erwarten können. Das Abwärtspotenzial bei den Renditen ist wohl begrenzt.

Cohen: Der Ölpreisrückgang schwächt die Leistungsbilanzen der energieexportierenden Länder. Aber andere Länder dürften profitieren. Grob überschlagen bringen die aktuellen Energiepreise China einen Vorteil von rund 100 Milliarden Dollar bringen. Das ist kein Pappenstiel.

Zulauf: Die chinesische Leistungsbilanz weist einen Überschuss aus von etwa 300 Milliarden Dollar aus. Aber in der aktuellen Situation ist die Kapitalbilanz die kritische Größe, und die befindet sich mit rund 1000 Milliarden Dollar im Defizit.

"Der Markt kann bis zu sieben Prozent zulegen"

Was bedeutet das für den Aktienmarkt?

Black: Der S&P 500 notiert zum 16-fachen der geschätzten Gewinne. Damit sind Blue Chips, gemessen am historischen Durchschnitt, leicht überbewertet. Mid Caps und Small Caps sind teuer mit Gewinnbewertungen jenseits von 20. Das Marktumfeld verlangt eine individuelle Aktienauswahl. Aber es ist nicht einfach, attraktive Aktien zu finden.

Meryl, Ihre Einschätzung?

Witmer: Der starke Abverkauf zum Jahresauftakt hat die Bewertungen etwas nach unten gebracht. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Markt vom aktuellen Niveau aus fünf bis sieben Prozent zulegt.

Schafer: Im Vorjahr hatten wir einen verdeckten Bärenmarkt. Die Indizes haben sich zwar wenig bewegt, aber 70 Prozent der Titel im Russell 2000 befinden sich mehr als 20 Prozent unter ihren 52-Wochen-Hochs. Das gleiche gilt für 40 Prozent der Titel im S&P 500 und 68 Prozent der Aktien im Nasdaq Composite.

Die Anlageideen von Oscar Schafer für 2016

Einige Aktien, die im Kurs 30 oder 40 Prozent abgerutscht sind, bieten gute Kaufgelegenheiten. Es ist ein Markt für aktive Stockpicker.

Zulauf: Aus verdeckten Bärenmärkten werden immer reale Bärenmärkte. So beginnen Bärenmärkte gewöhnlich.

Schafer: Wir sind bereits mitten in einer Baisse, aber auch dann findet man immer auch gute Kaufgelegenheiten. Zinsen, Terrorismus, China und all die übrigen Faktoren, die wir hier diskutieren. Ich habe selten Zeiten erlebt, die von so vielen Unsicherheiten geprägt waren.

Zulauf: In Europa wächst die Kluft zwischen Euro-Anhängern und Euro-Kritikern, ebenso zwischen den Befürwortern und Gegnern einer multikulturellen Gesellschaft.

Gundlach: Felix, ich habe den Eindruck, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat das Ganze bisher zusammengehalten. Was passiert, wenn sie ihre Machtbasis verliert?

Zulauf: Sie war bisher eine große Moderatorin, beschwichtigend und vermittelnd. Aus politischen Fragen hat sie sich eher herausgehalten. Genau deshalb konnte sie sich so lange an der Macht halten. Aber jetzt rumort es in der deutschen Bevölkerung wegen des Flüchtlingszustroms.

Das bringt Merkel in die Bredouille. Sie hat an Einfluss verloren, in Deutschland und in Europa. Inzwischen kann sie die Rolle der Moderatorin auf der europäischen Bühne nicht mehr so überzeugend ausfüllen wie bisher.

Priest: Ich glaube auch, dass Merkel politisch an Popularität einbüßt. Sie hat irgendwie den Kontakt mit der Bevölkerung verloren und die Vorfälle in Köln haben den Eindruck noch verstärkt. Felix, was passiert mit dem Schengen-Abkommen? Wenn das nicht hält, wird das europäische Gebäude einstürzen.

Zulauf: Schengen ist tot. Positiv wäre natürlich, wenn sich die EU jetzt auf ihre wesentlichen Errungenschaften besänne und weniger zentralistisch würde. Das könnte das Ganze zusammenhalten. Aber wenn sich die Bürokraten in Brüssel darauf versteifen, andere Nationen in Reih und Glied zwingen zu wollen, besteht die Gefahr, dass die Eurozone zerbricht. Im Vorjahr überraschte die europäische Wirtschaft positiv – zumindest mich.

Aber wichtige Treiber werden verschwinden. Der Euro wird gegenüber dem Dollar nicht mehr stark abwerten; der Ölpreis wird nicht mehr im gleichen Tempo fallen und einige Länder haben ihre Sparpolitik bereits gelockert.

"Ein Portfolio muss mehr als drei Prozent im Jahr steigen"

Rogers: Es gibt immer besorgniserregende Entwicklungen in der Welt. Als Vermögensverwalter frage ich mich: Bringe ich ein Portfolio zusammen, dessen Wert mehr als drei Prozent im Jahr steigt? Drei Prozent ist die von mir erwartete Anleiherendite, also die Messlatte für einen Aktienanleger.

Wenn die Unternehmensgewinne um vier Prozent steigen und ich die 2,2 Prozent Dividendenrendite im S&P dazurechne, komme ich auf gut sechs Prozent Gesamtrendite. Ich nehme an, die KGVs werden in etwa gleich bleiben, weiß es aber nicht wirklich. Das Jahr wird herausfordernd, könnte aber durchaus akzeptabel werden. Auch 2015 war so schlecht nicht. Der S&P ist ein Prozent gestiegen, der Nasdaq sechs Prozent.

Zulauf: Für den Anstieg des S&P sorgte eine Handvoll Unternehmen mit extrem hohen Bewertungen. Ich rechne mit einem anhaltenden Bärenmarkt. Kaufchancen dürften sich später im Jahr ergeben. 2017 wird vielleicht ein besseres Jahr. Reden wir darüber, wenn der S&P bei 1600 Punkten steht.

Priest: Ich halte Aktien nach wie vor für attraktiver als Anleihen, aber der Anlagehorizont muss in Jahren gemessen werden, nicht in Monaten.

Trotzdem. Wo steht der Markt Ende 2016?

Priest: In etwa da, wo er heute steht, vielleicht etwas tiefer.

Cohen: Man kauft nicht den S&P als Ganzes, man investiert in einzelne Titel.

Gabelli: Wir bekommen eine Erholung und dann geht es seitwärts. Im Gesamtmarkt wird sich nicht viel tun. Aber egal ob China den Renminbi rasch oder langsam abwertet, die Unternehmen in meinem Portfolio werden von der Währungsentwicklung profitieren.

Ich rechne auch mit einer Überraschung, die den Ölpreis nach oben treibt. In den USA haben wir ein Wahljahr. Da werden Themen wie Steuerreform und Unternehmensregulierung diskutiert, ebenso die Steuervermeidungspraktiken von US-Unternehmen im Ausland. Mit Anfang 2017 sehe ich wieder gute Perspektiven.

Witmer: Wie sollte man das Problem denn angehen? Durch eine Senkung der Unternehmenssteuern?

Gabelli: Wir müssen weg von der globalen Besteuerung und die Unternehmen dort besteuern, also wo die Gewinne anfallen. Der effektive Steuersatz würde dadurch erheblich sinken. Das wird in den Prognosen für 2017 bisher nirgends berücksichtigt.

Gundlach: Die Divergenz zwischen S&P 500 und Junk Bonds gibt ein gigantisches Verkaufssignal für Aktien. Wenn Junk Bonds um 20 Prozent fallen, der S&P 500 aber auf einem Hoch verharrt, dann hängt das Bild irgendwie schief. Das ist wie offenes Krokodilmaul. Früher oder später klappt es zu.

Ihr Optimismus hält sich in Grenzen.

Gundlach: Wenn die Aktienkurse bleiben, wo sie sind, müssen Junk Bonds steigen. Wenn Junk Bonds bleiben, wo sie sind, müssen die Aktienkurse fallen.

"Ich mache einen Bogen um Anlagen in den Schwellenländern"

Cohen: Aber der Junk-Bond-Markt wird doch von Industrieunternehmen dominiert?

Gundlach: Ich bin misstrauisch, wenn ich Argumente höre, die das Schlechte weg reden wollen, damit alles andere gut aussieht. Damit überzieht man nur den faulen Kern mit einer Zuckerschicht. Der Kreditmarkt sendet ein klares Signal: Wir befinden uns in einem Kreditausfallzyklus. Junk Bonds sind seit anderthalb Jahren schwach. Kein Wunder, dass Aktien mies ins Jahr gestartet sind.

Felix, Sie haben noch nicht viel über die Schwellenländer gesagt. Ist die Lage hoffnungslos?

Zulauf: Schwellenländer sind Satelliten von China. Die Länder in Nordost-Asien sind die Subunternehmer Chinas und jene in Lateinamerika die Rohstofflieferanten. Beide Regionen leiden unter die Schwäche Chinas. Brasilien steckt praktisch in einer Depression.

Die meisten Schwellenländer stecken in Zahlungsbilanzkrisen. Die Abwertungen ihrer Währungen ist noch nicht vorbei. Ich mache einen Bogen um Währungen, Anleihen und Aktien der Schwellenländer.

Rogers: Wenn Brasilien in den Klauen einer Depression steckt, könnte das der richtige Zeitpunkt zum Kauf sein.

Zulauf: Brasilien hat bisher nichts gegen die bestehenden Probleme unternommen. Sie bekämpfen nur die Symptome. Solange sich das nicht ändert, ist der Tiefpunkt noch nicht erreicht.

Ist Argentinien über den Berg?

Zulauf: Der neue Präsident und sein Team sind hervorragend, aber sie müssen die Wirtschaft umstrukturieren. Es wird Kündigungen geben und weniger Sozialleistungen für die Bevölkerung. Und das Land muss mit den ausländischen Gläubigern klarkommen. Aber im Lauf dieses Jahres könnte Argentinien für Anleger attraktiv werden.

Cohen: Ein anderes Schwellenland, das 2016 in die andere Richtung gehen könnte, ist Indien. Das Land hat Reformen auf den Weg gebracht, zwar etwas zögerlich, aber mit den richtigen Lösungsansätzen.

Gundlach: Indien lockt mit einer Vielzahl von Positivfaktoren – so wie China vor einer Generation. Die Anzahl der Arbeitskräfte könnte immens steigen, während sie in China stagniert.

Ich weiß nicht, wohin indische Aktien in diesem Jahr gehen, aber Indien ist ein Land, in das man Geld investiert für die Ausbildung seiner Enkel.

"Donald Trump wird der nächst US-Präsident"

Zeit für einen Quiz. Die Gewinner werden nächstes Jahr gekürt. Wer wird der nächste US-Präsident?

Black: Hillary Clinton.

Gundlach: Donald Trump.

Gabelli: Trump gewinnt.

Cohen: Einer der nominierten Kandidaten gewinnt. Ich tippe auf Hillary Clinton und Paul Ryan.

Priest: Ich stimme zu, was die nominierten Kandidaten betrifft. Hillary Clinton wird das Rennen letztlich machen.

Rogers: Die Republikaner werden Chris Christie nominieren und dieser wird Hillary Clinton in einem knappen Rennen schlagen.

Schafer: Hillary Clinton wird gewinnen.

Witmer: Ich tippe auf einen Republikaner.

Felix, Sie sind kein US-Staatsbürger. Was meinen Sie, wer gewinnt?

Zulauf: Hillary Clinton wird das Rennen vermutlich machen, obwohl es ihr an Integrität fehlt. Donald Trump wäre in ein paar Punkten gut, aber extrem gefährlich für die Weltwirtschaft. Er würde das Tor der USA zur Welt schließen. Trump ist das Ergebnis der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung über das politische Establishment.

In Europa kann man ähnliche Entwicklungen beobachten. Das sind schlechte Nachrichten, weil immer mehr populistische Kräfte an die Machthebel gelangen könnten. Das machte die Welt noch unstabiler.

Gundlach: Hillary wird sehr schlecht abschneiden. Sie ist das Gegenteil von dem, was die Menschen wollen: Jemand, der es wagt, die bestehende politische und soziale Ordnung in Frage zu stellen. Das populistische Moment ist nicht zu stoppen. Wenn Trump die Nominierung schafft, wird er in den Debatten die Oberhand über Hillary gewinnen.

Zulauf: Werden die Republikaner einen Typen wie Trump nominieren?

Gundlach: Das Ergebnis wird letztlich von der geopolitischen und wirtschaftlichen Lage abhängen. Beides spricht nicht unbedingt für die Beibehaltung des Status quo.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%