Für Sam Bankman-Fried war der Auftritt am Mittwoch ganz bestimmt kein einfacher. Der Gründer der jüngst kollabierten Kryptobörse FTX sprach auf dem diesjährigen „Dealbook Summit“ der US-Zeitung „New York Times“ das erste Mal öffentlich über den Milliardenskandal und die Frage nach seiner Schuld an dem Desaster. Sein Auftritt war der Höhepunkt der Konferenz, an der auch Gäste wie Blackrock-Chef Larry Fink, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilnahmen. Schon im Vorfeld war Bankman-Frieds Auftritt kritisiert worden, weil man ihm – dem mutmaßlichen Abzocker – eine Bühne gebe. Er bekam sie dennoch.
Via Videostream schaltete sich Bankman-Fried aus seiner Wahlheimat – den Bahamas – zu. Das Live-Interview mit dem Journalisten Andrew Ross-Sorkin wirkte, als löchere ein Schuldirektor einen Klassenclown mit Dutzenden Fragen und Vorwürfen. Der FTX-Gründer sprach ruhig, gab sich nachdenklich, fast demütig. „Wir haben komplett versagt“, sagte der 30-Jährige über den Fall der einst drittgrößten Kryptobörse der Welt. Er sei schockiert, was diesen Monat passiert sei und schäme sich dafür. Aber: „Ich habe nie versucht, Betrug an jemandem zu begehen“, betonte Bankman-Fried in dem Interview.
FTX: Wissentlicher Betrug?
Das ist nämlich die große Frage im Skandal um FTX: Haben er und seine Mitstreiter sich wirklich an Kundengeldern bereichert, auf deren Kosten schicke Ferienimmobilien im Wert von 120 Millionen Dollar gekauft und den größten Kryptobetrug der letzten Jahre wissentlich orchestriert? Oder haben Bankman-Fried und Co. FTX aus Versehen gegen die Wand gefahren und damit einen Milliardenschaden erzeugt? So oder so: Der Ruf des einstigen Krypto-Revolutionärs ist zerstört.
Es ist nicht lange her, da gehörte Sam Bankman-Fried, in der Szene nur „SBF“ genannt, zur illustren Runde der reichsten Amerikaner. Zu Spitzenzeiten besaß er ein Privatvermögen von 26,5 Milliarden Dollar. Seine Kryptobörse wurde mit 32 Milliarden Dollar bewertet – mehr als die Deutsche Bank gerade auf die Börsenwaage bringt.
Zu den Geldgebern zählten der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock, Footballstar Tom Brady und Model Giselle Bündchen. Millionen Anleger verwahrten ihre Kryptowerte bei FTX. Sie alle waren überzeugt vom großen Krypto-Wunder, das Bankman-Fried glaubhaft rüberbrachte.
FTX-Chef John Ray: „Komplettes Versagen an Unternehmenskontrolle“
Das alles war einmal. Am 11. November haben FTX und zahlreiche Tochterfirmen in den USA einen Insolvenzantrag gestellt, die Übernahmepläne durch den Konkurrenten Binance waren schnell wieder verworfen. Alles deutet darauf hin, dass Kunden und Investoren ihr Geld wohl verlieren werden – und sich haben von Bankman-Fried narren ließen.
Er hat den größten Krypto-Skandal der vergangenen Jahre zu verantworten. In den Bilanzen klaffen acht Milliarden Dollar schwere Löcher. Dem Gründer wird sogar vorgeworfen, sich an den Kundengeldern bereichert und seinen ebenfalls kriselnden Hedgefonds Alameda Research mit FTX-Einlagen zu retten versucht zu haben. Vergeblich.
Diese Anschuldigungen wies Bankman-Fried am Mittwoch entschieden zurück. Die fragwürdigen Verflechtungen mit Alameda schob er auf geschäftliche Unfähigkeit. Wie viel Geld der Hedgefonds FTX schulde, darüber hätte er irgendwann keinen Überblick mehr gehabt.
Die Kredite seien zwar mit Kryptowährungen besichert gewesen. Doch die Kurse waren zuletzt stark gestürzt, insbesondere nachdem herausgekommen war, dass die Bilanzen von Unternehmen aus Bankman-Frieds Kryptoimperium mit dem hauseigenen Token FTT vollgestopft waren. Ein Token, den FTX aus dem Nichts erschaffen konnte.
Was da passiert ist, erstaunt selbst den neuen FTX-Chef John Ray, der im Zuge des Insolvenzverfahrens die Führung bei der Kryptobörse übernommen hatte. „Noch nie in meiner Karriere habe ich solch ein komplettes Versagen an Unternehmenskontrolle und so einen Mangel an vertrauenswürdigen Finanzinformationen erlebt“, sagte er jüngst. Das will etwas heißen: Der Restrukturierungsexperte wickelte vor 20 Jahren bereits die Milliarden-Pleite des Energiekonzerns Enron ab. Dass das Kontrollmanagement defizitär war, hat auch Bankman-Fried nun begriffen.
Bankman-Fried will Kunden jetzt helfen
Auch an diesem Mittwoch blieb er seinem Stil treu, die wuscheligen Haare und die schlabberigen Surfer-Klamotten sind zu seinem Markenzeichen geworden, zu einem Symbol für seine Philosophie: Er gibt sich als Anhänger des effektiven Altruismus, hält angeblich wenig von materiellem Überfluss und gurkt in einem alten Toyota Corolla durch die Gegend. Sein Ziel – so verkündete er – war es, mit Kryptowährungen so viel Geld wie möglich zu verdienen, um es zu spenden. Die Welt feierte ihn als selbstlosen Philanthropen.
Bankman-Fried, Absolvent des renommierten Massachusetts Institute of Technology und Sohn von Professoreneltern, galt lange als großer Retter in der Kryptoszene. Hunderte Millionen Dollar pumpte er zur Unterstützung in Aktien des Neobrokers Robinhood und in strauchelnde Kryptohandelsplätze. Mit 40 Millionen Dollar war er zudem der zweitgrößte Spender der US-Demokraten bei den Midterms-Wahlen – und ausgerechnet der mutmaßliche Betrüger sprach sich öffentlich für eine Regulierung von Kryptounternehmen aus.
Krypto-ABC: Die wichtigsten Begriffe verständlich erklärt
Der Fokus am Kryptomarkt liegt klar auf dem Bitcoin. Unter Altcoins versteht man Kryptowährungen, die nach der ältesten Digitalwährung erfunden wurden und eine Alternative zum Bitcoin darstellen. Beispiele dafür sind Ethereum, Cardano oder Solana.
Der Bitcoin ist nicht nur die dem Volumen nach größte, sondern auch die älteste Kryptowährung der Welt. Schon im Oktober 2008 skizzierte Satoshi Nakamoto, das Pseudonym des Bitcoin-Erfinders, in einem Whitepaper mit dem Titel „A Peer-to-Peer Electronic Cash System“, wie so eine virtuelle Währung aussehen könnte. Kurz darauf, im Januar 2009, wurden die ersten Bitcoin geschürft. Weil Nakamoto unter einem Pseudonym agierte, ist bis heute unklar, wer genau den Bitcoin ins Leben gerufen hat.
Transaktionen von Kryptowährungen werden auf der Blockchain dokumentiert. Die Blockchain ist eine öffentliche, dezentrale Datenbank. Die Informationen werden nicht auf einem einzelnen Server, sondern auf vielen tausenden Rechnern gespeichert. „Chain“ kommt aus dem Englischen und bedeutet „Kette“.
Jede Transaktion wird in einem Block gespeichert und an eine Kette der bereits vorhandenen Datensätze angehängt. Deshalb wird die Blockchain auch digitales Kassenbuch genannt. Die gespeicherten Daten können im Nachgang nicht mehr oder nur mit Zustimmung des Netzwerkes geändert werden. So soll ein fälschungssicheres Protokoll entstehen.
Ether ist hinter dem Bitcoin die zweitgrößte Kryptowährung und basiert auf der Ethereum-Blockchain. Im Vergleich zur Bitcoin-Blockchain gilt diese als moderner und leistungsfähiger und soll in Kürze auf das energiesparendere Proof-of-Stake-Verfahren umgestellt werden. Auch Smart Contracts können über Ethereum gehandelt werden. Beliebt ist die Kryptowährung auch, weil NFTs (non fungible Token) oft auf Ethereum basieren und deshalb mit Ether bezahlt werden.
Mining ist das Erzeugen (Schürfen) neuer Coins. Bei diesem Prozess stellen Miner im Fall des Bitcoin die Rechenleistung ihrer Computer zur Verfügung, um komplexe mathematische Aufgaben zu lösen. So werden Transaktionen verifiziert und auf der Blockchain gespeichert. Die Miner werden fürs Bereitstellen der Rechenleistung mit neu generierten Bitcoin belohnt.
Bei einigen anderen Kryptowährungen basiert das Mining dagegen nicht auf Rechenleistung, sondern auf den Anteilen der Netzwerk-Teilnehmer an der jeweiligen Kryptowährung (siehe Proof of Stake). In diesem Fall wird das Mining deshalb auch oft als Staking bezeichnet. Auch dafür bekommen Teilnehmer eine Prämie, also quasi eine Art Verzinsung für ihren Anteil.
Minten bezeichnet das Erstellen eines NFTs (non fungible Token). Mit dem „Prägen“ des Bildes ist in diesem Fall das Hochladen in die Blockchain gemeint.
Die Abkürzung NFT steht für non-fungible Token, also nicht austauschbare Wertmarken. NFTs sind virtuelle Güter, die über die Blockchain gehandelt werden. Oft sind es etwa digitale Bilder oder Sammelkarten. Jeder NFT ist einzigartig. Wer einen kauft, wird in der Blockchain als Eigentümer registriert und kann so beispielsweise ein Echtheitszertifikat für ein virtuelles Bild oder ein digitales Kunstwerk vorweisen.
Mit dem Proof-of-Work-Verfahren werden neue Münzen einiger Kryptowährungen wie dem Bitcoin geschaffen. Dafür stellen die Miner die Rechenleistung des Systems zur Verfügung, um komplexe Aufgaben zu lösen. Wer es zuerst schafft, die Aufgabe zu lösen, darf den Block an die Blockchain anhängen und erhält eine Belohnung in Form digitaler Münzen. Der Proof-of-Work-Ansatz gilt als besonders energieintensiv.
Einige Blockchains basieren auf dem Proof of Stake-Verfahren. Anders als bei Proof of Work werden dabei fürs Mining keine umfangreiche Hardware und große Mengen an Rechenleistung benötigt. Proof of Stake gilt daher als wesentlich energieschonender.
Statt dessen dürfen diejenigen Transaktionen und neue Coins freigeben, die einen besonders hohen Anteil an einer Kryptowährung halten. Sie werden dann Validatoren genannt. Der Prozess beruht auf einem Konsensmechanismus. Je höher der Preis, desto höher die Anzahl der Coins, um am Prozess teilzunehmen.
Smart Contracts sind virtuelle Verträge, die über die Blockchain getauscht werden. Diese treten unter bestimmten zuvor festgelegten Bedingungen selbstständig in Kraft. Insbesondere Banken und andere Finanzinstitute sehen in Smart Contracts einen großen Nutzen. Sie könnten zum Beispiel beim Börsenhandel Intermediäre – also zwischengeschaltete Stellen wie Wertpapierbroker– überflüssig machen.
Die Wallet ist eine Art digitale Geldbörse für Kryptowährungen. Sie ermöglicht es Nutzern, Kryptoguthaben zu kaufen und zu verschicken. Es gibt mehrere Arten von Wallets. Die Hardware-Wallet ist quasi ein USB-Stick, auf dem das Kryptovermögen und die Zugänge eines Nutzers gespeichert sind. Eine Paper-Wallet wird auf Papier ausgedruckt.
Dafür wird ein QR-Code generiert, den man einscannen muss, um Transaktionen zu tätigen. Eine Software-Wallet kommt ohne externe Geräte oder Papierausdrucke aus. Hier werden die Daten in einem Computerprogramm gespeichert. Nutzer dürfen ihre Zugangsdaten nicht vergessen: Sonst bliebe ihnen der Zugriff auf ihr Kryptovermögen verwehrt.
Dieses Krypto-ABC entstammt dem großen Krypto-1x1 der WirtschaftsWoche: Das vollständige Dossier finden Sie hier zum Download
Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass er jetzt in den Regulierungsbemühungen einen indirekten Grund zu sehen scheint, weshalb FTX zusammenbrach. Bankman-Fried kritisierte bei seinem Auftritt, dass sein Unternehmen zu viel Zeit und Energie darauf habe verwenden müssen, Lizenzen zu erhalten. Tausende Stunden habe er damit verbracht, eine Genehmigung für das US-Geschäft von FTX zu bekommen, ohne Erfolg. Seine Kryptobörse und FTX fokussierten sich demnach zu sehr auf ihre Außenwirkung, statt sich um Kundenanliegen zu kümmern.
Eine Einschätzung, die die rund eine Million Kunden nicht unbedingt teilen dürften. Ihnen will Bankman-Fried nun helfen: Er versuche noch immer, Investorengelder zu beschaffen, um die Firma zu retten. Fraglich, ob dabei etwas rumkommt. Gläubiger müssen sich auf eine lange Aufarbeitung des FTX-Debakels einstellen. Branchenkenner glauben, dass die mehrere Jahre dauern wird.
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