Schließfächer Abschied von der Diskretion

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Gerichtsurteil hebt die Privatsphäre auf

Bietet eine Versicherung dennoch Bargeldschutz an, tut sie das nur unter aus Kundensicht haarsträubenden Bedingungen. So verlangt ein Vertrag des Versicherers DEVK, dass die Seriennummer eines jeden Scheins „fotografisch erfasst“ wird. Schon bei einer Summe von 100 000 Euro in größtmöglicher 500er-Stückelung muss man dafür 200 Mal auf den Auslöser der Kamera drücken oder die Scheine so gekonnt auffächern, dass sie alle auf ein Bild passen.

Nicht ganz so spektakulär wie der Berliner Tunnelraub, aber mit handfesten Folgen für alle anderen Schließfachnutzer ist ein Coup, der ebenfalls in der Hauptstadt spielte, dieses Mal bei einer Sparkasse. Bewaffnet nur mit einem gefälschten finnischen Pass, mit dem er zuvor ein Schließfach zur Tarnung angemietet hatte, verschaffte sich ein Dieb in Begleitung von Helfern Zugang zum Tresorraum. Die Filialmitarbeiter ließen sie ohne Umstände passieren und – bepackt mit Beute – wieder heraus. Schließlich handelte es sich um vermeintliche Kunden. Deshalb bekam auch keiner mit, dass die „Wikinger“ in kürzester Zeit zahlreiche Schließfächer aufhebelten, sich am Inhalt bedienten und damit für immer das Weite suchten. Passiert ist das im Jahre 2009, der Prozess gegen die Bank, angestoßen von einer Kundin, die bei dem Raubzug 65.000 Euro Bargeld verlor, zog sich bis ins Jahr 2016.

Inzwischen hat das lange juristische Nachspiel Folgen für alle Banken und Schließfachnutzer. Denn das Verfahren brachte grobe Sicherheitsmängel an den Tag und endete mit Auflagen für Schließfachbetreiber (Kammergericht Berlin 26 U 18/15, rechtskräftig). „Das Berliner Urteil hat eindeutig Präzedenzcharakter“, sagt Rainer Hannich, der Geldinstitute in Sicherheitsfragen berät. Aus Sicht des Profis können Banken und Sparkassen sehr schnell in Haftung genommen werden, wenn sie die gerichtlich aufgelisteten Maßnahmen wie Pass- oder Taschenkontrollen, Videoüberwachung und Alarmanlagen nicht umsetzen. Die Folge: Die Diskretion stirbt. Kontrollen und Kameras mögen die Waffen der Sicherheit und Transparenz sein. Für die Privatsphäre dagegen sind sie Gift.

Mehr Einbrüche, weniger Bankfilialen und die EZB-Politik - Deutschland gehen aus mehreren Gründen die Schließfächer aus. Wann sich der sichere Lagerort bei der Bank lohnt und was zu beachten ist.
von Saskia Littmann

Wer Probleme mit der Versicherung oder der Bank vermeiden will, muss den Inhalt seines Schließfachs wohl oder übel dokumentieren. „Das ist eine absurde Situation“, sagt Rechtsanwalt Plassmann. Seit dem Berliner Tunneleinbruch liegen bei der Volksbank noch immer herrenlose Schmuckstücke, die von den Räubern im Chaos liegen gelassen wurden. Deren Besitzer nehmen offenbar lieber den Verlust in Kauf, als dass sie sich zu erkennen geben.

Inventarlisten oder Fotos können den Inhalt zwar plausibel machen, juristisch unangreifbar wird die Dokumentation des Schließfachinhalts nur mit notarieller Beglaubigung oder mithilfe von Zeugen. Aber wer will schon jedes Mal einen Notar mitschleppen, wenn er seinem Schließfach einen Besuch abstattet? „Diskretion – bitte Abstand halten“ steht bei manchen Banken noch auf einer Tafel im Eingangsraum. Das Schild – es gehört am besten in den Sperrmüll.

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