Herr Mobius, 2015 war ein erschütterndes Jahr für jeden Schwellenländer-Anleger. Besonders enttäuschend entwickelte sich Brasilien: Der Leitindex Bovespa verlor seit Jahresanfang 36 Prozent an Wert. Haben Sie die Hoffnung dort aufgegeben?
Mobius: Nein, das wäre fatal. Meine Anlageerfahrung in den Schwellenländern hat mich gelehrt, immer hoffnungsvoll zu bleiben. Und die beste Zeit zu investieren ist, wenn die Märkte am Boden liegen.
Zur Person
Mobius, 79, leitet von Singapur aus das Schwellenländer-Research-Team bei Franklin Templeton. Seit fast dreißig Jahren arbeitet er bei Templeton und gilt als einer der erfahrensten Schwellenländer-Experten.
Die ökonomische Realität verspricht aber keine schnelle Erholung, Brasiliens Bruttoinlandsprodukt schrumpft in diesem Jahr voraussichtlich um drei Prozent.
Natürlich dürfen Sie nicht naiv optimistisch investieren. In der letzten Zeit ging es in Brasilien nur abwärts. Aber ich gehe davon aus, dass die gravierenden Korruptionsfälle in diesem Jahr...
... wie beim größten Staatskonzern Petrobras, in den auch hochrangige Politiker verstrickt sein sollen...
... im nächsten Jahr für höhere Transparenz in den Unternehmen sorgen wird. Die Politik dürfte bemerkt haben, dass sie nicht mehr unbeobachtet zu ihrem eigenen Vorteil agieren kann. Und was die Aktienkurse angeht: Ich glaube nicht, dass sie noch viel tiefer fallen werden.
Also wetten Sie auf einen Anstieg in Brasilien im nächsten Jahr?
Oh ja. Davon können sie ausgehen. Die Erholungsrally könnte aber auch erst 2017 starten - wir sind geduldig.
Was stimmt Sie so optimistisch? Andere Fondsmanager meiden Brasilien bereits.
Jetzt Brasilien ganz zu meiden wäre ein fataler Fehler. Wir dürfen die Olympischen Spiele im kommenden Jahr in Rio nicht vergessen. Ich denke, dass sie einen größeren Schub geben werden, als viele vermuten.
Die Erwartung ist aber gleich Null. Denn auch die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 hat Brasilien kaum Wachstum beschert, das Bruttoinlandsprodukt stieg im Jahr der WM nur um 0,2 Prozent.
Ich glaube daran, dass der Konsumsektor in Brasilien deutlich von den Olympischen Spielen profitieren wird. Dieses Szenario decken wir in unseren Schwellenländer-Fonds derzeit etwa mit der Kaufhauskette Lojas Americanas ab.
"Wichtige Übergangsphase in China"
Die Investmentbank Goldman Sachs hat im Oktober ihren BRIC-Fonds geschlossen, der sich nur auf Investments in Brasilien, Russland, Indien und China fokussierte. Ist die Sonderrolle der vier Wachstumstreiber vorbei?
Nein, das glaube ich nicht. Das Konzept, einen Teil des investierbaren Vermögens in die BRICs zu stecken, halte ich weiterhin für sinnvoll. Auch wenn Russland und Brasilien in letzter Zeit enttäuscht haben, sind es weiterhin die wichtigsten Volkswirtschaften abseits der Industriestaaten. Wir halten fast 20 Prozent unserer Fondsvolumina allein in China.
Auch dort schwächt sich das Wachstum ab, im letzten Jahr sank der BIP-Zuwachs um 0,5 Prozent auf 6,9 Prozent. Auch für das kommende Jahr wird ein weiterer Rückgang um 0,5 Prozent erwartet.
Sicherlich, die Zeiten von zweistelligen Wachstumsraten sind vorbei. Aber in absoluten Zahlen betrachtet ist das Wachstum viel größer als noch vor zehn Jahren. Die chinesische Wirtschaft befindet sich gerade in einer enorm wichtigen Übergangsphase. Zwischen den wichtigen Städten existieren Hochgeschwindigkeitsstrecken für Züge. Die Infrastruktur wurde weitgehend fertiggestellt. Jetzt entwickelt sich die Konsumgesellschaft.
Welche Unternehmen finden Sie interessant?
Auf dem Automobilmarkt etwa Brilliance China Automotive Holdings. Die haben einen ähnlich guten Ruf wie internationale Hersteller.
Ansonsten legen wir gerade in China einen Fokus auf kleinere Börsenkonzerne. Denn bislang finden wir keine Großkonzerne, mit denen wir das starke Wachstum, das wir für die Konsumgüterbranche erwarten, auffangen könnten.
Sie haben keine Angst vor einem erneuten Kurseinbruch an den chinesischen Börsen, so wie zuletzt im Sommer?
Natürlich werden die Kurse in China weiter starken Schwankungen unterliegen, die hohe Volatilität lässt sich nicht weg reden. Aber Nach der Korrektur empfinden wir die Preise gerade als attraktiv.
"Aktien dürften noch günstiger werden"
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis der Schwellenländer-Aktien liegt im Schnitt bei rund 10,5. Das ist deutlich günstiger als Aktien auf den entwickelten Märkten, die zurzeit bei einem KGV von 14 liegen.
Und für das kommende Jahr erwarte ich, dass die Aktien in den Schwellenländern noch günstiger werden, weil die Unternehmensgewinne deutlich steigen dürften.
Führen Sie das auf die niedrigen Rohstoffpreise zurück?
Das gilt natürlich nicht für alle Staaten. Aber nehmen wir Indien, wo ich gerade Unternehmen besuche: Das Land profitiert davon massiv als einer der größten Rohstoffimporteure weltweit. In den Raffinerien etwa sinken durch den niedrigen Ölpreis die Produktionskosten. Dort wird momentan eine Menge Geld verdient.
Halten Sie es für nachhaltig, sich allein auf den niedrigen Ölpreis zu stützen?
Ich sehe da keine Schwierigkeiten auf die Konzerne zukommen. Wir werden im nächsten Jahr sicherlich eine Erholung des Ölpreises sehen. Aber eher einen langsamen Anstieg, keinen Sprung um 50 Prozent nach oben. Denn durch den technologischen Fortschritt sollten die Kosten für die Förderung von Öl und Gas weiter gedrückt werden können.
Welche Branchen finden Sie in den Schwellenländern für das kommende Jahr besonders attraktiv?
Wie schon gesagt setzen wir auf stark steigende Konsumnachfrage. Ein spannendes Thema ist zum Beispiel der Absatz von Flaschenbier, von dem AB Inbev in den Schwellenländern profitieren sollte. Gerade in Asien dominieren Technologie-Konzerne natürlich den Absatzmarkt. Aber auch die Bankbranche finden ich spannend.
Ein riskanter Sektor. Die Schuldenquote der Unternehmen und Privathaushalte in Ländern wie China hat enorm zugenommen.
Die großen Banken in China gehören alle dem Staat, dort halten wir das Risiko einer Pleitewelle für überschaubar. In Indien werden die Banken konservativ gemanagt, da habe ich absolutes Vertrauen. Aber es stimmt, gerade bei kleinen Banken ist das Risiko natürlich hoch.
Die US-Zentralbank Federal Reserve dürfte kurz vor ihrem ersten Zinsanstieg seit sieben Jahren stehen. Sehen wir dann den nächsten Rücksetzer in den Schwellenländern?
Dieser mögliche Zinsschritt schüchtert alle Investoren weltweit ein und sorgt für große Unsicherheit im Markt. Deshalb flüchten alle in den vermeintlich sicheren Dollar. Ich gehe von einem minimalen Zinsanstieg im Dezember aus, der in den Aktienmärkten der Schwellenländer auch schon eingepreist ist. Deshalb sollte er für keine großen Turbulenzen mehr sorgen. Die Zinsen in den USA liegen schließlich weiterhin auf einem historisch niedrigen Niveau. Die Erhöhung wird keinen Investor mehr überraschen.