Sind Sparer schuld am Zinstief? Die Mär von der weltweiten Sparflut

Einige renommierte Ökonomen behaupten, nicht die Notenbanken seien Schuld an den rekordtiefen Zinsen, sondern die Sparer selbst. Sind Notenbanken Opfer oder Verantwortliche der Misere? Eine Studie gibt die Antwort.

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Quelle: Getty Images

Es gibt wohl keinen Sparer, der sich nicht über die Minizinsen ärgert, die ihm die Banken seit Jahren für sein Erspartes gutschreiben. Selbst wer sein Geld in Bundesanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren steckt, erhält derzeit kaum mehr als ein halbes Prozent Zinsen pro Jahr. Doch wer trägt die Schuld an den Bonsai-Zinsen?

Die Zentralbanker, werden die meisten Zeitgenossen wohl sagen. Denn die Währungshüter haben die Geldbeschaffungskosten im Zuge der Finanzkrise nach unten geschleust, um einen Kollaps der Weltwirtschaft zu verhindern.

Die Notenbanker sehen das jedoch anders - und weisen jede Verantwortung für die Niedrigzinsen von sich. Unterstützt von renommierten Ökonomen wie dem ehemaligen US-Finanzminister Larry Summers und dem deutschen Ökonomieprofessor Carl Christian von Weizsäcker behaupten sie, ein weltweiter Überschuss an Ersparnissen über die Investitionen habe die langfristigen Zinsen nach unten gedrückt. Dahinter steckt die neoklassische Vorstellung, dass sich der Zins durch das Zusammenspiel von Kapitalangebot (Ersparnis) und Kapitalnachfrage (Investitionen) bildet. Den Grund für die schwache Nachfrage nach Kapital sehen Summers und Weizsäcker in dem lahmenden Wachstum der Produktivität (säkulare Stagnation) und dem nachlassenden Wachstum der Bevölkerung. Beides bremse die Investitionsbereitschaft der Unternehmen.

So gehen die Deutschen mit Geld um
Die Deutschen gelten als fleißige Sparer. Doch die Statistik sagt etwas anderes. 30 Prozent der Deutschen haben gar nichts auf der hohen Kante. 19 Prozent wollten sich nicht dazu äußern. Elf Prozent besitzen bis zu 2.500 Euro. Nur ein Prozent besitzt mehr als 500.000 Euro an Geldvermögen.Quelle: Das Buch „Wie wir Deutschen ticken“, erschienen im Edel Verlag und basiert auf repräsentativen Umfragen des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Quelle: dpa
Die Einstellung der Deutschen zur Aktie ist bekanntlich eher skeptisch. 16 Prozent aller Männer und sieben Prozent aller Frauen besitzen Aktien. Zum Vergleich: In den USA legen 56 Prozent der Bevölkerung ihr Geld in Aktien an. Der Aktienbesitz ist auch von der Bildung und dem Einkommen abhängig: Wer mehr als 3.000 Euro im Monat verdient, hat eher Aktien (23 Prozent). Wer weniger als 3.000 Euro verdient kommt noch auf elf Prozent Aktien. Wer Abitur hat, besitzt auch öfter Aktien (18 Prozent) als ein Hauptschulabsolvent (sechs Prozent). Quelle: dpa
40 Prozent aller Deutschen besitzen kein nennenswertes Vermögen. Beliebtester Besitz ist mit 32 Prozent das Sparbuch, dahinter kommt mit 27 Prozent das Auto bzw. Möbel. 23 Prozent der Deutschen besitzen Immobilien und nur sechs Prozent verfügen über Gold. Quelle: dpa
Die Mehrheit der Deutschen scheint den Artikel aus dem Grundgesetz „Eigentum verpflichtet“ nicht zu mögen. 52 Prozent wünschen sich, dass ein Unternehmer mit seiner Firma tun kann, was er will. Beim geliebten Eigenheim ist dies noch deutlicher: 74 Prozent wollen, dass ein Grundstückseigentümer mit seinem Grundstück machen kann, was er will. Nur 33 Prozent äußerten sich für eine Zwangsvermietung einer leeren Immobilie durch den Staat. Quelle: dpa
Bei der Beziehung zum Geld sind die Deutschen innerlich gespalten. Die Moral und die Gier geben sich die Hand – wohl ohne, dass es die Befragten merkten. So sagten 75 Prozent der Deutschen: „Bei uns werden Menschen zu sehr über ihren Besitz definiert.“ Besitz wird also überbewertet. An anderer Stelle sagten jedoch 77 Prozent: „Es ist mir wichtig, einen gewissen Wohlstand zu haben.“ Sprich: Wenn die anderen Geld lieben, ist das schlecht. Wenn ich selbst Geld habe, dann ist es kein Problem. Quelle: dpa
Geld macht nicht glücklich, so lautet eine abgedroschene Lebensweisheit. Die Mehrheit der Deutschen schließt sich ihr an. „Nur“ 36 Prozent sagten, dass sie glücklicher wären, wenn sie mehr Geld hätten. Quelle: dpa
Beim Thema Geld sind die Deutschen sehr misstrauisch. Oder selbstbewusst. Oder beides. Jedenfalls gaben 76 Prozent an, dass sie sich bei finanziellen Entscheidungen auf ihr eigenes Wissen verlassen. Auf Platz zwei landen Freunde und Verwandte mit 28 Prozent, dicht gefolgt vom Bankberater mit 23 Prozent. Nur zehn Prozent vertrauen einem unabhängigen Finanzberater und neun Prozent den Finanztipps in der Presse. Quelle: gms

Auf der anderen Seite legten die Menschen in den alternden Industrieländern immer mehr Geld auf die hohe Kante, um davon im Alter ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Das habe eine Sparflut ausgelöst, die die Zinsen nach unten gedrückt habe, so die These der Neoklassiker. Die Geldpolitik habe sich den Kräften des Marktes nicht entziehen können. Daher sei den Zentralbankern nichts anderes übrig geblieben als die Geldbeschaffungskosten an die niedrigen Marktzinsen anzupassen.  Summers, Weizsäcker und Co. nehmen die Notenbanker damit aus der Schusslinie der Kritiker. Folgt man ihrer Argumentation, sind die Notenbanker nicht die Verursacher für die Niedrigzinsen, sondern Getriebene der Märkte.  

Eine aktuelle Studie des Flossbach von Storch Research Institutes entlarvt diese Theorie jedoch als wirtschaftspolitisches Ammenmärchen. Die Autoren der Studie, die Ökonomen Agnieszka Gehringer und Thomas Mayer, werfen den neoklassischen Mainstream-Ökonomen vor, eine naive Vorstellung von der Rolle der Banken zu hegen. „Anders als in den meisten Lehrbüchern kolportiert, finanzieren die Banken ihre Kredite nicht durch die Einlagen der Sparer, sondern schöpfen diese aus dem Nichts“, sagt Thomas Mayer.

 

Die Folge: Statt Ersparnisse und Investitionen ins Gleichgewicht zu bringen, erzeugt die Kreditvergabe der Banken Ungleichgewichte, die zu gefährlichen Boom-Bust-Zyklen führen. Die Ökonomen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, allen voran Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek, haben dies schon vor Jahrzehnten erkannt – und auf Basis ihrer Erkenntnisse eine Konjunkturtheorie entwickelt. Senkt die Zentralbank den Zins, so können sich die Banken billiger als zuvor bei der Notenbank refinanzieren. Die niedrigeren Geldbeschaffungskosten geben sie an ihre Kreditnehmer weiter. Das kurbelt die Kreditvergabe an und drückt den Marktzins unter den natürlichen Zins, bei dem alle Investitionen durch Ersparnisse gedeckt sind. Die niedrigen Zinsen lassen Investitionsprojekte rentabel erscheinen, die es bei genauerem Hinsehen gar nicht sind. Es entsteht ein Boom, der mit Fehlinvestitionen gespickt ist.

Ausnahme Japan

Zugleich schmälern die niedrigen Zinsen die Sparbereitschaft der Bürger. Statt Geld auf die hohe Kante zu legen, stürmen sie die Einkaufszentren. Konsumenten und Investoren konkurrieren dadurch um knappe Ressourcen wie Arbeitskräfte, Vorprodukte und Rohstoffe. Das verzögert die Investitionsprojekte und führt dazu, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Die Unternehmen sind gezwungen, die Investitionsprojekte abzublasen und Arbeitsplätze zu streichen. Auf den Boom folgt der Bust. Die Niedrigzinsen sind dieser Theorie zufolge nicht das Resultat eines Überangebots an Ersparnissen, sondern die Folge einer expansiven Geldpolitik und der dadurch ausgelösten Kreditschwemme.

Mayer und Gehringer zeigen anhand der Zinsentwicklung in den USA, Deutschland, Großbritannien und Japan in den vergangenen 25 Jahren, dass die Zinserklärung der Österreichischen Schule nicht nur die Logik, sondern auch die Empirie auf ihrer Seite hat. So finden die Autoren mit ihren ökonometrischen Berechnungen keine Belege dafür, dass die langfristigen Kapitalmarktzinsen die Zinssetzung der Zentralbanken beeinflussen. Lediglich für Japan lässt sich dies nicht eindeutig widerlegen. Die Autoren führen das darauf zurück, dass Japan in den Achtzigerjahren einen Boom-Bust-Zyklus erlebt habe, in dessen Gefolge die Geldpolitik quasi gelähmt sei.

So sparen die Deutschen
65 Prozent aller Westdeutschen sparen regelmäßig, im Osten sind es dagegen nur 56 Prozent Quelle: dpa
56 Prozent aller alleinstehenden Deutschen sparen regelmäßig Quelle: dpa
Die finanzielle Bildung hängt offenbar nicht mit der schulischen Bildung zusammen Quelle: dpa
Die Sparsituation hängt in Deutschland stark von der beruflichen Situation ab Quelle: dpa
Wer mehr verdient, der spart auch mehr Quelle: dpa
Wo wird fleißiger gespart: In Großstädten oder auf dem Land? Quelle: dpa/dpaweb
Bei den Bundesländern ist Bayern das Land der Sparer Quelle: dpa

Hingegen zeigen Mayer und Gehringer, dass es einen eindeutigen und signifikanten Einfluss der Leitzinsen auf die langfristigen Kapitalmarktzinsen gibt. Besonders ausgeprägt ist der Zusammenhang in den USA. Dort führte im Untersuchungszeitraum eine Änderung der kurzfristigen Geldbeschaffungskosten um einen Prozentpunkt im Schnitt zu einer Änderung der langfristigen Zinsen um 0,56 Prozentpunkte. In Deutschland, Großbritannien und Japan ist der Einfluss nicht ganz so groß. Dort trieb im Untersuchungszeitraum ein Anstieg der Geldbeschaffungskosten um einen Prozentpunkt die Langfristzinsen im Schnitt um rund 0,2 Prozentpunkt nach oben.

Zudem finden Mayer und Gehringer keine Belege dafür, dass die Alterung der Bevölkerung - wie von Summers und Weizsäcker behauptet -  eine Sparflut ausgelöst und so die Zinsen nach unten gedrückt habe. Im Gegenteil. In den USA und Japan hat die Alterung der Bevölkerung die langfristigen Zinsen nach oben getrieben. Das heißt, die Menschen weisen eine mit zunehmendem Alter steigende Zeitpräferenz auf. Da sich ihr Leben dem Ende zuneigt, konsumieren sie lieber heute als morgen. Sie sparen also weniger, was den Zins steigen lässt. 

Insgesamt kommen Mayer und Gehringer zu dem Urteil, dass die neoklassische Erklärung für die Niedrigzinsen „weder durch die institutionelle Realität des Kreditmarkts noch durch die Daten gedeckt ist“. Mit anderen Worten: Nicht die Sparflut, sondern die Zentralbanker mit ihrer Zinsdrückerei haben die langfristigen Zinsen am Kapitalmarkt auf Talfahrt geschickt. Für die Sparer bleiben die niedrigen Renditen ein Ärgernis. Doch haben sie nun zumindest Klarheit, an wen sie ihre Protestnoten richten sollten: An die Zentralbanker in Frankfurt, Washington, London und Tokio.

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