
Es gibt wohl keinen Sparer, der sich nicht über die Minizinsen ärgert, die ihm die Banken seit Jahren für sein Erspartes gutschreiben. Selbst wer sein Geld in Bundesanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren steckt, erhält derzeit kaum mehr als ein halbes Prozent Zinsen pro Jahr. Doch wer trägt die Schuld an den Bonsai-Zinsen?
Die Zentralbanker, werden die meisten Zeitgenossen wohl sagen. Denn die Währungshüter haben die Geldbeschaffungskosten im Zuge der Finanzkrise nach unten geschleust, um einen Kollaps der Weltwirtschaft zu verhindern.
Die Notenbanker sehen das jedoch anders - und weisen jede Verantwortung für die Niedrigzinsen von sich. Unterstützt von renommierten Ökonomen wie dem ehemaligen US-Finanzminister Larry Summers und dem deutschen Ökonomieprofessor Carl Christian von Weizsäcker behaupten sie, ein weltweiter Überschuss an Ersparnissen über die Investitionen habe die langfristigen Zinsen nach unten gedrückt. Dahinter steckt die neoklassische Vorstellung, dass sich der Zins durch das Zusammenspiel von Kapitalangebot (Ersparnis) und Kapitalnachfrage (Investitionen) bildet. Den Grund für die schwache Nachfrage nach Kapital sehen Summers und Weizsäcker in dem lahmenden Wachstum der Produktivität (säkulare Stagnation) und dem nachlassenden Wachstum der Bevölkerung. Beides bremse die Investitionsbereitschaft der Unternehmen.





Auf der anderen Seite legten die Menschen in den alternden Industrieländern immer mehr Geld auf die hohe Kante, um davon im Alter ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Das habe eine Sparflut ausgelöst, die die Zinsen nach unten gedrückt habe, so die These der Neoklassiker. Die Geldpolitik habe sich den Kräften des Marktes nicht entziehen können. Daher sei den Zentralbankern nichts anderes übrig geblieben als die Geldbeschaffungskosten an die niedrigen Marktzinsen anzupassen. Summers, Weizsäcker und Co. nehmen die Notenbanker damit aus der Schusslinie der Kritiker. Folgt man ihrer Argumentation, sind die Notenbanker nicht die Verursacher für die Niedrigzinsen, sondern Getriebene der Märkte.
Eine aktuelle Studie des Flossbach von Storch Research Institutes entlarvt diese Theorie jedoch als wirtschaftspolitisches Ammenmärchen. Die Autoren der Studie, die Ökonomen Agnieszka Gehringer und Thomas Mayer, werfen den neoklassischen Mainstream-Ökonomen vor, eine naive Vorstellung von der Rolle der Banken zu hegen. „Anders als in den meisten Lehrbüchern kolportiert, finanzieren die Banken ihre Kredite nicht durch die Einlagen der Sparer, sondern schöpfen diese aus dem Nichts“, sagt Thomas Mayer.
Die Folge: Statt Ersparnisse und Investitionen ins Gleichgewicht zu bringen, erzeugt die Kreditvergabe der Banken Ungleichgewichte, die zu gefährlichen Boom-Bust-Zyklen führen. Die Ökonomen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, allen voran Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek, haben dies schon vor Jahrzehnten erkannt – und auf Basis ihrer Erkenntnisse eine Konjunkturtheorie entwickelt. Senkt die Zentralbank den Zins, so können sich die Banken billiger als zuvor bei der Notenbank refinanzieren. Die niedrigeren Geldbeschaffungskosten geben sie an ihre Kreditnehmer weiter. Das kurbelt die Kreditvergabe an und drückt den Marktzins unter den natürlichen Zins, bei dem alle Investitionen durch Ersparnisse gedeckt sind. Die niedrigen Zinsen lassen Investitionsprojekte rentabel erscheinen, die es bei genauerem Hinsehen gar nicht sind. Es entsteht ein Boom, der mit Fehlinvestitionen gespickt ist.