Hermann Klughardt tritt gegen einen mächtigen Gegner an. Im Namen von 4300 Privatanlegern lässt der Geschäftsführer des Fondsanbieters Voigt & Collegen in Düsseldorf derzeit eine Schadensersatzklage gegen den spanischen Staat vorbereiten. „Wir haben bereits einen Prozesskostenfinanzierer engagiert“, sagt er. Derzeit berechne ein Gutachter die Schadenshöhe.
Der Solarpark Badajoz in der Nähe von Córdoba, in den die Voigt-Anleger investiert haben, produziert zwar auf Hochtouren Solarstrom – liefert aber trotzdem „30 bis 40 Prozent weniger Einnahmen als geplant“, sagt Klughardt. Die Anleger, von denen jeder mindestens 10.000 Euro investiert hat, kassieren deshalb statt erhoffter sieben Prozent Gewinn pro Jahr derzeit keinen Cent.
Der Grund: Die verschuldete spanische Regierung hat die Einspeisevergütungen für Solarstrom seit Ende 2010 schrittweise drastisch gekürzt, weil die ursprünglichen Zusagen zu einem jährlichen Defizit von vier Milliarden Euro geführt hätten. „Spanien hat ausländische Investoren ins Land gelockt und Zusagen dann kurzerhand einkassiert“, sagt Klughardt. Es sei „absolut nicht hinnehmbar“, dass spanische Politiker sich über ihre eigenen Gesetze hinwegsetzten.
Die Mär vom gierigen Investor
Dutzende Investoren sehen das ähnlich, derzeit rollt eine Klagewelle gegen Spanien. Neben Fondsanbietern wie Voigt & Collegen und MPC Capital in Hamburg fordern auch Energiekonzerne wie Steag und RWE Innogy Schadensersatz. Aber wie stehen ihre Chancen? Und wie verklagt man einen Staat?
Genau: per Schiedsverfahren. Das ist jenes Instrument, das derzeit im Rahmen von TTIP für heftigen Streit sorgt. Denn das transatlantische Freihandelsabkommen soll es US-Investoren ermöglichen, gegen politische Entscheidungen in der EU zu klagen – und umgekehrt. Und zwar nicht etwa vor staatlichen Gerichten, sondern vor einem privaten Schiedsgremium. Globalisierungskritiker brandmarken Schiedsverfahren deshalb als undemokratisch und eines Rechtsstaates unwürdig – und verweisen beispielsweise auf Vattenfall. Der Energiekonzern hat Deutschland vor einem Schiedsgericht verklagt, weil er seine Atommeiler stilllegen muss.
Strahlende Zukunft
2 Cent kostet die Kilowattstunde Solarstrom aus dem Akku im Jahr 2020. 13 Cent sind es heute.
Bis 2035 sollen weltweit Anlagen im Wert von 4,4 Billionen Euro aufgestellt sein. Heute haben alle erichteten Anlagen einen Wert von 0,8 Billionen.
Quelle: Deutsche Bank
Investoren als Staatsfeinde? So einfach ist es nicht immer, wie der Fall Spanien zeigt. „Wenn Staaten Zusagen nicht einhalten, müssen Investoren die Möglichkeit haben, dagegen vorzugehen“, sagt Klughardt. Unter den klagenden Solaranlegern sind zahlreiche Privatanleger, die gezielt nach einer sinnvollen Geldanlage gesucht haben – und nicht ins Bild des gierigen Investors passen, der einem Staat auf Kosten seiner Bürger Geld abpressen will.
Die Gemengelage führt deshalb zu interessanten Perspektivwechseln. „Als ich vor Anlegern unsere Pläne erläutert habe, kam hinterher einer zu mir und sagte: Letzte Woche habe ich noch gegen TTIP demonstriert“, sagt der Manager einer Fondsgesellschaft.
Der Anleger dürfte trotzdem froh sein, dass sein Ansinnen vor einem Schiedsgericht verhandelt wird. „Normale Gerichte, deren Richter vom Staat bezahlt werden, sind in solchen Fällen weniger neutral“, sagt Jan Schäfer, Experte für Schiedsverfahren der Kanzlei King & Spalding in Frankfurt.
Das "Kingdom of Spain"
Schäfer und sein Team betreuen mehrere Verfahren gegen Spanien – darunter eine Sammelklage deutscher Privatanleger, die Solarparks finanziert haben. Sie ist seit Juni beim Schiedsgericht der Weltbank (International Center for Settlement of Investment Disputes, ICSID) registriert – eine von rund 20 gegen das „Kingdom of Spain“. Klage eingereicht haben neben Steag und RWE Innogy auch die kommunalen Stromerzeuger Stadtwerke München und RheinEnergie aus Köln, weil sie sich beim Solarkraftwerk Andasol 3 in der spanischen Provinz Granada geprellt sehen. Weitere Klagen werden folgen, etwa die von Voigt.
Sämtliche Kläger berufen sich auf den „Energiecharta-Vertrag“ aus dem Jahr 1994, den rund 40 Staaten – darunter auch Spanien – unterzeichnet haben. Das Regelwerk stellt ausländische Investitionen im Energiesektor unter besonderen Schutz.
Gutachterschlacht steht bevor
In den meisten Verfahren läuft aktuell die Auswahl des Schiedsgerichts: Beide Parteien dürfen ein Mitglied benennen. „Die beiden einigen sich dann meist gemeinsam auf den dritten Schiedsrichter, dessen Stimme im Zweifel den Ausschlag gibt“, erläutert Schäfer, der damit rechnet, dass bis zu einem Schiedsspruch zwei bis drei Jahre ins Land gehen.
Investoren müssen also einen langen Atem haben. Aber ihre Chancen stehen offenbar gut. Die rückwirkende Kürzung sei ein klarer Rechtsbruch, sagen Juristen; die spannende Frage sei eher, wie hoch der Schaden ist. Dazu bringen die Gegner nun Gutachter in Stellung, die die Schiedsrichter von ihren Berechnungen überzeugen sollen.
Ob die Öffentlichkeit deren Aussagen verfolgen darf, ist zweifelhaft. Zwar tagen Schiedsgerichte immer öfter öffentlich – eine Reaktion auf die wachsende Kritik an der „Geheimjustiz“. Aber im aktuellen Fall drängt Spanien auf Diskretion. So bittet ein Manager eines großen Fondsanbieters um Verständnis, dass er sich nicht offiziell äußern kann – mit der spanischen Regierung sei Verschwiegenheit vereinbart. Andere Kläger wie die Fondsgesellschaft White Owl lassen Anfragen gänzlich unbeantwortet.
Klughardt gibt als künftiger Kläger dagegen bereitwillig Auskunft. Demnach wird Voigt & Collegen für die beiden Fonds SolES 21 und 22 voraussichtlich Schadensersatz im dreistelligen Millionenbereich geltend machen. Angesichts von wenigstens elf Jahren Fondslaufzeit summieren sich die Ausfälle zu horrenden Beträgen, hinzu kommen Wertminderungen. SolES 21 hat 25 Prozent, der SolES 22 sogar 75 Prozent seines Geldes in den Solarpark Badajoz gesteckt, zusammen rund 100 Millionen Euro. Der Rest floss in Solaranlagen in Italien.
Aber würde Spanien ein investorenfreundliches Urteil akzeptieren? Anwalt Schäfer ist zuversichtlich. „Spanien hat sich völkerrechtlich verpflichtet, ICSID-Schiedssprüche anzuerkennen.“ Wenn sich das Land trotzdem weigere, könnten Investoren weltweit spanisches Vermögen pfänden lassen.
Staatliche Verzögerungstaktik
Wahrscheinlicher ist, dass die spanische Regierung das Verfahren in die Länge zieht. Gegen den Schiedsspruch ist zwar keine Berufung möglich. Aber Spanien könnte ein „Annullierungsverfahren“ beantragen, bei dem Schiedsrichter prüfen, ob formale Fehler gemacht wurden. „Das machen einige Staaten gerne, um auf Zeit zu spielen“, sagt Schäfer. In der Regel dauere dies weitere ein bis zwei Jahre, am Ende würden Schiedssprüche aber selten annulliert.
Bis zu einem endgültigen Schiedsspruch – und einer etwaigen Schadensersatzzahlung – könnten also locker fünf Jahre ins Land gehen. Das bringt Investoren in die Bredouille, weil viele Solarparks rote Zahlen schreiben. So macht die Badajoz-Anlage derzeit rund eine Million Euro minus im Jahr. „Wenn das so weiterginge, würde der Anlage in absehbarer Zeit die Insolvenz drohen“, sagt Klughardt. Er arbeitet deshalb an einem Sanierungskonzept und ist „zuversichtlich, dass wir eine Insolvenz vermeiden können“.
Parallel dazu prüft er auch für Anlagen, in die Voigt-Anleger über andere Fonds investiert haben, eine Schiedsklage. Dabei handelt es sich um kleinere Anlagen, die von den Kürzungen nicht so stark betroffen sind. Die Zeit drängt nicht: Im Völkerrecht gibt es keine Verjährung, Schiedsklagen können auch Jahre später noch eingereicht werden.
Auch Italien im Visier
Zudem prüft Voigt & Collegen eine Schadensersatzklage gegen Italien. Die SolEs-Fonds 21 und 22 haben auch dort in Solaranlagen investiert, und die italienische Regierung hat ebenfalls Zusagen einkassiert: Die Einspeisevergütung wurde zu Jahresbeginn um acht Prozent gekürzt. Das sei zwar weniger dramatisch als in Spanien, aber trotzdem „ein klarer Rechtsbruch“, sagt Klughardt, der sich in einer Sammelklage mit anderen Investoren zusammenschließen will – beim ICSID. Wegen des einfacheren Fördersystems sei der Schaden in Italien einfacher zu berechnen, sagt Klughardt. Die Synergieeffekte einer Sammelklage sind damit größer als in Spanien, wo der Anspruch für jede einzelne Anlage berechnet werden muss.
Während die Subventionskürzung verkraftbar scheint, kommen einige Betreiber italienischer Solaranlagen an weiterer Stelle unter Druck. So berichtet ein Anbieter von äußerst strengen Betriebsprüfungen, bei denen die Finanzbehörden zahlreiche Ausgaben gestrichen haben. Die Steuerlast der Anlagen sei deshalb viel höher als erwartet.
Das zeigt: Wenn ein Staat Investoren ins Visier genommen hat, gibt es mehrere Optionen, ihnen Geld abzuknöpfen – notfalls mit dem Steuerrecht. Deshalb sollten Anleger auf subventionierten Märkten Vorsicht walten lassen. Das Muster ist oft dasselbe: Erst locken Staaten mit üppigen Zuschüssen, Steuervorteilen oder garantierten Einspeisevergütungen. Dann kommen mehr Investoren als erwartet oder der politische Wind dreht – etwa wegen einer Schuldenkrise oder eines Machtwechsels. Und dann werden Zusagen einkassiert oder Steuervorschriften verschärft.
Hierzulande war das bei Filmfonds der Fall, denen die Finanzverwaltung nachträglich Steuervorteile aberkannt hat. Noch brutaler ging es in Berlin zu: Nachdem der Senat jahrelang Investoren in den sozialen Wohnungsbau gelockt hatte, strich er 2003 einen Großteil der Zuschüsse; hunderte Immobilienfonds rutschten in die Pleite.
Verantwortlich damals: ein Finanzsenator namens Thilo Sarrazin.