Die Analysten der Postbank haben es für die "Bild"-Zeitung nochmal nachgerechnet: Bereits in diesem Jahr verlieren deutsche Sparer von ihrem auf Bankkonten gehorteten Geld 14 Milliarden Euro. Soviel Kaufkraft schwindet auf Sparbüchern, Tagesgeldkonten und ähnlichen, wenn man von den geradezu lächerlich niedrigen Guthabenzinsen die Inflationsrate von 1,6 Prozent im Jahr abzieht. 2014 soll der Kaufkraftverlust der Postbank-Berechnung zufolge sogar 21 Milliarden Euro betragen. Dazu müsste die Teuerungsrate nur leicht auf immer noch moderate 2,0 Prozent steigen.
Gäbe es eine Erhöhung der Einkommensteuer in ähnlicher Größenordnung wäre der Aufschrei der Wähler, Gewerkschaften und Interessenverbände riesig. Die „kalte Enteignung“ – so das geflügelte Wort für die Kaufkraftverluste im Niedrigzinsumfeld – vollzieht sich jedoch schleichend, der lautstarke Protest der Sparer bleibt aus. Gemessen an den zugrunde gelegten Bankeinlagen von insgesamt 1750 Milliarden Euro, die deutsche Sparer auf ihren Konten lagern, fallen die 14 oder 21 Milliarden Euro Wertverlust pro Jahr auch noch nicht sonderlich ins Gewicht.
Aber je länger das Ersparte unangetastet bleibt, umso schmerzhafter ist der kumulierte Wertverlust. Bereits seit mehr als einem Jahr erleiden Sparer inflationsbereinigt Kaufkraftverluste mit ihren festverzinsten Spareinlagen. Da die Europäische Zentralbank noch länger an ihrer Niedrigzinspolitik festhalten will, ist hier auch keine schnelle Besserung in Sicht. Die Kaufkraftverluste dürften viele Sparer daher erst realisieren, wenn sie das Geld nach Jahren für größere Ausgaben oder den Lebensunterhalt im Alter benötigen. Dann werden sie feststellen, dass sie für ihr Erspartes nicht mehr so viel bekommen, wie einige Jahre zuvor.
Sparbuch ist ein Evergreen
Wer mit spitzer Feder rechnet, weiß schon lange, dass sich Sparbuch, Tagesgeld oder Festgeldkonto nicht lohnen. Zwar bestehen keine Verlustrisiken wie bei Aktien oder Anleihen, aber die Zinsen genügen schon seit langem nicht mehr, um die Inflationsrate auszugleichen. Pro Jahr gibt es auf dem Sparbuch nur noch maximal 1,25 Prozent, meist deutlich weniger und bei mancher Bank auch gar nichts mehr. Tages- und Festgeldkonten sind kaum besser. Die – historisch vergleichsweise niedrige – Inflationsrate liegt jedoch bei 1,6 Prozent. Die Europäische Zentralbank hält zudem wie schon die Bundesbank eine Inflationsrate von 2,0 Prozent für eine angemessene Zielgröße, deutlich unter diese Marke wird die Teuerung kaum fallen. Das Sparbuchguthaben verliert somit unter dem Strich an Wert. Trotzdem ist das Sparbuch Umfragen zufolge noch immer die beliebteste Sparform der Deutschen. Können deutsche Sparer also nicht rechnen?
Torsten Schmidt, Projektleiter beim Wirtschaftsforschungsinstitut RWI in Essen, hält das Verhalten der deutschen Sparer durchaus für rational. Bereits 2010 hat das Wirtschaftsforschungsinstitut RWI in Essen das Spar- und Konsumverhalten der Deutschen im Auftrag des Bundesfinanzministeriums analysiert. Anlass für die Studie von 2010 war die Tatsache, dass der Indikator für das Konsumentenverhalten in der Europäische Union, der sogenannte Konsumklimaindex, nur ein ungenaues Bild von der Konsumentenstimmung in Deutschland liefert und daher keine zuverlässigen Prognosen über die künftigen Konsumausgaben zulässt. „Wir wollten klären, woran das liegt und wie sich die Prognosegenauigkeit verbessern lässt“, erklärt Torsten Schmidt, der das Studienprojekt seinerzeit geleitet hat.
Zinslos sparen ist beliebt
Dabei gelangten die Forscher zu der Erkenntnis, dass deutsche Sparer ein anderes Verhalten an den Tag legen, als es in vielen anderen Ländern zu beobachten ist. Das Fazit der Untersuchung zum Konsumklima-Indikator: Die vier Fragen, die zur Berechnung des Indexes herangezogen werden und die EU-weit gleich sind, sind für die Erfassung der Konsumstimmung der Deutschen nur bedingt geeignet. „Da wird zum Beispiel nach der Einschätzung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage gefragt. Die ist aber für den deutschen Verbraucher gar nicht so entscheidend. Wir konnten zeigen, dass die Antworten zur Inflation eine deutlich bessere Grundlage für eine Konsumprognose sind. Die Deutschen schauen sehr viel genauer auf die Inflationsentwicklung und stützen darauf ihre Konsumentscheidungen“, so Schmidt. Zudem ergab schon die Studie von 2010, dass neben der erwarteten Preisentwicklung die geplanten, bedeutenden Anschaffungen den privaten Konsum maßgeblich beeinflussen. In anderen europäischen Ländern spielt hingegen die Konjunktur die entscheidende Rolle für die Konsum- und Sparpläne.
Es klingt ein wenig schizophren, wenn deutsche Sparer einerseits argwöhnisch auf die Entwicklung der Inflation blicken, andererseits gerade in diesem Umfeld „kalter Enteignung“ mehr sparen als zuvor. Allein das Geldvermögen der Deutschen ist laut Postbank 2012 um satte 229 Milliarden Euro gestiegen, davon entstanden 157 Milliarden Euro durch aktives Sparen. Wirtschaftsforscher Schmidt erklärt das mit dem Vorsichtsmotiv: „Man legt hierzulande lieber Geld weg für später, für schlechte Zeiten, für die Kinder oder für das Alter. Der deutsche Sparer ist eher vorsichtig. Ob das Geld höher oder niedrig verzinst wird, ist dann zweitrangig. Die Deutschen sparen erfahrungsgemäß auch bei höheren Renditen nicht wesentlich mehr.“
Vereinfacht ausgedrückt teilt jeder Haushalt sein Einkommen in Konsum und Sparen. Somit führt mehr Konsum zu weniger Sparanstrengungen und umgekehrt. Dass in Deutschland gleichzeitig auch die Konsumausgaben steigen, ist nach Ansicht Schmidts dem robusten Arbeitsmarkt zu verdanken. „Der Konsum in Deutschland nimmt insgesamt zu, weil es mehr Erwerbstätige und relativ hohe Lohnzuwächse gibt. Nicht der einzelne konsumiert also mehr zu Lasten der Ersparnis, sondern die gute Beschäftigungslage sorgt für mehr Konsumenten, die noch dazu mehr verdienen. Auch die Ersparnisse nehmen deshalb insgesamt zu, obwohl die Sparquote seit 2008 kontinuierlich leicht sinkt“, sagt der RWI-Experte.
Nicht nur in Deutschland führt das Vorsichtsmotiv beim Sparen dazu, dass die Sparquote in Abschwungphasen zunimmt. Steigt die Arbeitslosigkeit und nimmt die Jobunsicherheit zu, kauft man sich auch in anderen Ländern eben nicht das neue Auto, sondern legt das Geld auf die Seite, so dass die Sparquote – der Einkommensanteil, der gespart wird - steigt. „Das ist in schlechten Zeiten ein ganz rationales Verhalten. Mit anziehender Konjunktur sinkt die Sparquote wieder. Zwar ist eine Verunsicherung wegen der Eurokrise da, aber zumindest in Deutschland läuft die Wirtschaft ja noch gut, insofern gibt es hierzulande keinen Grund für die Verbraucher, ihre Sparquote hochzufahren“, konstatiert Schmidt.
Dass die Preisentwicklung und die Erwartungen dazu das Spar- und Konsumverhalten in Deutschland in besonderem Maße beeinflussen, liegt dem Forscher zufolge an der Historie und der Vermögensverteilung. „Hinzu kommt, dass die Inflationsangst bei den Leuten recht groß ist. Offenbar ist die Erfahrung, dass man seine Ersparnisse verlieren kann, noch sehr gegenwärtig“, so Schmidt. Den Grund dafür sieht er auch darin, dass vor allem die Älteren über die größeren Vermögen verfügen. „Gerade diese Generation erinnert sich noch an die Hyperinflation nach dem Krieg. Aber es ist vorstellbar, dass in den kommenden Jahrzehnten deutsche Sparer genau wie die Anleger im übrigen Europa diese besondere Angst vor der Inflation verlieren, weil die jüngeren Generationen keine eigenen negativen Erfahrungen mehr damit gemacht haben.“
Kredit nur für Immobilien, Aktien eher ungern
Auch das Verhältnis der Deutschen zum Kredit ist anders als etwa in den angelsächsischen Ländern. „Der Konsumentenkredit spielt bei uns eine sehr geringe Rolle und weist interessanterweise auch mit dem privaten Konsum keinen deutlichen Zusammenhang auf. Wir haben zumindest in unserer Untersuchung keine klare Antwort darauf gefunden, warum jemand einen Konsumkredit aufnimmt“, erklärt Forscher Schmidt. Das sei etwa in den USA ganz anders. „Dort werden die größeren Anschaffungen über Kredite finanziert. Dementsprechend besteht dort ein direkter Zusammenhang zwischen Kreditnachfrage und Konsum.“ In Deutschland wird ihm zufolge der weitaus größte Teil der Anschaffungen aus Ersparnissen finanziert. Dementsprechend niedrig sei die Verschuldungsquote. Konsum auf Pump ist offenbar auch dann unpopulär, wenn er finanzmathematisch sinnvoll ist, weil die Kreditzinsen niedrig sind und die Preise klettern.
Deutlich positiver sehen das die Deutschen offenbar beim Thema Immobilien. Sie gelten vielen als bleibender Sachwert, der vor Inflation schützt. Für die sicherheitsorientierten Deutschen sind Häuser und Wohnungen daher eine sinnvolle Alternative zum Sparen ohne Rendite. Vielmehr werden die Ersparnisse gerne dazu verwendet, die Kredithöhe zu drücken und so zu einer konservativen und entsprechend vorsichtigen Finanzierung zu gelangen. Auch die rekordniedrigen Bauzinsen verleiten deutsche Häuslebauer offenbar nicht dazu, ein höheres Finanzierungsrisiko einzugehen. Auch das überproportionale Wachstum im Geschäft mit Bausparverträgen spricht für die große Vorsicht deutscher Sparer. Das geht aus den Angaben von Finanzierungsvermittlern wie Dr. Klein oder Interhyp hervor. Wegen der großen Vorsicht der Deutschen konnte sich deshalb bislang auch noch keine Immobilienblase bilden wie etwa in den USA, den Niederlanden oder Belgien, wo die Immobilienpreise aufgrund der hohen Nachfrage über viele Jahre massiv gestiegen waren. Dort überstiegen oder übersteigen die Kreditpflichten der Immobilienbesitzer nicht selten den Wert der finanzierten Immobilie.
Rendite nur mit Wertpapierbeimischung
Wer für den Ernstfall Rücklagen bilden will ohne Verlustrisiken einzugehen, dem ist mit Aktien auch nicht geholfen. Wer jedoch Vermögen aufbauen will und somit Wert auf eine attraktive Verzinsung der Geldanlage legt, kommt kaum an Aktien vorbei. Denn an den niedrigen Zinsen auf Spareinlagen wird sich so schnell nichts ändern. Solide Aktien mit begrenzten Kursverlustrisiko und attraktiver Dividende sind daher auch für risikoscheue deutsche Sparer eine Alternative, die es abzuwägen gilt. Allerdings sollten Aktien bei risikoscheuen Anlegern nur einen Bruchteil der Ersparnisse ausmachen und der Anlagehorizont zumindest über mehrere Jahre reichen. Wer sein Geld zur Unzeit benötigt, läuft sonst Gefahr, verkaufen zu müssen, wenn die Papiere gerade im Minus stehen.
Die Sorge vor Verlusten mit Aktien ist bei den Deutschen besonders ausgeprägt. Wie kürzlich eine Umfrage der Online-Bank Comdirect ergab, hält etwa knapp die Hälfte der Briten, Polen und Schweden Aktieninvestments für eine geeignete Form der Altersvorsorge. In Deutschland glaubt das nicht einmal ein Drittel.
Wesentlich entspannter als mit einzelnen Aktien lassen sich die Renditechancen mit Aktien- oder Fondssparplänen verbessern. Hier ist weniger das ideale Timing für Kauf und Verkauf entscheidend als Regelmäßigkeit und Ausdauer. Wird ein fester Betrag monatlich investiert, erhält der Sparer nämlich in Zeiten niedriger Kurse mehr Anteile und bei hohen Kursen entsprechend weniger. So werden heftige Kursschwankungen über die Jahre geglättet und das Verlustrisiko mit der Zeit gemindert. Nur beim Verkauf der Anteile sollte der Sparer einen möglichst guten Zeitpunkt erwischen.
Wem Rendite also nicht so wichtig ist, wie das Sparen als Vorsichtsmaßnahme, kann auch mit bescheidenen Mitteln seine Verzinsung verbessern. Dafür muss er allerdings das Risiko in seinen Anlagen erhöhen. Denn mehr Risiko ist im derzeitigen Zinsumfeld der einzige Weg, der „kalten Enteignung“ zu entgehen.