1891 hielt man ewige Staatsanleihen Englands mit einer Verzinsung von 2,5 Prozent für ein solides Investment, schließlich waren diese voll in Gold konvertierbar. Nur eine Generation später war der Goldstandard Geschichte und Wettläufe um Währungsabwertung die Regel. Was als sicheres Investment galt, führte zu einem Totalverlust der Investoren. Nicht viel besser erging es den Käufern der 1946 begebenen ewigen Anleihe des englischen Staates. Ebenfalls mit 2,5 Prozent begeben, kollabierte der Kurs im Zuge der Inflation der 1970er Jahre.
Zur Person
Daniel Stelter war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner, Managing Director und Mitglied des BCG Executive Committee. Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen zu den Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise. Zusammen mit David Rhodes verfasste er das 2010 preisgekrönte Buch „Nach der Krise ist vor dem Aufschwung“. Weitere Bücher folgten, so eine Replik auf das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty unter dem Titel „Die Schulden im 21. Jahrhundert“. Im Februar 2016 erschien sein neues Buch, „ Eiszeit in der Weltwirtschaft“. Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“, das Antworten auf die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit sucht.
Die Geschichte ist voll von Beispielen der (fast) völligen Vermögensvernichtung beim Kauf von langlaufenden Anleihen. Eine Anleihe ist nichts anderes als das Versprechen, Geld zu bezahlen. Wenn aber die Regierung die Menge und Qualität des Geldes beliebig manipulieren kann, was ist dann der Wert dieses Versprechens? Null – sollte man zumindest angesichts der aktuellen Politik der Notenbanken meinen.
Aber noch scheint niemand diese Frage zu stellen. Wie sonst ist zu erklären, dass Investoren immer tiefere Zinsen auf Staatsanleihen akzeptieren? Und wie sonst erklärt sich die Renaissance einer Anleihegattung, von der man eigentlich annehmen sollte, dass sie niemand kaufen würde: die hundertjährigen Anleihen. Nur wenige Länder und Unternehmen haben bisher solche Anleihen ausgegeben, so Mexiko, die Philippinen und der brasilianische Ölkonzern Petrobras.
Mit Irland und Belgien sind in diesem Jahr erstmals wieder europäische Länder in den Markt eingestiegen und haben im Rahmen einer Privatplatzierung jeweils 100 Millionen Euro mit einer Laufzeit von 100 Jahren aufgenommen. Frankreich begnügt sich noch mit Laufzeiten von 50 Jahren. Auf Italiens 30-jährige Anleihe gab es einen regelrechten Run. Mehr als 25 Milliarden Euro wurden von Investoren angeboten. 2047 wird das Geld dann zurückgezahlt – hoffen die Gläubiger.
Als normaler Investor kann man sich angesichts der fundamentalen Aussichten dieser Länder nur an den Kopf fassen. Wer kauft Anleihen mit einer solch langen Laufzeit zu Minizinsen von Ländern und Staaten, deren Schulden bereits vor Jahren den „point of no return“ überschritten haben?
Der italienische Staat müsste das Defizit vor Zinszahlungen – den sogenannten Primärüberschuss – um rund zwei Prozentpunkte vom BIP verbessern, nur um den Schuldenstand auf dem heutigen Niveau zu stabilisieren. Frankreich bräuchte eine Verbesserung um 2,5 Prozent vom BIP. Beides ist politisch nicht durchsetzbar, und alleine der Versuch dürfte die Wirtschaft derart schwächen, dass die Schuldenquoten weitaus mehr steigen.
In Irland fehlt nicht mehr viel, um eine Stabilisierung der Schuldenquote des Staates zu erzielen. Das ändert jedoch nichts daran, dass das Land gesamthaft überschuldet ist: die Schulden von Staat, privaten Haushalten und Unternehmen liegen bei rund 400 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) und damit auf japanischem Niveau. Ohne einen Schuldenschnitt wird auch der vermeintliche Musterschüler der Eurorettungspolitik nicht wieder auf die Beine kommen.
Die Financial Times berichtet, die 100-jährigen Anleihen von Irland und Belgien seien auf Initiative des Käufers zustande gekommen. Die Vermutung geht in die Richtung einer europäischen Versicherung. Diese seien, so die weitere Vermutung der Zeitung, aus regulatorischen Gründen an langlaufenden Anleihen interessiert, weil sie mit Anleihen guter Qualität sonst keine ausreichenden Renditen erzielen. Irland zahlt „immerhin“ 2,35 Prozent auf den 100-jährigen – aber immer noch weniger als die USA für 30-jährige Anleihen.
Die entscheidende Komponente bei Anleihen
Bei Anleihen die 100 Jahre laufen, liegt das Versprechen der Rückzahlung in ferner Zukunft. Zu Zeiten „normaler“ Zinsen ist die Rückzahlung auch nicht die entscheidende Komponente; abgezinst auf heute spielen in einem solchen Umfeld die laufenden Erträge die viel größere Rolle. In einem Umfeld von Negativzinsen ist das anders. Der laufende Ertrag und die Rückzahlung des Kapitals sind gleichermaßen wichtig für den Erfolg der Anlage.
Welche Annahmen muss ein Investor also treffen, um davon auszugehen, dass es ein lohnendes Investment ist, sich eine hundertjährige Anleihe ins Depot zu legen? Man muss ernsthaft davon überzeugt sein, dass die wirtschaftliche Eiszeit, in der wir uns befinden, noch einhundert Jahre andauert: schwaches Wachstum, tiefe Zinsen und geringe Inflation. Doch das ist mehr als unwahrscheinlich.
Zwar lassen Demografie und Produktivitätszuwächse in der Tat nur geringes Wachstum erwarten. Es ist aber ein politisch undenkbares Szenario. Die Japaner mögen eine Dauerstagnation nun schon fast dreißig Jahre ertragen haben, doch selbst dort sind weitere siebzig Jahre undenkbar.
In Europa dürfte es noch viel unwahrscheinlicher sein. Vorher kommt es zu politischer Radikalisierung und Eurozonen-Zerfall. Dann mag der Gläubiger eine andere Währung zurückbekommen als er gedacht hat, wenn der Schuldner überhaupt in der Lage ist zu bezahlen. Darauf muss man sich als Investor einstellen.
Minibonds: Diese Anleihen sollten Anleger im Auge behalten
Bondvolumen (in Mio. Euro): 225, Anleihe 2018
Kurs: 97,5
Rendite: 9,7 %
Finanzergebnis 3. Quartal: –20,9 Millionen Euro; Eigenkapital –544 Millionen; überlebt nur dank Großaktionär Etihad, der mit Tricks finanziert, zuletzt über Stiftung.
Quelle: Börsen, Unternehmensangaben, eigene Recherche
Stand: 10. Februar 2016
Bondvolumen (in Mio. Euro): 45
Kurs: 72,5
Rendite: 26 %
Cashflow (zeigt, wie viel in die Kasse kommt) lag zum 30.6. bei –21 Millionen Euro; bereinigtes Ebit (Vorsteuergewinn) zum 30.9. bei –14 Millionen Euro.
Bondvolumen (in Mio. Euro): 30
Kurs: 21,1
Rendite: 80,6 %
2015 bis zu –15 Millionen Euro Ebit-Verlust erwartet; schließt 16 Filialen.
Bondvolumen (in Mio. Euro): 275
Kurs: 62
Rendite: 33,2 %
Nur 290 Millionen Euro Umsatz im 1. Halbjahr 2015, aber 1771 Millionen Nettofinanzschulden; dafür hohe 127 Millionen Euro Cashflow aus dem operativen Geschäft.
Bondvolumen (in Mio. Euro): 210, Anleihe 2017
Kurs: 87
Rendite: 19,1 %
Mit 621 Millionen Euro hoch verschuldet; dünnes Eigenkapital (16 Prozent); Herausforderung: 2017 muss KTG stolze 210 Millionen Euro tilgen; 2019 einen zweiten Bond.
Bondvolumen (in Mio. Euro): 183
Kurs: 6,1
Rendite: 1172,1 %
Sitz nach London verlegt, Anleihe wird dort restrukturiert; Verlust im Kurs drin.
Bondvolumen (in Mio. Euro): 60
Kurs: 18,8
Rendite: 369,4 %
Will seine Anleihe derzeit restrukturieren; Anleger sollen auf Geld verzichten.
Bondvolumen (in Mio. Euro): 25
Kurs: 30
Rendite: 156,3 %
Umsatz sinkt; negativer Cashflow aus Geschäftstätigkeit (zeigt, wie viel in die Kasse kommt); Prüfung, ob Anlegergeld vorschriftsgemäß investiert worden ist.
Man kann natürlich auch darauf setzen, dass die Eurozone sich doch zu einer vollständigen Vergemeinschaftung der Schulden durchringt. Damit wäre die Rückzahlung aber nur theoretisch besser gesichert. Es ist ein Märchen der Peripherie-Politiker, alle Probleme seien gelöst, sobald der deutsche Steuerzahler für alles haftet. Es dürfte nicht mal für die Deckung der Kosten der alternden Gesellschaft bei uns, ganz zu schweigen den Kosten der Migration langen. Wenn, dann kauft die Vergemeinschaftung nur ein paar Jahre.
Viel wahrscheinlicher als dauerhafte Deflation oder ein wundersamer Bail-Out gefallener Staaten ist das bewährte Mittel der Inflationierung. Wie immer wieder erläutert, ist die bewusste Geldentwertung zur Bewältigung der Überschuldung das eigentliche Ziel der immer aggressiveren Notenbankpolitik, die bisher den deflationären Druck der Schuldenlast nicht überkompensieren konnte. Auf Dauer dürfte es den Notenbanken jedoch gelingen, das Vertrauen in unser Geldwesen zu zerrütten und damit die Ketchup-Inflation loszutreten.
Der Käufer der 100-jährigen Anleihe muss also davon ausgehen, dass der Schuldner alternativ seine Zahlungen nicht erbringt, in einer anderen Währung als dem Euro zurückzahlt und dass er sich von den 100 Millionen nichts mehr wird kaufen können.
Wer also kauft so etwas? Zunächst könnten es Spekulanten sein, die von einer zumindest temporären Fortsetzung der Eiszeit mit immer tieferen Zinsen ausgehen und darauf setzen, die Anleihe mit Kursgewinn (an die EZB?) weiterzureichen. Oder es sind Investmentmanager, die all dies wissen, die Anleihen aber kaufen, damit sie die formalen Ansprüche ihrer Kunden erfüllen können. Hauptsache, die Versicherung selbst hat kein Risiko.
Letzteres ist in diesem Beispiel wohl der Fall. Egal, welche Versicherung es ist, alle stehen vor der gleichen Herausforderung, sich auf ein Szenario von Eiszeit und Hyperinflation einzustellen, ohne dabei unter zu gehen. Die Kunden, also die Besitzer von Lebensversicherungen und anderen zukünftigen Ansprüchen, werden die Zeche zahlen.