Stelter strategisch

Wer auf ewig tiefe Zinsen setzt, lebt gefährlich

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Eine Frage des Alters

Ein weiterer Aspekt ist die demografische Entwicklung. Früher war man überzeugt, dass alternde Gesellschaften eher sparen als konsumieren. Nach dem Motto: die älteren Leute haben weniger Lust auf Konsum und die größten Ausgaben im Leben eines Menschen fallen mit der Familiengründung zusammen. Empirisch gibt es an dieser These jedoch zunehmend Zweifel. Es ist nur zu natürlich, dass ältere Menschen von ihren Ersparnissen leben und diese über die Zeit abbauen. Ihre Sparquote ist also negativ. Schön lässt sich das in Japan beobachten, wo die gesamtwirtschaftliche Sparquote seit Jahren fällt. Recht parallel zum Rückgang der Erwerbsbevölkerung.

Die demografischen Daten haben das Sparen in der Welt seit 1980 sehr unterstützt. So errechnen die Analysten von Barclays, dass der Ersparnisüberhang der Babyboomer bis zu zwei Prozentpunkte des Zinsrückgangs der vergangenen drei Jahrzehnte erklärt. Dies wird sich aber nicht fortsetzen. Mit dem Eintritt ins Rentenalter beginnen die Babyboomer, ihre Ersparnisse abzubauen, während gleichzeitig die Anzahl an Erwerbstätigen zurückgeht. Mit jedem Prozentpunkt mehr Senioren im Rentenalter steigt der Zins nach dieser Analyse um 1,15 Prozentpunkte. Kapital würde Mangelware, da Ersparnisse konsumiert werden müssen. Strukturell bedeutet eine ältere Gesellschaft demnach höhere Zinsen. 4:2.

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Inflationäre Zeiten

Gestützt wird die Analyse von Barclays durch eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Diese hat sich mit einer anderen, damit zusammenhängenden Frage beschäftigt. Sind alternde Gesellschaften eher deflationär, führt also abnehmende Nachfrage zu sinkenden Preisen, oder eher inflationär? Das Ergebnis ist interessant. Die Forscher vergleichen die Relation der arbeitenden zur nicht arbeitenden Bevölkerung. Demnach hatten wir in den vergangenen Jahren auch deshalb rückläufige Inflationsraten, weil ein großer Teil der Bevölkerung erwerbstätig war. Die geburtenstarken Jahrgänge waren aktiv, die Anzahl der Rentner begann erst langsam zu steigen, während die Anzahl der Kinder deutlich zurückging. Nun steigt der relative Anteil der nicht erwerbstätigen Bevölkerung jedoch deutlich an. Diese relative Verschiebung wird, so die Erwartung der Forscher, den Preisdruck erhöhen. Höhere Inflation dürfte auch höhere Zinsen mit sich bringen. 4:3.

Oder liegt es nur einfach daran, dass die Investoren nach den Erfahrungen der Finanzkrise und den geopolitischen Risiken einfach nur „Katastrophenangst“ haben, wie es der Wirtschaftsforscher Kenneth Rogoff ausdrückt? Er schätzt, dass ein guter Teil des Zinsrückganges auf diesen Effekt zurück zu führen ist. Weicht die Angst mit der Zeit, steigen auch die Zinsen. 4:4.

Verbleibt ein letzter Gedanke: wenn alle das Gleiche erwarten, kommt das Gegenteil. Denken wir nur an die einheitliche Meinung zu Jahresbeginn, ein Verhältnis von 1:1 von Euro zu Dollar wäre nur eine Frage der Zeit. Zwischenzeitlich hat der Euro eine prächtige Rally hingelegt. Mit Blick auf die Zinsen kann das nur bedeuten: wer auf ewig tiefe Zinsen setzt, lebt gefährlich.

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