„Sehr geehrte Frau Dr. Meckel, als Geschäftsführer eines der großen unabhängigen Vermögensverwalter in Deutschland (…) hat mich die Kolumne von Herrn Stelter – vorsichtig formuliert – erschüttert. Selten habe ich in einem Qualitätsmedium dieses Maß an Unkenntnis gelesen, das Herr Stelter dort über Glencore und die Grundsätze der Kapitalanlage offenbart.“ So begann eine Zuschrift an meine Chefredakteurin im November 2015. Als Neu-Kolumnist stellte ich mich nach der dann im Schreiben folgenden Breitseite auf die Qualität meiner Kolumne auf das Schlimmste ein. Immerhin verwaltet der Kritiker nach eigener Auskunft rund zwei Milliarden Euro und verfügt zweifellos über erhebliche Expertise.
Anstoß genommen hatte er an meiner Aussage, dass die Eigentümer des Rohstoffkonzerns Glencore mit ihrem Börsengang im Jahr 2011 – vorsichtig formuliert – ein hervorragendes Gespür für Timing hatten. Offensichtlich war meine ausführliche Antwort an den Kollegen jedoch so treffend, dass Frau Meckel mich an dieser Stelle – bis jetzt – gewähren ließ, und der Kritiker mir nie erwiderte.
Warum erwähne ich diese Episode? Die Aktie, die ich damals mit Glencore verglich, war Rocket Internet. Auch diesen Börsengang hielt ich für gewagt – und die Kursentwicklung seither gibt mir recht.
Zur Person
Daniel Stelter war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner, Managing Director und Mitglied des BCG Executive Committee. Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen zu den Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise. Zusammen mit David Rhodes verfasste er das 2010 preisgekrönte Buch „Nach der Krise ist vor dem Aufschwung“. Weitere Bücher folgten, so eine Replik auf das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty unter dem Titel „Die Schulden im 21. Jahrhundert“. Im Februar 2016 erschien sein neues Buch, „ Eiszeit in der Weltwirtschaft“. Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“, das Antworten auf die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit sucht.
Zunächst ist es für die Aktionäre von Rocket eine gute Nachricht, dass ich Rocket heute erwähne. Nachdem ich am Beispiel von Glencore gezeigt habe, wieso es gefährlich ist, in diese Werte zu investieren, hat sich Glencore von damals 1,60 Pfund auf heute 2,17 Pfund erholt (was in Euro gerechnet immer noch kein so gutes Geschäft ist). Davor war die Aktie allerdings von einem Hoch von über 6 Pfund nach dem Börsengang im Frühjahr 2011 erheblich eingebrochen.
Vielleicht erholt sich Rocket in den kommenden Monaten also auch. Doch darum geht es mir nicht. Wie bei Glencore war es keine gute Idee, bei Rocket nach dem Börsengang einzusteigen. Notierte Rocket im November 2014 bei 56,60 Euro, so bekommen Anleger heute nur noch 17,40 Euro dafür. Wer zum Ausgabekurs von 42,50 Euro eingestiegen ist, hat mehr als 50 Prozent verloren. Eine Kurserholung in den kommenden Wochen und Monaten ist da nur eine zu erwartende technische Reaktion.
Rocket ist wie Glencore ein Musterbeispiel für Börsengänge, aus denen sich sehr wohl, anders als der Profi im zitierten Leserbrief meinte, allgemeingültige Regeln für die Kapitalanlage ableiten lassen. Mindestens zwei der im vergangenen Jahr abgeleiteten Regeln passen auch im Fall von Rocket:
1. Insider sind keine Menschenfreunde
Wenn Unternehmen an die Börse gehen, geschieht dies nur selten aus dem Motiv heraus, die Allgemeinheit an den Erträgen teilhaben zu lassen. Entweder ist es echte finanzielle Not, oder es ist Zeit für die Insider, Kasse zu machen. Welcher Insider wird schon verkaufen, wenn er es nicht muss und er hohe weitere Erträge erwartet? Im konkreten Fall von Rocket Internet hat sich das wieder einmal bewahrheitet. Das Vermögen der Gebrüder Samwer unterlag einem erheblichen Klumpenrisiko. Es war also an der Zeit, zu diversifizieren und Geld aus dem Unternehmen abzuziehen.
Dies macht niemand, wenn er davon ausgeht, dass die große Wertsteigerung noch bevorsteht. Wer in der Start-up Szene – gerade in Berlin – unterwegs ist, weiß, dass es für gute Ideen und Geschäftsmodelle wahrlich nicht an Finanzierungsmöglichkeiten mangelt. Rocket an die Börse zu bringen war deshalb mehr der finanziellen Optimierung der Eigentümer geschuldet, als der Notwendigkeit Geld einzusammeln. Außer man sah es auf „dummes Geld“ ab, welches keine Mitsprache sucht. Auch keine gute Motivation aus Sicht der neuen Aktionäre.