Stelter strategisch

Die Finanzmärkte sind im Paralleluniversum

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Mit welcher Allokation durch den Sommer?

Problematisch an dieser Sicht ist jedoch, dass sie mittlerweile "Common sense" ist, also jeder Marktteilnehmer so denkt. Ging man vor sechs Monaten noch von einem Zinserhöhungskurs der Fed aus – „Stelter strategisch“ übrigens nicht - so glaubt heute kaum jemand an steigende Zinsen, und jeder rechnet einem vor, wie relativ gut US-Anleihen doch sind. Dabei spricht dieser Optimismus und die Elliott Wave Theorie, so man dieser glaubt, eher für eine deutliche Korrektur der Anleihenkurse in den USA, also für steigende Zinsen. Aus meiner Sicht ist zumindest angesichts des verbreiteten Optimismus taktische Vorsicht angezeigt.

Doch was machen wir mit einer Welt, in der sich die Finanzmärkte offensichtlich in einem eigenen, notenbankfinanzierten Paralleluniversum befinden, wo die reale Welt, wenn überhaupt, nur als Begründung für weitere Liquiditätsspritzen dient? Realwirtschaftliche Implikationen hat das Geldangebot der Notenbanken bekanntlich nicht. Ein Kommentator auf meinem Blog fasste es so zusammen: "Hier teilt sich -beinahe messerscharf- die Nachfrage auf: Die Einen, die mit Krediten die Assetpreise nur so in die Höhe treiben und die Anderen, die keine Kredite (mehr) bekommen oder wollen, weil sie mit den Schulden genug zu tun haben. „Gute“ Investitionen mit Wachstumspotential bleiben dann natürlich aus."

Fragt sich: können die Finanzmärkte ewig im Paralleluniversum bleiben? Natürlich nicht! Es ist auch hier nur eine Frage des "wann", nicht des "ob" es zu einer Anpassung von Realität und Finanzmärkten kommt. Wenig spricht dafür, dass die Realität sich den Märkten annähert.

Das wurde im ersten Halbjahr aus 100.000 Euro
Platz 20: Aktien VenezuelaDie Börse in Caracas ist winzig, nur wenige Aktien sind dort notiert und die Umsätze liegen oft bei nur ein paar tausend Dollar pro Tag. Internationale institutionelle Investoren meiden venezolanische Aktien. Die Inflation im Land galoppiert, der Versorgungsmangel eklatant, die Währung Bolivar ist auf Talfahrt. Anleger, die im Januar 100.000 Euro in den IBC-Index investierten, haben so jetzt nur noch 54.320 Euro. Im Vorjahr hatten sich die Kurse noch mehr als vervierfacht.  Schlusstand 30.6.2016, Angaben ohne Transaktionskosten. Quelle: Reuters
Platz 19: Aktien ChinaDie Wirtschaft in China macht Anlegern seit über einem Jahr Sorgen. Die Börse stürzte entsprechend weiter ab. Der Leitindex CSI 300, der die 300 größten Aktien Festlandschinas erfasst, brach um 15,6  Prozent ein. Da gleichzeitig der Yuan zum Euro leicht abwertete blieben Anlegern von 100.000 Euro nur 80.900 Euro übrig.  Schlusstand 30.6.2016,  Angaben ohne Transaktionskosten. Quelle: Reuters
Platz 18: Aktien Euro-ZoneDer Jahresauftakt an Europas Börsen war schon ein Horror, dann kam noch das Debakel um den Brexit hinzu. Die Folge: Die Aktien in der Euro-Zone notieren tief im Minus. Wer Anfang des Jahres 100.000 Euro in den Leitindex Euro Stoxx 50 investierte, verfügt angesichts des Minus von 12,3 Prozent jetzt nur noch über 87.670 Euro. Am schlimmsten erwischte es dabei Anleger in Italien – der FTSE MIB 100 Index verlor fast ein Viertel seines Wertes.  Schlusstand 30.6.2016, Angaben ohne Transaktionskosten. Quelle: REUTERS
Platz 17: Britisches PfundInvestoren haben die britische Währung nach dem Brexit-Votum regelrecht heruntergeprügelt. Schon vorher litt es deutlich, am Tag nach der Bekanntgabe des Referendums stürzte es dann zum US-Dollar um bis zu knapp 14 Prozent und zum Euro um mehr als acht  Prozent ab. Zur US-Währung liegt das Pfund auf dem niedrigsten Stand seit über 30 Jahren. Zum Euro liegt das Pfund „nur“ auf dem niedrigsten Stand seit rund zwei Jahren. In diesem Jahr wurden aus 100.000 in Pfund angelegten Euro 88.620 Euro.  Schlusstand 30.6.2016, Angaben ohne Transaktionskosten Quelle: dpa
Platz 16: Aktien DeutschlandAuch Aktienanleger in Deutschland hat bislang kein schönes Jahr. Gleich zu Beginn des Jahres stürzte der Leitindex Dax ab. Danach erholte er sich zwar – machte die Verluste vom Jahresanfang aber nie ganz wett. Der Brexit-Schock setzte dem Dax dann erneut zu. Aus 100.000 im Dax investierten Euro sind innerhalb von sechs Monaten nur noch 90.110 Euro geworden.  Schlusstand 30.6.2016, Angaben ohne Transaktionskosten Angaben ohne Transaktionskosten Quelle: AP
Platz 15: Aktien SchweizAuch die Aktien der Schweiz gingen auf Talfahrt. Der Franken legte dabei zum Euro nur ganz leicht zu. Im vergangenen Jahr hatte er kräftig aufgewertet, nachdem die Schweizerische Nationalbank den Euro-Mindestkurs für den Franken aufgegeben hatte. Von daher machten Anleger mit Franken in diesem Jahr keine Währungsgewinne. Von 100.000 Euro blieben 91.320 Euro übrig.  Schlusstand 30.6.2016, Angaben ohne Transaktionskosten Angaben ohne Transaktionskosten Quelle: Reuters
Platz 14: Aktien GroßbritannienDas Brexit-Votum hat der britische Leitindex rasch verkraftet.  Der Leitindex „Footsie“ war zwar am 24. Juni heftig eingebrochen, holte die kurzfristigen Verluste dann aber wieder auf. Trotzdem sind Experten skeptisch, da wegen des Ausstiegs Großbritanniens aus der EU eine lange Phase der Ungewissheit droht. Dennoch notiert der Footsie auch auf Halbjahressicht 4,2 Prozent im Plus. Da der Euro jedoch zum Pfund kräftig zulegte, machten Euro-Anleger, die ihre Positionen nicht absicherten, einen Verlust von 8,01 Prozent und hatten bei einer Anlagesumme von 100.000 Euro so nur noch 91.990 Euro auf dem Konto.  Schlusstand 30.6.2016, Angaben ohne Transaktionskosten Quelle: Reuters

Die allseitige Beschwörung der Alternativlosigkeit, diesmal nicht der Merkel'schen Politik, sondern der Aktie als Geldanlage, muss deshalb zu denken geben. Wenn wir vor dem Punkt stehen, an dem die Notenbankpolitik für alle offensichtlich scheitert, und die direkte Staatsfinanzierung als nächster Schritt droht, könnte es sehr wohl sein, dass die Finanzmärkte im Gleichschritt nach unten gehen. Die Aktien, weil die Bewertungen nicht mehr zu halten sind, die Anleihenmärkte weil klar wird, dass der Lender of Last Resort doch nicht alles zu jedem Preis aufkaufen wird. Dieses Risiko scheinen führende Spekulanten zu erkennen. George Soros und Stanley Druckenmiller sind die prominentesten Skeptiker, die auf fallende Kurse setzen und gleichzeitig ihr Engagement in Gold und Goldminen ausbauen.

Diese Insider brauchen Käufer, wenn sie ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollen. Die Banken brauchen Umsätze, um wenigstens etwas Geld zu verdienen. Propaganda für die Aktien und die als sicher angesehenen Anleihen hilft dabei sicher. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Mit welcher Allokation gehen wir also in den Sommer? Strategisch halte ich an der hier immer wieder beschworenen Diversifikationsstrategie fest, sowohl mit Blick auf die Assets - Aktien, Immobilien, Cash, Gold - wie auch die regionale Streuung. Taktisch glaube ich noch nicht an die rasche, erfolgreiche Inflationierung. Bevor es so weit ist, dürften wir noch mindestens eine Talfahrt erleben, ausgelöst durch einen der genannten Krisenfaktoren oder einem weiteren, an den wir gar nicht denken. Die Aktien behalte ich und sichere mich für die kommenden Monate ab, den Cashbestand halte ich weiterhin nur bei den sichersten Adressen. Ansonsten bleibe ich wachsam, um im Falle einer deutlichen Korrektur zu handeln, und meinen Anteil an Assets, die keinem Kontrahentenrisiko unterliegen und einen Schutz vor Inflation bieten, aufzustocken. Langfristig bin ich bei Soros und Druckenmiller, weshalb ich an Gold und Goldminen festhalte.

So aufgestellt können wir uns getrost in die Sommerpause verabschieden und die wichtigeren Dinge als das Geld genießen. Wir sehen weiter, wenn diese Kolumne Ende August wieder ihr Erscheinen aufnimmt. Bis dahin wünsche ich Ihnen allen schöne Sommertage!

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