Tauchsieder

Was ist Geld?

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Die Macht des Geldes

Die Ausgangsfrage bei Simmel lautet: Wenn Geld, wie man sagt, Kaufkraft besitzt - bis auf welche Gebiete mag sie sich erstrecken? Simmel ist fasziniert von dem Gedanken, dass ausgerechnet das Geld als nichtiges Dazwischen all der produzierten und gehandelten Dinge, die Menschen (überlebens-)wichtig sind, zum alles bestimmenden Faktor einer durchökonomisierten Gesellschaft aufgestiegen ist. Offensichtlich, so Simmel, wohnt dem Geld, gerade weil es wertfrei, indifferent und unbestimmt ist, das ungeheure Vermögen inne, absolute Qualitäten in sich auszudrücken, sie in Beziehung zu sich zu setzen, ihren Wert zu bezeichnen, sie qualitativ zu taxieren, kurz: sie auf seinen, kleinen Nenner zu bringen. Als „reine Verkehrsreform“, die keine echten Wurzeln im realen Dasein besitzt, hat es einen von der Wirklichkeit schier unbegrenzten „Kreis von Möglichkeiten“.

Eine Kuh etwa, die für einen Bauern im Mittelalter vor allem ein Lebewesen war, stellt in der Matrix der Simmelschen Geldmoderne vor allem „einen abstrakten Geldwert in der zufälligen Gestalt einer Kuh“ dar - und eine Prostituierte keine Person mit personaler Dignität, sondern eine Dienstleistung, die in jeder Hinsicht genauso flüchtig und oberflächlich ist wie das Geld, mit der man sie (die Dienstleistung nämlich) bezahlt. Für Simmel ist Geld eine „jede Herzlichkeit ausschließende Sachlichkeit“, man kann auch sagen: die monetäre Entsprechung der Prostitution. Denn „die Indifferenz, mit der es sich jeder Verwendung darbietet, die Treulosigkeit, mit der es sich von jedem Subjekt löst, weil es mit keinem eigentlich verbunden war“ stiftet „eine verhängnisvolle Analogie“ zwischen ihm und der eingekauften Triebabfuhr, so Simmel: Indem Geld bezahlt wird, ist die Begegnung zwischen Freier und Dirne vollkommen ihrer „individuellen Bestimmtheit“ enthoben und auf einen Akt beschränkt, aus dem alles Persönliche verbannt ist. Das Geld ist, wie die momentane Begierde, deren Befriedigung die Prostitution dient, der exakte Ausdruck dessen, was zu nichts verbindet: „Indem man mit Geld bezahlt (hat), ist man mit jeder Sache am gründlichsten fertig.“

Die Attraktivität des Geldes, der primäre Grund, weshalb wir es begehren, liegt für Simmel daher in einer vierfachen Negativität. In der Folgenlosigkeit, mit der wir es hergeben. In der Rücksichtslosigkeit, mit der wir es verwenden können. In der Restlosigkeit, mit des es ein Geschäft abschließt. Und in der Beziehungslosigkeit, die es zwischen Menschen knüpft. Geld hinterlässt keine Spuren, interessiert sich nicht für die Motive, derentwegen es seine Besitzer wechselt und erlaubt uns einen völlig unpersönlichen Zugriff auf alles, was wir begehren. Auf seinem Mangel an Halt, auf seinem berechnenden Abstand zur dinghaften Wirklichkeit, beruht seine alles umfassende Kaufkraft und Faszination: Der Egoismus findet an der „absoluten Sachlichkeit“ des Geldes „reinen Tisch vor“.

Spätestens an dieser Stelle muss daher auch von der Macht des Geldes die Rede sein - von Geld nicht nur als gesamtgesellschaftlicher Meta-Währung, sondern auch vom Greenback der Moderne: Denn Geld schafft (auch) die klaren Verhältnisse, die es angeblich nur beurkundet. Wenn Geld die Totalität eines Menschen aufwiegen kann (Blutgeld, Sklaverei, Menschenschmuggel), wenn es uns den problemlosen Zugriff auf fremde Körper erlaubt (Prostitution), wenn es Pflichten kaufen, Überzeugungen ändern und Meinungen beeinflussen kann (Bestechung, Wahlmanipulation, Stimmenkauf)= - dann haben wir es mit einem Trojaner zu tun, der sich mitten in der Gesellschaft, die seinen Einfluss um der funktionalen Vorzüge willen, die es fraglos besitzt, billigt und begrüßt, der sich in sie einschleicht und in seinem Sinne formiert.

Weil Geld prinzipiell unmoralisch ist und über das System hinaus, das es im engeren Sinn codiert (die Wirtschaft) in einer Art Konkubinat mit allen anderen sozialen Sphären (Politik, Wissenschaft, Kunst, Familie etc.) lebt, ist Geld immer in der Welt, um möglichst alles in sich auszudrücken. Simmels „Philosophie des Geldes“ lässt sich daher auch heute noch als aktuelle Theorie seines Ausdehnungswillens, seiner ihm wesensmäßig innewohnenden Übergriffigkeit lesen. Und natürlich als Aufforderung: Die Bestimmung der Zugriffsrechte des Geldes und seiner zirkulierenden Menge, die Lenkung seines Einflussbereiches und die Begrenzung seiner Taxierungsmacht sind Aufgaben, die sich jeder Geld-Gesellschaft selbstverständlich stellen, immer wieder neu: Es liegt allein an uns, über das zu verfügen, was wir vom zügellosen Geld als Wert bearbeitet und verglichen - und was wir seiner Bearbeitung und Vergleichung als Würde entzogen - wissen wollen.

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