Tauchsieder
Was ist Geld? - Angefangen hat alles mit Muscheln Quelle: imago images

Was ist Geld?

Ökonomen fragen, um den Kapitalismus zu verstehen? Falsche Adresse. Lieber Georg Simmel lesen und seine „Philosophie des Geldes“. Eine kleine Würdigung zum 100. Todestag des Soziologen.

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Was ist Geld? Diese Frage ist allein für Wirtschaftswissenschaftler leicht zu beantworten: Geld differenziert und verflüssigt den Handel von Marktteilnehmern, es verkürzt die Tauschvorgänge der Erwerbsgetriebenen und es verringert die dabei anfallenden Transaktionskosten - so die Quintessenz der klassischen Nationalökonomie. Für sie ist Geld ein Stimulanzmittel der Wirtschaft, ein Gut, das als Gegenleistung für eine Ware allgemein akzeptiert ist (Tauschmittel), alle vorhandenen Güter wertmäßig einander vergleichbar macht (Recheneinheit) und sich lagern und speichernd lässt (Wertaufbewahrungsmittel). Dass Geld, weit über seine funktionale Könnerschaft hinaus auch die Leitwährung der Moderne ist, das prägende Signum kapitalistischer Gesellschaften, ist für Ökonomen nicht der Rede wert.

Dabei hat schon eine ihre großen Randfiguren, Georg Friedrich Knapp, vor mehr als 100 Jahren darauf hingewiesen, wie defizitär der Geldbegriff der Ökonomen ist. Das so hübsch erdachte Marktgeld der Wirtschaftstheorie, so Knapp, sei in Wahrheit nur ein Derivat des Staatsgeldes, das seine Vorzüge als universelles Zahlungsmittel nur dann entfalten kann, wenn ein Souverän ihm Autorität und Gültigkeit verleiht. Seine Funktionsfähigkeit hängt eben nicht von einem consensus omnium der Kaufleute ab, sondern von der Protektion des Staates - und vom Vertrauen der Geldgesellschaft in den Emittenten des Geldes als Garant und Hüter seines Wertes: Kein Geld, so Knapp, ohne Legitimation und Deckung: „Im Anfang ist ein Staatsakt“, durch ihn wird Geld zu Geld: als ein gesetzliches Zahlungsmittel.

Es ist kinderleicht einzusehen, dass die multiplen Börsen-, Währungs- und Finanzkrisen seit der Lehman-Pleite vor zehn Jahren nur unter Einschluss des Knappschen Geldbegriffs verstehbar sind: Ohne ein regierungsamtliches „Ihr Geld ist sicher“ (Merkel) und ein notenbankgeprägtes „Whatever it takes“ (Draghi) würde sich alles freie Tausch-Geld der Wirtschaftstheorie und Kaufleute ständig in Luft auflösen. Mehr noch: Die Verschränkung von Markt und Staat, die gemeinsame, privat-öffentliche Schöpfung von (Kredit-)Geld ist das entscheidende Systemkennzeichen der modernen Geldwirtschaft. Wer den Kapitalismus heute nicht als finanzmarktliberalen Wohlfahrtstaatsschuldenkapitalismus begreift, begreift seine elementarste Grundlage nicht.

von Kristina Antonia Schäfer

Auch Philosophen und Soziologen haben den putzig-eindimensionalen Geldbegriff der Ökonomen korrigiert und erweitert. Sie verstehen unter Geld vor allem ein Medium, das die Welt der Wirtschaft codiert und strukturiert wie etwa Macht die Politik und Wahrheit die Wissenschaft (Niklas Luhmann). Seine Bedeutung hat dieses Geld vor allem als Symbol mit Mitteilungscharakter - als Zahlungsmittel, dessen Gebrauch allgemein akzeptiert ist und daher vor allem als Vertrauen in Umlauf ist - und das zudem das Vermögen besitzt, Frieden zwischen Konkurrenten zu stiften, die auf ein knappes Gut zugreifen wollen. Max Weber hat in diesem Zusammenhang bekanntlich von Wirtschaften als einer „friedlichen Ausübung von Verfügungsgewalt“ gesprochen.

Eingeführt als Zahlungs-Mittel, hat man sich dieses Geld mit dem Ökonomen Hajo Riese vor allem juristisch vorzustellen, als eine Art Kontrakt: Es erfüllt Vertragsverhältnisse und tilgt Schuldverhältnisse zwischen Marktteilnehmern. Dahinter steht der Gedanke, dass eine Zahlung den direkten Austausch von Gütern gewissermaßen unterbricht - und dass das Geld bei diesem Austausch von Gütern eine Schuld speichert, die erst beglichen ist, wenn der Empfänger der Zahlung seinerseits eine Zahlung leistet: Das Geld ist „für einen späteren Austausch gleichsam Bürge“, wusste schon Aristoteles.

Den entscheidenden Grundstein für ein Verständnis von Geld in seiner modernen Bedeutungsfülle als Markt- und Staatsgeld, als Schuld, Kapital und Vermögen, als Medium und Vertrag, als geprägtes Vertrauen und Machtinstrument, aber hat fraglos Georg Simmel in seiner „Philosophie des Geldes“ (1900) gelegt. Er ist in diesen Tagen vor 100 Jahren gestorben. Und sein Buch sollte heute noch jedem angehenden Manager, Ökonomen und Politiker aufs Kopfkissen gelegt werden. Denn für Simmel geht mit seinem Geldbegriff buchstäblich auf Ganze: Für ihn ist das Geld die Imprimatur der Moderne - so wie es Gott in der Vormoderne war.

Die Macht des Geldes

Die Ausgangsfrage bei Simmel lautet: Wenn Geld, wie man sagt, Kaufkraft besitzt - bis auf welche Gebiete mag sie sich erstrecken? Simmel ist fasziniert von dem Gedanken, dass ausgerechnet das Geld als nichtiges Dazwischen all der produzierten und gehandelten Dinge, die Menschen (überlebens-)wichtig sind, zum alles bestimmenden Faktor einer durchökonomisierten Gesellschaft aufgestiegen ist. Offensichtlich, so Simmel, wohnt dem Geld, gerade weil es wertfrei, indifferent und unbestimmt ist, das ungeheure Vermögen inne, absolute Qualitäten in sich auszudrücken, sie in Beziehung zu sich zu setzen, ihren Wert zu bezeichnen, sie qualitativ zu taxieren, kurz: sie auf seinen, kleinen Nenner zu bringen. Als „reine Verkehrsreform“, die keine echten Wurzeln im realen Dasein besitzt, hat es einen von der Wirklichkeit schier unbegrenzten „Kreis von Möglichkeiten“.

Eine Kuh etwa, die für einen Bauern im Mittelalter vor allem ein Lebewesen war, stellt in der Matrix der Simmelschen Geldmoderne vor allem „einen abstrakten Geldwert in der zufälligen Gestalt einer Kuh“ dar - und eine Prostituierte keine Person mit personaler Dignität, sondern eine Dienstleistung, die in jeder Hinsicht genauso flüchtig und oberflächlich ist wie das Geld, mit der man sie (die Dienstleistung nämlich) bezahlt. Für Simmel ist Geld eine „jede Herzlichkeit ausschließende Sachlichkeit“, man kann auch sagen: die monetäre Entsprechung der Prostitution. Denn „die Indifferenz, mit der es sich jeder Verwendung darbietet, die Treulosigkeit, mit der es sich von jedem Subjekt löst, weil es mit keinem eigentlich verbunden war“ stiftet „eine verhängnisvolle Analogie“ zwischen ihm und der eingekauften Triebabfuhr, so Simmel: Indem Geld bezahlt wird, ist die Begegnung zwischen Freier und Dirne vollkommen ihrer „individuellen Bestimmtheit“ enthoben und auf einen Akt beschränkt, aus dem alles Persönliche verbannt ist. Das Geld ist, wie die momentane Begierde, deren Befriedigung die Prostitution dient, der exakte Ausdruck dessen, was zu nichts verbindet: „Indem man mit Geld bezahlt (hat), ist man mit jeder Sache am gründlichsten fertig.“

Die Attraktivität des Geldes, der primäre Grund, weshalb wir es begehren, liegt für Simmel daher in einer vierfachen Negativität. In der Folgenlosigkeit, mit der wir es hergeben. In der Rücksichtslosigkeit, mit der wir es verwenden können. In der Restlosigkeit, mit des es ein Geschäft abschließt. Und in der Beziehungslosigkeit, die es zwischen Menschen knüpft. Geld hinterlässt keine Spuren, interessiert sich nicht für die Motive, derentwegen es seine Besitzer wechselt und erlaubt uns einen völlig unpersönlichen Zugriff auf alles, was wir begehren. Auf seinem Mangel an Halt, auf seinem berechnenden Abstand zur dinghaften Wirklichkeit, beruht seine alles umfassende Kaufkraft und Faszination: Der Egoismus findet an der „absoluten Sachlichkeit“ des Geldes „reinen Tisch vor“.

Spätestens an dieser Stelle muss daher auch von der Macht des Geldes die Rede sein - von Geld nicht nur als gesamtgesellschaftlicher Meta-Währung, sondern auch vom Greenback der Moderne: Denn Geld schafft (auch) die klaren Verhältnisse, die es angeblich nur beurkundet. Wenn Geld die Totalität eines Menschen aufwiegen kann (Blutgeld, Sklaverei, Menschenschmuggel), wenn es uns den problemlosen Zugriff auf fremde Körper erlaubt (Prostitution), wenn es Pflichten kaufen, Überzeugungen ändern und Meinungen beeinflussen kann (Bestechung, Wahlmanipulation, Stimmenkauf)= - dann haben wir es mit einem Trojaner zu tun, der sich mitten in der Gesellschaft, die seinen Einfluss um der funktionalen Vorzüge willen, die es fraglos besitzt, billigt und begrüßt, der sich in sie einschleicht und in seinem Sinne formiert.

Weil Geld prinzipiell unmoralisch ist und über das System hinaus, das es im engeren Sinn codiert (die Wirtschaft) in einer Art Konkubinat mit allen anderen sozialen Sphären (Politik, Wissenschaft, Kunst, Familie etc.) lebt, ist Geld immer in der Welt, um möglichst alles in sich auszudrücken. Simmels „Philosophie des Geldes“ lässt sich daher auch heute noch als aktuelle Theorie seines Ausdehnungswillens, seiner ihm wesensmäßig innewohnenden Übergriffigkeit lesen. Und natürlich als Aufforderung: Die Bestimmung der Zugriffsrechte des Geldes und seiner zirkulierenden Menge, die Lenkung seines Einflussbereiches und die Begrenzung seiner Taxierungsmacht sind Aufgaben, die sich jeder Geld-Gesellschaft selbstverständlich stellen, immer wieder neu: Es liegt allein an uns, über das zu verfügen, was wir vom zügellosen Geld als Wert bearbeitet und verglichen - und was wir seiner Bearbeitung und Vergleichung als Würde entzogen - wissen wollen.

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