Es dauerte nur fünf Tage, da hatte der neue Technologiestar eine Million Nutzer. Die Online-App ChatGPT schreibt kostenlos Texte über nahezu jedes Thema, selbst Gedichte sind kein Problem. Nicht nur Lehrer und Professoren sind alarmiert, auch Google bangt um den Erfolg seiner Suchmaschine. Entwickelt hat das System Open AI, ein Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz aus Kalifornien, das zuvor nur Insidern bekannt war. ChatGPT steht für Chat Generative Pre-trained Transformer. Der Anwendung wird zugetraut, die Technologiebranche zu revolutionieren, ein „next big thing“, wie das iPhone, Googles Suchmaschine oder das Netzwerk Facebook. Sie alle bieten jetzt reife Produkte – und ihre Aktien sind 2022 trotzdem abgestürzt. Eine Verlangsamung der Konsumausgaben und aggressive Zinserhöhungen schwächten sie, jetzt werfen sie Tausende Leute raus. Wachstumsaktie wurde vom Qualitätssiegel zum Schimpfwort.
Mit einer Beteiligung von mehreren Milliarden Dollar an ChatGPT konnte Softwareriese Microsoft allerdings vom neuen Hype profitieren. Er plant, das Programm in seine Suchmaschine Bing sowie in Word zu integrieren. Das hat nicht nur die Microsoft-Aktie zu neuem Leben erweckt. Auch viele andere Technologieaktien haben in den vergangenen Tagen die bei Börsianern stark beobachtete 200-Tage-Linie wieder überschritten. Das gilt allgemein als ein Zeichen für einen neuen Aufwärtstrend.
Ob die Technologiefonds ihre Verlustphase hinter sich haben? Da gibt es noch ein paar Fragezeichen: Bremsen die Notenbanken mit noch höheren Zinsen, wie heftig wird die Konjunktur in den USA und Europa schwächeln, wie hart greifen die Regulatoren durch – und: Wie entwickelt sich China? Die Schlüsselfrage aber ist, ob die Kurse jetzt schon so weit unten sind, dass sich neue Käufer in den Markt wagen.
Die Fondsmanager im WirtschaftsWoche-Ranking der Technologieaktienfonds sind aus dem Markt nie ausgestiegen. Wer hier auf die ersten Plätze will, muss sich in der Technologiebranche sicher bewegen, in jedem Umfeld. Nach vorn schaffen es nur Fonds, die durch niedrige Verluste überzeugten und Kursschwankungen begrenzen konnten. Denn das Arnsberger Analysehaus MMD bewertet auch die von den Fondsmanagern eingegangenen Risiken, eine hohe Rendite allein reichte nicht.
Methodik
Analysiert wurden 146 Aktienfonds und ETFs, die sich auf Technologie spezialisiert haben. Sie müssen in Deutschland verkauft werden, wenigstens 20 Millionen Euro Volumen haben, mindestens drei Jahre alt sein und Privatanlegern mit kleineren Einstiegssummen angeboten werden. Der Vergleich der Fonds über die vergangenen drei Jahre 2020 bis 2022 gibt Aufschluss darüber, welcher Fondsmanager oder ETF in Aufschwung- und Abschwungphasen an der Börse am besten zurecht kam.
Manche Unternehmen werden an ihre Höchstkurse aus 2021 kaum wieder herankommen. Einst beliebte Aktien von Fitnessradanbieter Peloton, der Videoplattform Zoom oder auch dem US-Fintech für Ratenkredite, Affirm Holdings, gehörten 2022 zu den schlechtesten (siehe Grafik).
Doch es gab auch positive Überraschungen, getrieben etwa vom Megatrend Klimaschutz: Enphase Energy, Hersteller von Wechselrichtern, die bei Solaranlagen Gleichstrom in leitungsfähigen Wechselstrom verwandeln, legte 44 Prozent zu. Kay Tönnes, Fondsmanager des Antecedo Defensive Growth, der das WirtschaftsWoche-Ranking anführt, hat Enphase im Depot. Ende Januar sitzt Tönnes an einem regnerischen Freitagnachmittag in seinem Büro in Bad Homburg. Einziger Hingucker in den weiß getünchten Büroräumen mit den vielen Bildschirmen ist ein riesiges Foto der Frankfurter Skyline im Abendlicht. Die spartanische Einrichtung lenkt nicht ab. Tönnes ist ein Spezialist für Risikomanagement. Er investiert nicht in die innovativste Techentwicklung, sondern stets nur in Aktien aus dem Technologieindex Nasdaq 100, Enphase war also eher ein Zufallstreffer. Im Fonds steckt zudem stets noch eine Art Versicherung, die Verluste ausgleicht, wenn am Markt ein Unfall passiert – wie im vergangenen Jahr (siehe Chart).
Gut gehalten: Nasdaq mit Netz
Was für viele Fondsmanager nur eine erlaubte Notbremse in Zeiten rasant fallender Kurse ist, nutzt Tönnes als tägliches Sicherheitsnetz: Er kauft und verkauft Derivate, abgeleitete Wertpapiere, mit denen er auf die künftige Kursentwicklung setzen kann. Tönnes hatte sich nie der lange verbreiteten Meinung angeschlossen, dass der Nasdaq-Index den unaufhaltsam scheinenden Aufwärtstrend beliebig fortsetzen werde. Der Index hat im Jahr 2022 hohe 33 Prozent verloren, der bei Großanlegern beliebte Antecedo-Fonds nur zwölf Prozent.
Kai Tönnes
Fondsmanager, Bad Homburg
Antecedo Defensive Growth
Fondsstrategie:
Aktien des US-Index Nasdaq 100 und Sicherungsinstrumente. Mit dem Solarprofiteur Enphase Energy war auch eine der Top-Aktien 2022 im Depot
Wichtig im Depot:
Microsoft, Apple, Amazon, Alphabet, Nvidia, Tesla, Meta
Vier Milliarden Euro verwaltet Antecedo in Fonds ähnlicher Machart. Man brauche viel Gespür dafür, wie sich Derivate in verschiedenen Marktsituationen entwickeln, sagt Tönnes. Steigen die Aktienkurse, verzichtet er zugunsten der Absicherung auf rund ein Drittel des Kursanstiegs. Fonds, die höhere Verluste aufholen müssen, überholen ihn in diesem Jahr.