Ulrich „Richie“ Engler Die unglaubliche Geschichte eines Betrügers

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Ein Opfer seiner Gier?

Wochenlang ratterten seine Fingerabdrücke durch Computerdatenbanken, bis es endlich einen Treffer gab: Der Betrunkene hieß nicht Joseph Miller, sondern Ulrich Engler. In Deutschland mehrfach per Haftbefehl gesucht. Die Beamten zogen ihr Netz schnell zu. Vier Monate später fanden sie Engler wieder. Ausgerechnet in Las Vegas. Zwölf US-Marshalls jagten ihn in ihren Autos über den Highway, drängten ihn ab. Mit gezogenen Pistolen rannten sie auf sein Auto zu, zogen Engler vom Sitz.

Während er in Handschellen mit dem Gesicht zum Boden auf dem Highway lag, fanden die Marshalls Hunderttausende von Dollar im Kofferraum und einen Schlüssel für eine Lagerhalle. Noch mehr Geld, Schmuck und Tausende von Gemälden hatte Engler dort gehortet, darunter ein Bild des russischen Expressionisten Wasily Kandinsky. Allein dies könnte mehr als eine Million Dollar wert sein.

Was bleibt von Engler? Vor allem Opfer. „Ich habe geweint“, sagt Lothar Ritter. Der Mann, der Engler 600.000 Dollar anvertraute, hat seinen Lebenstraum verloren. Ein Segelboot wollte er sich kaufen - hatte Jahrzehnte dafür gespart. Seine Frau sagt: „Er hat durch Engler den Spaß am Leben verloren.“ Ritter sagt, durch Engler habe er auch etwas gelernt: „Es ist egal, ob ich 600.000 Dollar habe, 800.000 oder eine Million. Ich kann es nicht fressen.“

Der ehemalige Staatsanwalt und heutige Wirtschaftsstrafrechtler Volker Hoffmann hat viele Schneeballsysteme erlebt. Sein Eindruck: Wer kriminell werden will, ist mit dieser Masche gut beraten. Es ist keine Gewalt nötig, die Opfer bringen ihr Geld fast von selbst. Dadurch haben die Betrüger oft Jahre Zeit, ihren Ausstieg zu planen. Hoffmann: „Der tatsächlich entstandene Verlust wird bei einem Schneeballsystem typischerweise bis zum Zusammenbruch verschleiert.“

Ulrich Engler ist zurück in Deutschland. Auf dem Boden der Realität aufgeschlagen, nach einem schier unglaublichen Höhenflug. Sein Koffer wird von der Bundespolizei in die JVA Mannheim gebracht. Ein Dutzend Blätter mit Belegen für die Polizei sind darin, Jogginganzüge, und sein Kulturbeutel. Mehr ist ihm nicht geblieben. „Ich bin froh, dass es vorbei ist“, sagt Engler noch am Flughafen zu seinem Anwalt Steffen Lindberg. „Endlich bin ich wieder in Deutschland.“

Aber hier wartet auch nichts Gutes auf ihn. 1295 Fälle hat sich die Staatsanwaltschaft exemplarisch herausgegriffen, für die sie jahrelang Beweise gesammelt hat. Die Anklage gegen Engler wird lauten: Schwerer bandenmäßiger Betrug. 15 Jahre könnte er dafür hinter Gitter kommen. Engler ist voll geständig. Die Abende verbringt er in seiner Zelle im Mannheimer Knast, macht sich Notizen aus 19 Jahren Lug und Trug. Tagsüber sitzt er beim LKA. Es sind lange, zähe Verhöre. Und Engler redet wieder. Über ein halbes Leben als Betrüger.

Es ist vielleicht seine letzte Geschichte. Die von einem der größten Finanzverbrechen Deutschlands. 5000 Anleger, 500 Millionen Dollar Schaden. Und auf die Frage, wie das alles kommen konnte, warum er all diesen Menschen so viel Leid zugefügt hat, kommt diese Antwort: „Herr Engler ist damals von seinem Erfolg überrollt worden, und irgendwann war es zu spät, um auszusteigen“, sagt sein Anwalt.

So sieht Engler sein Ende. Nach all den Versprechungen, die er machte, all dem Luxus, in dem er lebte. Jetzt, in seiner Gefängniszelle, will Engler nicht mehr sein als seine Kunden, seine Komplizen: ein Opfer seiner eigenen Gier.

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