Verkehrte (Finanz-)Welt
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Das kapitale Dilemma der Wachstumsfinanzierung

In Deutschland fehlt es an langfristig orientierten Risikokapitalgebern. Gründerfreundlichere Rahmenbedingungen oder steuerliche Anreize wären ein guter Anfang.

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Wachstum braucht Kapital. Kapital gibt es auf Grundlage von Vertrauen und Erfolg. Erfolg beruht wiederum auf Wachstum – ein finanzstrategisches Dilemma, welches besonders kapitalintensive Wachstumsbranchen trifft. Doch wie gelingt es hier auszubrechen und wie formen wir in Deutschland hochinnovative Technologieunternehmen, die es mit den amerikanischen und asiatischen Wettbewerbern aufnehmen können?

Auch beim Biotechnologieunternehmen BRAIN haben wir diese Situation schon erlebt, als wir unsere Aktionäre um Zustimmung für eine Kapitalerhöhung bitten mussten, die uns für mögliche M&A-Aktivitäten Flexibilität geben sollte. Wenige Monate später folgte dann tatsächlich der Gang an den Kapitalmarkt und eine Erhöhung des Grundkapitals, allerdings ohne ein konkretes Übernahmeziel benennen zu können. 

Unternehmen in Wachstumsphasen stehen immer wieder vor der Aufgabe, neues Kapital einzuwerben zu Zeitpunkten, bei denen zuvor geäußerte strategische Absichten noch nicht vollständig umgesetzt werden konnten oder neue konkrete Schritte noch nicht artikuliert werden können. Wesentliche Voraussetzung für derartige Maßnahmen ist deshalb das Vertrauen des Kapitalmarkts und deren Akteure. Neben einer überzeugenden Geschäftsstrategie müssen zur langfristigen Vertrauensbildung auch Unternehmenserfolge umgesetzt werden, die nicht selten auf den zuvor lancierten Kapitalerhöhungen und Finanzierungsrunden beruhen.

Wachstumsfinanzierung erfordert langen Atem

Gerade für Transformationsprozesse in Unternehmen bedarf es vor allem einer nachhaltigen Wachstumsfinanzierung. Langfristig orientierte Risikokapitalgeber sind hier von besonderer Bedeutung. Schließlich brauchen Lösungen im Technologiesektor, insbesondere im Bereich der Biotechnologie, in dem die BRAIN AG aktiv ist, einen langen Atem. Das gilt umso mehr, wenn es sich um hochregulierte Branchen handelt. Für marktfähige Innovationen bedarf es zudem auch Marketingmaßnahmen und es müssen Marktzugänge geschaffen werden. Nur mit enormer Überzeugungsarbeit ist das Dilemma von Wachstumsziel, Erfolgsmeldung und langfristiger Vertrauensbildung aufzulösen. 

Dabei haben es deutsche Start-ups und innovative Unternehmen aber im Vergleich zu ihren US-Pendants deutlich schwerer. Anders lässt es sich kaum erklären, dass Alphabet, Apple, Facebook oder Tesla in Kalifornien zu Tech-Riesen gewachsen sind und nicht etwa in Berlin, Dortmund oder München. Diese Erfahrung mussten auch wir beim Aufbau unseres Geschäftssegments BioIndustrial ab 2008 machen.

Dank der Einbindung langfristig orientierter Risikokapitalgeber konnten jährlich signifikante Beträge in die Entwicklung eigener Produkte und Prozesse der BRAIN AG investiert werden – bis hin zum Börsengang im Jahr 2016. Das war jedoch nur mit viel Mühe und Überzeugungsarbeit möglich. Denn hierzulande fehlt es schlichtweg an Venture Capital und einer echten Wagniskultur. Während im Silicon Valley im Falle überzeugender Ideen schnell einmal zweistellige Millionenbeträge in Start-ups gesteckt werden, müssen deutsche Innovatoren selbst um Bruchteile dessen kämpfen. Sicherlich hat das Niedrigzinsumfeld in Ermangelung an Alternativen hier die Entwicklung des Segments beschleunigt. Risikoinvestments sind aber nach wie vor ein äußerst zartes Pflänzchen. 

Rahmenbedingungen brauchen mehr als Kosmetik

Entsprechend wäre es wünschenswert, möglichst simple und gründerfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Ein positives Signal sind die jüngst beschlossenen Vereinfachungen der Prospektverordnung, mit der der Gesetzgeber unter anderem Börsengänge von Mittelständlern mit Wachstumsambitionen vereinfacht hat. Bisher waren Börsenprospekte oftmals geprägt von der Herausstellung umfangreicher Haftungsrisiken, was Prozesse verlangsamte und für Investoren nur begrenzte Erkenntnisse brachte.

Auf die Notwendigkeit weiterer struktureller Erleichterungen für forschende Unternehmen hat jüngst der deutsche Bioökonomierat hingewiesen. In einem Thesenpapier stellt er fest, dass in Ländern wie Frankreich, Finnland, China und den USA ein deutlich stärkerer politischer wie wirtschaftlicher Gestaltungswille für die Bioökonomie zu beobachten sei. Zur Aktivierung des deutschen Kapitalmarktes für Start-ups und wachsende Unternehmen empfiehlt der Rat beispielsweise steuerliche Anreize, um der Innovationskraft des Standorts den Rücken zu stärken. 

Dies könnte dann nicht nur Unternehmen dabei helfen, dem beschriebenen Zirkelschluss leichter zu entkommen. Anleger könnten sich gleichzeitig neue Investmentchancen im Niedrigzinsumfeld erschließen. Und vielleicht wird dann auch der Weg geebnet, den durchaus attraktiven Standort Deutschland mit Rechtssicherheit und gutem Fachkräftepotenzial in ein europäisches Silicon Germany zu verwandeln.

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