Verkehrte (Finanz-)Welt
Carsten Mumm Quelle: Presse

Disruption? Für Vermögensverwalter nichts Besonderes!

Überall ist von Disruption die Rede. An den weltweiten Börsen gehören Umwälzungen zwar seit Jahrzehnten zum Alltag. Trotzdem müssen auch Vermögensverwalter agiler werden, um dem Wandel zu trotzen.

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"Disruption" ist eines dieser Modewörter, die heutzutage auf kaum einer Tagung fehlen dürfen. Dabei gehört sie für Vermögensverwalter längst zur Normalität. Zumindest, wenn man das heutzutage allerorten benutzte Wort „disruptiv“ nicht ausschließlich auf Produktinnovationen bezieht, sondern im weiteren Sinne an eine völlige Umkehr gewohnter Grundannahmen denkt. Allerdings hat sich die Geschwindigkeit der Veränderungen erhöht und erfordert agiles Handeln sowie entsprechende Anpassungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Zwei turbulente Börsendekaden

In den vergangenen 20 Jahren kam es zu einigen extremen Bewegungen sowie unerwarteten Trend- und Regimewechseln an den internationalen Kapitalmärkten. So folgte dem Aufblähen und Platzen der Internetblase Ende der Neunziger Jahre beziehungsweise am Anfang des Jahrtausends ein erneuter Börsenaufschwung. Der endete 2008 wiederum in einer heftigen Abwärtsbewegung. Wie immer an den Börsen waren die Ursachen für die Kursstürze historisch beispiellos und daher für die meisten Marktteilnehmer nicht absehbar. Am Anfang stand die völlig überzogene New-Economy-Euphorie, danach folgte der Zusammenbruch eines unüberschaubaren Gerüstes aus Verbriefungen und den dahinter verschachtelten Verschuldungsverhältnissen.

Der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers folgte eine Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise, wie sie alle damals aktiven Asset Manager noch nicht erlebt hatten. Am Ende stand in der Eurozone eine massive Staatsschulden- und Vertrauenskrise. Die Therapie der ultra-expansiven Geldpolitik hatte für den Patienten jedoch unerwünschte Nebenwirkungen. Die Liquiditätsschwemme ließ das Zinsniveau in unerwartete Sphären abrutschen – teilweise sogar in den negativen Bereich. Das wiederum führte zu heftigen Preissteigerungen bei Anleihen, Aktien, Immobilien und anderen Anlagen.

Gewohnte Bewertungsmaßstäbe greifen nicht mehr

Sowohl theoretische Zusammenhänge als auch praktische Erfahrungen bieten in solchen extrem turbulenten Marktphasen immer weniger Orientierung. So basiert die Kapitalmarkttheorie unter anderem auf dem Vorhandensein eines risikolosen positiven Zinses. Mit einem Null- oder Negativzins funktionieren viele Formeln schlicht nicht mehr. Die Theorie der normalverteilten Renditen sieht keine zwei Aktienkursstürze von 50 Prozent und mehr innerhalb von acht Jahren vor.

Historisch beispiellos ist zudem, dass die Kapitalmärkte über Jahre hinweg so massiv von Entscheidungen der Notenbanken oder (geo-)politischen Entwicklungen beeinflusst werden. Der jüngste Beweis für die rasante Veränderungsintensität an den Kapitalmärkten ist der für die meisten Marktteilnehmer völlig überraschende und kaum nachvollziehbare Aufstieg der Kryptowährungen. Viele von ihnen haben schon Schwierigkeiten, das „neue Geld“ überhaupt zu verstehen. Die Wissenschaft ist indes noch auf der Suche nach geeigneten Bewertungssystematiken. Wenn gewohnte Zusammenhänge nicht mehr gelten, müssen auch Vermögensverwalter ihre Entscheidungsprozesse anpassen.

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Systematisches Risikomanagement gefragt

Zwar spielen Wertsicherungsstrategien nach den Erfahrungen seit der Jahrtausendwende bereits länger eine wichtige Rolle. Aktuell nimmt die Bedeutung risikofokussierter Anlagestrategien jedoch noch einmal deutlich zu. Wegen der – voraussichtlich noch jahrelang – anhaltenden Niedrigzinsen fragen gerade risikosensitive Anleger vermehrt nach risikoreicheren Anlagen wie zum Beispiel Aktien. Aufgrund enger Risikobudgets oder der Gefahr emotional bedingter Fehlentscheidungen in Stressphasen bedarf es daher mehr denn je eines systematischen Risikomanagements.

Robuste Strategien

Wichtig sind dabei robuste Strategien, die insbesondere bei extremen Marktentwicklungen ihre risikoreduzierende Eigenschaft nicht verlieren. So nahmen in der Vergangenheit beispielsweise Korrelationen, also der Gleichlauf zwischen verschiedenen Anlageklassen, ausgerechnet in Abwärtsbewegungen deutlich zu. Einer der Grundgedanken der Portfoliotheorie, die Risikoreduzierung durch Diversifikation beziehungsweise Risikostreuung, wirkte nur eingeschränkt.

Vermögensverwaltung muss digital werden

Andere Ansätze scheiterten daran, dass angenommene Zusammenhänge zwischen Indikatoren und der zukünftigen Konjunktur- oder Kapitalmarktentwicklung aufgrund eines Regimewechsels nicht mehr funktionierten.

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Ein Beispiel ist das Zusammenspiel von Arbeitslosigkeit und Lohnentwicklung. So waren in den letzten Jahren sowohl in Deutschland als auch in den USA trotz eines fast erreichten Vollbeschäftigungsniveaus keine nennenswerten Lohnsteigerungen und damit auch kein lohninduzierter Inflationsdruck zu verzeichnen. Als Ursache werden unter anderem die Auswirkungen der Globalisierung und zunehmend auch die im vollen Gang befindliche digitale Revolution genannt. Erkannt wurde diese Entwicklung von den meisten jedoch erst im Nachhinein.

Schon heute ist absehbar, dass auch die Asset Management-Branche in den kommenden Jahren direkt und maßgeblich von den Auswirkungen der Digitalisierung beeinflusst wird. Die Nutzung von künstlicher Intelligenz, Robotik, Automatisierung und Big Data-Analyse wird nicht nur auf die Gesellschaft, jeden einzelnen Menschen, den Arbeitsmarkt und staatliches Handeln massiv einwirken.

Vermögensverwalter müssen sich diesen Entwicklungen stellen und ihre Prozesse völlig neu definieren – angefangen bei einem digitalisierten Marktauftritt, um Interessenten und Kunden Informationen in für sie gewohnter digitalisierter Art und Schnelligkeit weiterzugeben. Aber es geht auch darum, neue Technologien in die Investmententscheidungen einzubinden. Anlageausschüsse, die in regelmäßigen größeren Abständen tagen, haben schon lange ausgedient. Die technologische Unterstützung durch Regelwerke, Modelle oder sogar digitalisierte Analysten wird schon in naher Zukunft eine noch viel größere Bedeutung haben.

Dabei werden die konkreten Konzepte völlig unterschiedlich sein. Wichtig ist nur, dass diese Emotionen ausblenden, weitgehend ohne Prognosen auskommen, sehr robust funktionieren sowie dynamisch und schnell ihre Allokation anpassen können. Die Bandbreite wird entsprechend groß sein. Sie dürfte von Trendfolge- oder Momentum-Strategien über Analysemethoden, die die Auswirkungen der digitalen Revolution explizit berücksichtigen, bis hin zu voll digitalisierten Algorithmen reichen.

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