Verkehrte (Finanz-)welt
Aktienanalyst Illustration Quelle: Imago/mst

Ist der Aktienanalyst vom Aussterben bedroht?

Aktienanalysen sind teuer und aufwendig. Aber weil die Vermögensverwalter und Fondsmanager immer weniger dafür ausgeben wollen, gibt es auch weniger Analysten. Schuld ist der Preisdruck im Wertpapierhandel.

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Nach einem fast zehnjährigen Bullenmarkt in den weltweiten Aktienmärkten mit einer Vervierfachung der Indizes von ihren Tiefständen aus dem Jahr 2009, befindet sich ein Teilsegment des Investmentbankings erstaunlicherweise weiterhin auf der Intensivstation: der Aktienhandel und das damit verbundene Aktien-Research. Hier hat die Finanzkrise bis heute nicht aufgehört. Nirgends sonst hat sich die ominöse Prognose des einstigen Deutsche-Bank-Vorstands Ulrich Cartellieri so sehr bewahrheitet, der schon in den Neunzigern warnte: die Banken seien „die neue Stahlindustrie“. Doch diese Entwicklung könnte die Aktienmärkte in Schieflage bringen.

Preisverfall bedroht Aktienanalyse

Wenn der Preis einer Dienstleistung innerhalb von rund fünfzehn Jahren einen Rückgang von bis zu 70 bis 80 Prozent verzeichnet, kann man sich gut ausmalen, dass der Anbieter vermutlich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt. Das Platzen von zwei Aktienmarktblasen in den Jahren 2001 bis 2003 sowie 2007 bis 2009 und strukturelle Veränderungen haben im Aktienhandel genau dies bewirkt. Im heutigen Bullenmarkt dominieren ETFs (Exchange Traded Funds; börsengehandelte Fonds ohne aktives Management) und „Algo-Trades“ (computergesteuerte Handelsstrategien) das Börsenbild. In ihrem Windschatten konnten auch die großen Asset Manager ihre Konditionen bei den Brokern massiv verbessern. Institutionelle Anleger konnten die Preise in einigen Fällen auf 0,1 Prozent Provision pro Transaktion drücken, viele automatische Handelsstrategien und Fondsvermögen mit starker Marktmacht zahlen noch weniger.

Der Preisverfall im Aktienhandel bedroht eine bekannte und wichtige Kapitalmarkt-Spezies ganz besonders: den mehr oder minder unabhängigen Aktienanalysten. Diese einstmals überdurchschnittlich gut verdienenden Zahlenjongleure und Branchen-Insider, die noch immer als wertvolle Berater aktiver Fondsmanager fungieren, haben eine schwere Zeit hinter sich. Es handelt sich um einen personal- und damit kostenintensiven Bereich, der mit schwindenden Erträgen bei den Großbanken bereits deutlich zusammengestutzt wurde. Es besteht wenig Hoffnung auf einen Turnaround.

Qualität leidet – mit Folgen für Anleger und Wirtschaft

Die Folge sind schwere Verwerfungen in Qualität und Quantität des Aktien-Research, die primär kleinere Emittenten belasten. Hoch liquide Blue-Chip-Aktien in den führenden Aktienindizes werden zwar weiter hinlänglich von Analysten durchleuchtet und erhalten eine Menge an Liquidität aus passiven Handelsstrategien wie beispielsweise ETFs. Kleinere Titel, denen die Zugehörigkeit zu den führenden Indizes verwehrt bleibt, kämpfen dagegen erbittert um Aufmerksamkeit. Es ist nicht selten, dass es bei TecDax- oder SDax-Titeln nur eine Hand voll aktiver Analysten gibt, während sich die Dax-Werte einer Beaobachtung von in der Regel etwa 20 bis 30 Analysten erfreuen.

Unverzichtbare Analysten

Die Investor-Relations-Abteilungen kleinerer und mittlerer Unternehmen haben mit diesem Analysten-Schwund schwer zu kämpfen. Die Analysten und ihre Arbeitgeber sind als Vermittler und Multiplikatoren unverzichtbar, ihr allmählicher Niedergang entfernt die Emittenten weiter vom Puls des Kapitalmarkts.

Im akademischen Sinne steigert dies die Kapitalkosten vor allem kleinerer Unternehmen, da ihr Zugang zu institutionellen Investoren eingeschränkt wird und weniger Informationen und Analysen öffentlich und kommerziell verfügbar sind. Versucht ein Unternehmen, sich frisches Geld am Kapitalmarkt zu beschaffen, sind hohe Abschläge auf

den Kurs zu erwarten. Unter der hieraus resultierenden Verwässerung ihrer Anteile leiden vor allem die Altaktionäre. Gleichzeitig steigt das Risiko von Fehlinvestitionen in wenig bekannte Unternehmen.

Das sind die größten Anlegerfehler
Privatanleger machen vermeidbare Fehler Quelle: REUTERS
Mangelnde Streuung Quelle: REUTERS
Fehler 1: Mangelnde Streuung Quelle: AP
Fehler 1: Mangelnde Streuung - Gegenmittel Quelle: dpa
Fehler 2: Aktien-Picken - Befund Quelle: dpa
Fehler 2: Aktien-Picken - Folgen Quelle: dpa
Fehler 2: Aktien-Picken - Gegenmittel Quelle: dpa

Dies betrifft übrigens nicht nur private und institutionelle Anleger, sondern auch die Unternehmen selbst. Wenn Eigenkapitalkosten zu stark ansteigen, werden möglicherweise sinnvolle Investitionen nicht getätigt und das Wachstum der Realwirtschaft ausgebremst.

Konzentration auf große Werte droht, den Markt zu verzerren

Gleichzeitig profitieren die großen Konzerne von der zunehmenden Polarisierung. Ihre Kapitalkosten sinken weiter. Es droht eine strukturelle Überbewertung, wenn die Mehrheit der Investmentfonds und passiven Fonds ihre Anlagegelder noch stärker auf eine begrenzte Menge einzelner Aktien konzentriert, gleichzeitig aber die Hürden für neu an die Börse strebende kleine und mittlere Emittenten ansteigen. Eine solche Schieflage kann für den Gesamtmarkt und alle Anleger äußerst gefährlich werden: Beispielsweise dann, wenn liquide Aktien großer Konzerne in eine sich selbst verstärkende scharfe Korrektur geraten und aufgrund ihrer hohen Indexgewichtungen den Gesamtmarkt in die Tiefe ziehen.

An der Börse ist es zwar stets schwierig, Ursache und Wirkung genau zu diagnostizieren. Jedoch gibt es zumindest Anzeichen, dass auffallend scharfe Abverkäufe, wie etwa im Januar/Februar 2018, durch die hohe Konzentration der Anleger auf wenige große Titel  verstärkt worden sind. Denn bei plötzlichen Mittelabflüssen droht das Risiko, dass alle Marktteilnehmer synchron diese gleichen großen Titel verkaufen.

Einen Hoffnungsschimmer könnte die Regulierung bieten. Die neuen MiFID II-Regeln fordern eine separate Preisfindung des Corporate Access (Zugang der Unternehmen zum Kapitalmarkt) und Analysten-Research, also für Investoren andere Preise also für Aktienhändler. Es ist bereits zu beobachten, dass Analystenleistungen hierdurch aufgewertet werden. Denn nun werden sie stärker separat abgerechnet und den Emittenten nicht einfach als Mittel der Geschäftsanbahnung gratis bereitgestellt. Ein Top-Analyst, dessen Studien und Kommentare bei Investoren Beachtung finden, wird hierdurch für den Arbeitgeber wieder sichtbarer und wertvoller. Möglicherweise kann dies die Rahmenbedingungen für dieses im Kapitalmarkt weiterhin essentielle Berufsbild mittelfristig wieder etwas verbessern. Aus Kapitalmarktsicht kann das nur eine begrüßenswerte Entwicklung sein.

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