Verkehrte (Finanz-)Welt
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Künstliche Intelligenz: Algorithmus unter Aufsicht

Durch Künstliche Intelligenz (KI) und Auswertung gewaltiger Datenmengen übernehmen zunehmend hoch entwickelte Algorithmen die Verantwortung für Anlageentscheidungen. Ihre Marktrelevanz wächst. Was bedeutet das für Kapitalmärkte und Finanzmarktaufsicht?

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Nachdem Air Berlin im August 2017 Insolvenz angemeldet und im Oktober den Flugbetrieb eingestellt hatte, stellten Verbraucher und die Marktwächter des Bundeskartellamts fest, dass plötzlich die Preise bei der Lufthansa deutlich anstiegen. Lufthansa wies eine Ausnutzung der kurzfristig entstanden Monopolsituation von sich und verwies darauf, dass ein Computer-Algorithmus lediglich auf die gestiegene Nachfrage reagiere. Kartellamtspräsident Mundt stellte fest, das Unternehmen könne sich nicht hinter seinem computerbasierten Preissystem verstecken, schließlich würden „solche Algorithmen ja nicht im Himmel vom lieben Gott geschrieben“.

Doch was bei Airlines der Fall ist, könnte auch am Kapitalmarkt zu Marktverwerfungen führen. Man denke nur an den „Flash-Crash“ im Mai 2010, als innerhalb von Minuten durch computerbasierte Handelssysteme der Aktienmarkt um annähernd zehn Prozent einbrach und sich innerhalb der nächsten 20 Minuten wieder teilweise erholte.

Besonders brisant ist auch hier die Frage, wo die Verantwortung für Entscheidungen eines Algorithmus liegt. Bei der Geschäftsleitung von Banken und Finanzdienstleistern? Bei den Programmierern oder bei einem abstrakten Algorithmus?

Karl Heinz Krug, CFA, ist Berater im Bereich Business & Technology Solutions Public Finance bei der Unternehmens- und Technologieberatung Capgemini. Zuvor war er Leiter der Finanzkommunikation der AXA Deutschland sowie Bürgermeister und Stadtkämmerer der Stadt Bad Homburg vor der Höhe. Quelle: Presse

Es ist also nur konsequent, dass sich die Finanzmarktaufsicht verstärkt den modernen Technologien zuwendet und Algorithmen, Big-Data-Analysen und Künstliche Intelligenz einer genauen Betrachtung unterzieht. In einer umfassenden Studie „Big Data trifft auf Künstliche Intelligenz“ hat sich die Finanzaufsicht BaFin intensiv mit diesen Entwicklungen und deren Implikationen für die Kapitalmärkte auseinandergesetzt. Denn die Finanzbranche befindet sich, getrieben durch neue Technologien, in einem fundamentalen Wandel.

Die Verfügbarkeit von gewaltigen Datenmengen bildet die Grundlage, die es Künstlicher Intelligenz erlaubt, über Musteranalyse und -erkennung zukünftige Entwicklungen zu antizipieren und daraus (programmierte) Entscheidungen abzuleiten. Diese Systeme sind fähig, eine fast unendlich große Menge an Daten zu analysieren, zu verarbeiten und damit unterschiedlichste Quellen von Handelsmärkten, Finanzanalysen, Medienberichten bis hin zu Social-Media-Kanälen auszuwerten.

Das erhöht die Bewertungsfrequenz auch von illiquiden Assets. Marktteilnehmer versetzt diese insgesamt erhöhte Markttransparenz in die Lage, an einem fast vollständig effizienten Markt teilzunehmen. Soweit zu einem positiven Effekt von Big Data.

So funktioniert Künstliche Intelligenz

Die BaFin weist in ihrer Studie jedoch auch auf die Kehrseite hin: Algorithmen könnten eine Systemrelevanz erhalten, die sich auf Basis der bisherigen, an Kennziffern der Institute orientierten, klassischen aufsichtsrechtlichen Vorgehensweise nicht erkennen lässt. Mögliche Risiken für das Finanzsystem könnten so also unerkannt bleiben. Denn was ist, wenn diverse Algorithmen alle einem gleichen Muster folgen, verteilt in verschiedenen Instituten und Plattformen im Einsatz sind, und gleichgerichtete Entscheidungen vollziehen?

Eine solche Konstellation könnte Finanzmärkte destabilisieren und aufgrund einer „eigenen“ Künstlichen Intelligenz des Algorithmus auch nicht sofort in den Wirkungsmechanismen durchschaut werden. In Kombination mit einem wachsenden Anteil an ETF (Exchange Traded Funds), die ebenfalls automatisiert einen bestimmten Basiswert verfolgen und inzwischen, je nach Quelle, einen geschätzten Marktanteil von weltweit bis zu 20 Prozent haben, könnte ein KI-Algorithmus sehr schnell systemrelevant werden.

Nutzung von KI durch die Finanzmarktaufsicht

In der Konsequenz müssen technische Sicherheitsmaßnahmen implementiert werden. Nach dem oben genannten Flash-Crash-Fall wurde etwa festgelegt, dass der US-Börsenhandel bei einem Einbruch von mehr als zehn Prozent innerhalb von fünf Minuten temporär ausgesetzt wird. Aber vor allem muss die Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Modelle durch die Finanzaufsicht weiterhin gewährleistet sein.

Die Funktionsweise der KI-Modelle zu verstehen ist dabei genauso wichtig, wie den Begriff der Systemrelevanz vor dem Hintergrund neuer technologischer Entwicklungen weiter zu fassen.

Unabdingbar ist jedoch, dass auch bei einem verstärkten Einsatz von Big Data und Künstlicher Intelligenz die Verantwortung weiterhin bei der Geschäftsleitung verbleibt. Eine Verschiebung der Verantwortung auf KI-gestützte Maschinen kann es nicht geben. Geschäftsorganisation und internes Kontrollsystem sind weiterhin bei der Unternehmensleitung zu verankern. Es bedarf auch an dieser Stelle einer weiteren Konkretisierung des aufsichtlich-regulatorischen Rahmens, wie die BaFin selbst ausführt.

In diesen Bereichen kommt KI schon zum Einsatz
Zalando setzt Künstliche Intelligenz beim Erkennen von Kleidungsstücken auf hochgeladenen Fotos ein. Quelle: dpa
Facebook setzt vielerorts auf Künstliche Intelligenz. Quelle: dpa
Amazon greift unter anderem auf KI zurück, wenn es um Vorhersagen geht. Quelle: dpa
Sprachassistenten arbeiten häufig mit KI Quelle: dpa
Vielerorts kommt KI bereits bei Fintechs zum Einsatz. Quelle: dpa
KI ist Teil der Digitalisierungsbemühungen in der Landwirtschaft. Quelle: dpa
Künstliche Intelligenz wird beim autonomen Fahren eine zentrale Rolle spielen und das Gehirn des Autos sein. Quelle: dpa

Dabei ist es entscheidend, grenzüberschreitend einheitliche Regelungen zu gewährleisten. Denn eine „Regulierungsarbitrage“ lässt sich bei einem Algorithmus leichter umsetzen, als in einem klassisch regulierten Umfeld. Wenn sich einzelne Anbieter von Plattformen und Algorithmen der nationalen Finanzaufsicht und Regeldichte entziehen wollen, so können sie leicht nationale Grenzen überwinden. Hier ist eine grenzüberschreitende Abstimmung der Regulierung im internationalen Austausch der Finanzmarktaufsichtsbehörden nötig.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Finanzmarktaufsicht selbst verstärkt auf die Möglichkeiten von Big Data und KI zurückgreifen wird. Die UK Financial Conduct Authority (FCA) beispielsweise beschäftigt sich regelmäßig in sogenannten „TechSprints“ mit innovativen Ansätzen der Finanzmarktaufsicht. Ende 2017 arbeitete die FCA in einem ersten Durchgang daran, regulatorische Anforderungen an Berichtswesen und Offenlegung durch maschinelles Lernen und KI zu unterstützen.

Hierzu werden aktuell in einem „intelligenten Regulierungs-Handbuch“, einer Datenbank der regulatorischen Anforderungen, diese so formuliert, dass die Prinzipien von Maschinen verstanden und ausgeführt werden können. Damit lassen sich Finanzkennzahlen zweifelsfrei und schneller auswerten und der bislang sehr hohe Aufwand der Offenlegung durch Finanzinstitutionen sowie Finanzmarktaufsicht wird reduziert.

Es zeichnet sich also bereits ab, dass KI zentraler Gegenstand der zukünftigen Regulierung und Finanzmarktaufsicht werden wird. Für Marktstabilität und Verbraucherschutz ist das entscheidend.

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