Verkehrte (Finanz-)Welt
Finanzen: auf sinkende Zinsen und Kurse zu setzen ist riskant Quelle: Presse

Riskante Wette auf sinkende Kurse

Anleger, die nicht an steigende Zinsen und Kurse glauben, können mit speziellen Anlageprodukten auf das Gegenteil setzen. Das ist riskant, vor allem wenn ein Hebel eingebaut wird.

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Bankberater haben es bei niedrigen Zinsen nicht leicht. Sparbuch, Tagesgeldkonto und Co. werfen seit Jahren so gut wie keine Erträge mehr ab. Aktien laufen dagegen schon lange sehr gut, doch niemand weiß, wie lange noch. Viele Anleger fühlen sich in diesem Wechselspiel verloren. Das Problem: Klassische Anleihen, Sparbücher und sogar Fonds profitieren nur von Entwicklungen nach oben. Steigende Aktienkurse, steigende Zinsen bei variablen Anleihen, selbst das Sparbuch wirft erst dann wieder etwas ab, wenn die Zinsen steigen.

Bleibt der Markt unverändert, bewegt sich also seitwärts, oder fällt gar, fallen auch die Erträge entsprechend. Das lässt sich nicht immer leicht verkaufen, schon gar nicht an Anleger, die nicht von steigenden Zinsen und weiter steigenden Kursen an den Aktien- und Rohstoffmärkten überzeugt sind.

Dann einfach mal verkehrt!

Doch es gibt auch die Kreativen unter den Produktanbietern. Sie stellen ihre Anleihen schlicht auf den Kopf! Werden die Kuponzahlungen umgedreht, profitiert der Anleger nicht mehr von steigenden Kursen oder steigenden, variablen Zinsen, sondern von unveränderten oder sogar fallenden Märkten. Aus einem variablen Zinskupon, der den 6-Monats-Euribor bezahlt (der übrigens seit Jahren negativ ist!), wird ein sogenannter Inverse-Floater gezaubert. Dieser zahlt einen attraktiven Fixzins abzüglich des 6-Monats-Euribors. Bleibt der Euribor negativ, erhöht sich der Fixkupon je nach Ausgestaltung sogar, der Anleger profitiert. Steigen die Zinsen und damit der Euribor, wird der Ertrag entsprechend geringer.

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Wem der Fixzins zu niedrig erscheint, der kann den Kupon ohne Probleme beliebig hebeln. In diesem Fall wird nicht nur einfach ein variabler Zinssatz vom Fixzins abgezogen, sondern gleich ein Vielfaches davon. Normalerweise enthalten diese Arten von Anleihen Zinsunter- und -obergrenzen. Verkauft der Investor dann auch noch Kündigungsrechte an die Bank, erhöht sich sein Fixkupon zusätzlich. Letzteres ist für Kleinanleger allerdings nicht immer möglich. So urteilten Gerichte in Österreich etwa, die Abtretung von Kündigungsrechten auf Kleinanlegerprodukte sei wirkungslos.

Der Fantasie bei inversen Kupons tut das jedoch keinen Abbruch. Neben dem klassischen Euribor Inverse Floater kann sich der vom voranstehenden Zinssatz abzuziehende Faktor auch auf alles andere nur Erdenkliche beziehen. Es gibt Produkte, die einen Aktienindex als Bezug verwenden, Rohstoffpreise, Gold und Silber, Zinssätze vom langen Ende der Zinskurve, Zinsdifferenzen und Währungen. Aber auch Einzelaktien lassen sich problemlos zu einer Anleihe mit inversen Kupons verarbeiten, und sogar abstrakte Dinge wie Volatilität. Solange es einen liquiden Terminmarkt im Basiswert gibt, auf den sich der inverse Zins bezieht, lässt sich daraus eine Anleihe basteln.

Doch nicht nur Anleihen werden auf den Kopf gestellt. Auch andere Anlageformen werden kurzerhand umgedreht. Der Boom bei börsengehandelten Produkten (Exchange Traded Products, ETPs) wie Indexfonds (ETF), Inhaberschuldverschreibungen (ETN) oder Rohstoffen (ETC) hat ebenfalls „Short“-Produkte auf den Markt gebracht. Short- oder Inverse-ETPs steigen genau dann im Wert, wenn ihre zugrundeliegenden Märkte fallen. Bei steigenden Kursen verlieren sie entsprechend. Short-Produkte bei Exchange Traded Funds gibt es hauptsächlich auf große Aktienindizes. Immer mehr von ihnen werden sogar gehebelt angeboten. Sinkt der zugrundeliegende Index eines zweifach gehebelten ETF, steigt der Wert des Short-ETFs um das Doppelte. Im Gegenzug allerdings verliert der Short-ETF, sollte der Index steigen.

Gehebelt schneller in den Abgrund

Abgesehen von Short-Aktien-ETFs gibt es noch jede Menge anderer Produkte, die auf fallende Kurse setzen. Gerade bei ETNs und ETCs finden sich inverse Strukturen auf Gold, Silber, Erdöl, Erdgas, Industriemetalle, aber auch gerne Währungspaare wie Euro-Dollar oder Dollar-Yen sowie Staatsanleihen-Indizes. Ihre Zahl ist in die Hunderte gestiegen. Doppelte, dreifache oder bis zu fünffache Hebel sind nicht ungewöhnlich. Statt Short-ETF erhalten diese mehrfach gehebelten Produkte dann Bezeichnungen wie Supershort, Ultrashort oder 5-fach-Short.

Inverse Produkte setzen also auf fallende Kurse des Referenzwertes. So weit so gut. Dass viele dieser Produkte tatsächlich mit einem Hebel angeboten werden, erstaunt. Denn gehebelt profitiert man bei inversen Anleihekupons und inversen ETPs nicht nur überproportional von fallenden Kursen, sondern kann sich bei steigenden Referenzwerten auch ganz rasant ins Abseits schießen.

Erst im Februar dieses Jahres erlangte eine Inverse Floater Exchange Traded Note der Credit Suisse auf den Volatilitätsindex VIX traurige Berühmtheit. Denn nach einem plötzlichen Anstieg der Volatilität sank der Wert des Produkts über Nacht um 92 Prozent. Der Handel in der Anleihe, die am Tag zuvor noch gigantische 1,6 Milliarden US-Dollar groß war, wurde daraufhin eingestellt. Der Wert dieser Exchange Traded Note hatte sich in den Jahren davor zwar mehrfach verdoppelt. Dennoch, am Ende ging die Fahrt sehr rasant in den Keller.

Bei Short-, Ultrashort- und Megashort-ETFs und -ETNs mag der schnelle Gewinn, die Spekulation im Vordergrund stehen. Inverse Anleihen hingegen locken mit scheinbar langfristigen, hohen Kupons. Denn der hohe Fixkupon, der zu Beginn der Zinsformel geschrieben steht, sticht ins Auge. Dass dahinter noch ein Faktor kommt, der vom attraktiven Fixkupon abgezogen wird, vergessen Anleger gerne. Denn eine abstrakte Formel oder die Referenz auf irgendeinen Index wird kognitiv anders verarbeitet und erhält nicht den Stellenwert einer schlichten Zahl wie etwa 3,5 Prozent. Gemeinsam haben inverse Anleihen und inverse ETPs, dass sie alles andere als einfache Anlagen sind. Sie sind riskant, ihr Wert kann jederzeit auch sinken, je gehebelter, je schneller.

Wissen, worauf man sich einlässt

Am Ende bleiben Short- oder Inverse-Anlageformen trotzdem eine spannende Sache. Schließlich ermöglichen sie es Anlegern, auch von fallenden Märkten zu profitieren. Wir müssen uns als Anleger aber – wie immer – klarmachen, worauf wir uns mit ihnen einlassen und die korrespondierenden Risiken mit in unsere Anlageentscheidung einfließen lassen.

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