Verkehrte (Finanz-)Welt
Dominik Moulliet ist Mitglied der CFA Society Germany und Senior Manager bei Deloitte Consulting.

Vermögensverwalter müssen schnell digital werden

Digitalisierung spielt in vielen Banken eine große Rolle, aber gerade in der Vermögensverwaltung ist sie noch ausbaufähig. Viele Assetmanager müssen dringend an digitalen Produkten arbeiten - viel Zeit bleibt ihnen nicht.

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Sicher, eigentlich ist die Digitalisierung inzwischen ein Kernthema der Bankenindustrie. Trotzdem wird sie von Vermögensverwaltern noch sehr unterschiedlich interpretiert. Das äußert sich schon darin, dass es ein breites Spektrum an Maßnahmen in die Umsetzung schafft. Dennoch hat die Branche inzwischen verstanden, dass die Auswirkungen der Digitalisierung auf das heutige Geschäftsmodell dramatisch sein werden.

Entsprechend finden sich zahlreiche Projekte für schlankere und automatisierte Prozesse, Robo-Advisory oder auch Kooperationen mit Fintechs auf der Liste verfolgter Initiativen. Was vielen Ansätzen jedoch noch fehlt, ist zum einen die ganzheitliche Betrachtungsweise von Digitalisierung als integraler Bestandteil der kompletten Unternehmensstrategie; und zum anderen das konsequente Einbinden des Kunden und seiner Bedürfnisse.

Sogenanntes „Human Centered Product Design“, also ein bedürfnisbasiertes Design, ist in der Finanzwelt noch sehr unterentwickelt. Die Anzahl der Finanzprodukte, die keinen wirklichen Bedarf beim Kunden bedienen, ist nach wie vor hoch. Zugleich wird die Welt der Finanzlösungen von den Verbrauchern häufig als undurchsichtig und intransparent wahrgenommen. Neben den Krisen der jüngeren Vergangenheit trägt auch diese Tatsache zum schlechten Image der Branche bei.

Vermögensverwalter, die den Kunden in den Fokus rücken, haben aber die Chance, in Zeiten der Digitalisierung ein enormes Potenzial zu erschließen und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Anders formuliert: Wer den Kunden und seine Bedürfnisse nicht versteht und entsprechend agiert, wird mit großer Wahrscheinlichkeit mittelfristig vom Markt verschwinden.

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Das Hausbank-Modell ist passé

Hinzu kommen der beträchtliche Wettbewerbsdruck unter den etablierten Marktteilnehmern und der Eintritt von Fintechs. Kunden sind aus ihrem täglichen Leben bereits mit digitalen Kanälen vertraut, sind online, mobil und in sozialen Netzwerken aktiv, möchten selbstbestimmt und transparent agieren und die Kontrolle über getätigte Anlagen übernehmen können. Verbraucher wünschen sich Klarheit bei Gebühren- und Preisstrukturen, sehen bei einer Beratung oder einem Investment den wahrgenommenen Nutzen im Verhältnis zu entstandenen Kosten und emanzipieren sich zunehmend vom Gedanken einer „Hausbank“.

Customer Journey mit einem kundenzentrischen Ansatz. (Zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Deloitte Consulting GmbH. Quelle: Deloitte Consulting GmbH

Da Vermögensverwalter historisch nicht aus dieser Kunden-, sondern meist aus einer Produktsicht den Markt bearbeiten, müssen sie die Kundenbedürfnisse genau ergründen und individuell in den Beratungsprozess integrieren. Digitale Kanäle versprechen eine enorme Steigerung des Kundennutzens durch die gezielte Ansprache dieser Bedürfnisse bspw. durch einen einfachen Zugang, effiziente Prozesse und personalisierte Produkte. Diese Maßnahmen schaffen Vertrauen gegenüber dem Finanzinstitut. Der Fokus auf einen kundenzentrischen Ansatz muss wesentlicher Bestandteil in der konkreten Ausgestaltung von Digitalisierungsmaßnahmen sein (siehe Grafik oben).

Ein weiterer wichtiger Treiber für die wachsende Bedeutung digitalisierter Prozesse wird die Erbengeneration sein. Vermögen in Höhe von geschätzt drei Billionen Euro wird allein in Deutschland innerhalb der nächsten Dekade auf Kinder, Enkel und Neffen übertragen. Dieses vererbte Vermögen trifft auf eine deutlich technik-affinere Generation, welche ihre Finanzgeschäfte zu jeder Zeit und von jedem Ort aus tätigen möchte. Auch ihr Vertrauen in komplexe technische Vorgänge, wie eine algorithmenbasierte Vermögensanlage, ist weit stärker ausgeprägt als in der Vorgängergeneration. Vermögensverwalter werden daher nicht nur einfache operative Tätigkeiten wie zum Beispiel solche im Back-Office digitalisieren müssen, sondern auch strategische Beratungselemente.

Internetriesen gegen Vermögensverwalter

Einstieg von Google & Co. jederzeit möglich

Darüber hinaus bedrohen Internetriesen wie Google, Facebook oder Amazon die Ertragsbasis der Vermögensverwalter. Durch ihr Daten-Knowhow und die Möglichkeit der oftmals direkten Kundenansprache haben Google und Co. die Möglichkeit, selbst ausgeklügelte Dienstleistungen im Finanzbereich anzubieten. Zusätzlich steckt diesen Konzernen das kundenzentrische Denken in der DNA – ganz im Gegensatz zu klassischen Privatbankiers, Asset oder Wealth Managern.

Noch beschränken sich die Internetkonzerne in der Hauptsache auf die, ihrem Kerngeschäft nahen Bezahldienste, könnten aber jederzeit in deutlich größerem Umfang auch in das Segment der Vermögensverwalter einsteigen. Warum beispielsweise Google, das für Europa bereits seit über zehn Jahren eine Banklizenz besitzt, dies bisher nicht getan hat, lässt sich kontrovers diskutieren und ist Gegenstand mancher Spekulation. Vermutlich hatte die Investment-Management-Branche sehr viel Glück, dass es anderswo schlicht attraktivere Investments und Betätigungsfelder für die Kalifornier gab.

Es kann erwartet werden, dass die Digitalisierung in zehn Jahren bis zu 80 Prozent der Unternehmensabläufe erfasst hat und erfolgreiche Geschäftsmodelle stark am Kunden ausgerichtet sein werden. Für die etablierten Investment-Manager werden Kooperationen mit Fintechs hierbei ein wichtiger Baustein sein.

Die in den letzten Jahren entstandenen Start-ups fokussieren sich meist auf spezialisierte Dienstleistungen und definieren in diesem Gebiet das Kundenerlebnis neu. Dadurch verbessern sie zwar das Service-Erlebnis für den Kunden, doch eine echte Revolution der Vermögensverwaltung steht bislang noch aus. Die Integration dieser digitalen Lösungen wird dennoch den evolutionären Ausbau der digitalisierten Finanzwelt vorantreiben und als Katalysator dienen können. Dies geschieht zum einen über den Nachbau dieser Lösungen oder über die Kooperation mit oder den Kauf von Fintechs durch etablierte Marktteilnehmer.

Insgesamt müssen Asset & Wealth Manager angesichts des veränderten Kundenverhaltens kreativ neue Möglichkeiten suchen, um die Bedürfnisse der Kunden zu identifizieren und deren Kernpunkte in die Unternehmens- und Produktstrategie zu überführen. Entscheidend ist, die Frage nach dem angemessenen Grad und geeigneten Bereichen der Wertschöpfungskette für die Digitalisierung richtig zu beantworten. Nur Vermögensverwalter, deren Führungskräfte entsprechende digitale Werte vorleben und Anreize für Mitarbeiter setzen, werden überleben. Für Kunden bleibt die gute Nachricht, dass man sich in Zukunft deutlich besser um sie kümmern muss, sofern man sie behalten möchte.

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