Verkehrte (Finanz-)Welt

Warum Anleger bei der Aktienanalyse wachsam sein müssen

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Vorsicht, Aufmerksamkeit und Demut bei der Aktienanalyse

- Einen sehr kreativen Weg der Sachverhaltsgestaltung hat ein Maschinenbau-Unternehmen gefunden, um die Frage des Umsatztimings nach Bedarf beantworten zu können. Das Unternehmen hat die Wartungskosten in den langfristigen Serviceverträgen erhöht und die Wartungsnotwendigkeit von der Ferndiagnose seines digital angebundenen Control-Centers abhängig gemacht. Das klingt für die Kunden erst einmal sehr vernünftig. Zugleich erlaubt es aber dem Maschinenbauer, die Umsatzrealisierung nach Belieben zu steuern. Denn das Ergebnis der Fernanalyse kann der Kunde normalerweise nicht sehen. Wenn dringend Umsatz benötigt wird, dann wird frühzeitig gewartet. Wenn nicht, dann eben erst später.

- Ein Unternehmen der Telekommunikationsbranche hat aktiv die Charakteristika seiner Geschäftsvorfälle getarnt und ihre Einzigartigkeit herausgestellt. Ziel dabei ist, dass das Unternehmen auch in Zukunft die Deutungshoheit über Umsatztiming (wann wird realisiert) und -verteilung (bei welchen Produkten wird wieviel realisiert) behalten kann. Denn umso vergleichbarer und standardisierter Geschäftsvorfälle sind, umso eher wird ein Wirtschaftsprüfer dem Unternehmen auf Basis von Erfahrungswerten vorschreiben, wie Umsätze zu behandeln sind.

- Unternehmen quer durch alle Branchen haben eine Technik wieder verstärkt hervorgeholt, die eigentlich nach dem Enron-Skandal im Jahr 2001 auf ewig in der Mottenkiste der Bilanzierung verschwinden sollte (wobei das nie vollständig gelungen war): die sogenannten Round-Trip Transaktionen – in Anlehnung an den englischen Begriff für ein Drehtablett auf dem Esstisch auch als „Lazy Susan“ bekannt, – bei denen zwei oder mehr Unternehmen durch wechselseitiges Hin- und Herschieben von Aufträgen künstlich Aktivität zeigen und damit Umsätze realisieren können.

Als normal-geübter Bilanzleser kann man derlei Vorgehen meist nur schwer erkennen. Und ob die Wirtschaftsprüfer all diese Überlegungen wieder geradebiegen werden, bleibt abzuwarten. Erfahrungsgemäß benötigt die Etablierung gelebter Standards meist mindestens ein paar Jahre. Und so dürfen sich die Freunde intensiver Fundamentalanalyse also freuen: Die diesjährige Bilanzsaison wird sicher ein paar Leckerbissen für sie bereithalten.

Für alle anderen – insbesondere die meisten Kleinanleger – bleibt leider die Erkenntnis, dass sich die Informationsqualität der Rechenwerke durch den IFRS 15 erst einmal nicht notwendigerweise erhöhen wird. Manch einer mag das enttäuschend finden. Doch letztendlich ist es eben gerade dieses Wissen um die Grenzen der modernen Rechnungslegung (und eben nicht das blinde Vertrauen in die Aussagekraft der IFRS), das für die nötige Vorsicht, Aufmerksamkeit und Demut bei der Aktienanalyse sorgt.

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