Verkehrte Finanzwelt
Quelle: imago images

Das „G“ in „ESG“ – Vorteile einer robusten Governance

Mit dem sich verändernden gesellschaftlichen Wertbewusstsein erhalten Umweltaspekte (das „E“ in ESG) auch in der Kapitalanlage immer mehr Aufmerksamkeit. Doch wie verhält es sich mit Governance-Themen?

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Spätestens seit Ankündigung des europäischen „Green Deal“ und der Strategie für nachhaltige Geldanlagen der EU-Kommission (Sustainable Finance-Aktionsplan) fordern auch Privatanleger Klimaaspekte mehr und mehr ein. Sie wollen Nachhaltigkeitsziele unterstützen (z. B. die Reduktion des globalen Temperaturanstiegs) und richten ihre Investmententscheidungen entsprechend aus.

ESG steht für den Einbezug umweltbezogener (Environmental), sozialer (Social) und auf eine verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) bezogener Kriterien. Für institutionelle Anleger spielt das Thema, unter anderem für das Risikomanagement, schon länger eine Rolle. Die ökologische Wirkung von Investments ist dabei nur ein Teil einer ganzheitlichen Betrachtung von Nachhaltigkeitsrisiken. Für Privatanleger kann es sich lohnen, einen Blick darauf zu werfen, wie Großinvestoren mit dem Thema Investment-Governance umgehen, weil diese sich langfristig auf die Rendite auswirkt.

„G“ wie Governance

Das Thema „gute Unternehmensführung“ deckt zahlreiche Felder ab, darunter Offenlegungsstandards zur Unabhängigkeit und Vergütung von Vorständen sowie Richtlinien gegen Bestechung, Geldwäsche und Korruption. Eine spezifische Investment-Governance bildet freilich nochmal einen eigenen Bereich. Dabei geht es vornehmlich darum, einen klaren Rahmen für Entscheidungsverantwortlichkeit und -prozesse zu definieren, um Agilität auch in Krisenzeiten zu wahren

Angesichts regulatorischer Anforderungen und der schieren Größe der Portfolien einiger Altersvorsorgeeinrichtungen, Pensionskassen oder Lebensversicherer ist dies eine komplexe Aufgabe. Hier haben es Kleinanleger, die flexibler und beweglicher sind, vermeintlich leichter. Dennoch können sie einiges von den institutionellen Investoren lernen.

Beispiel Corona-Crash

Zwischen dem 19. Februar und 23. März 2020 fiel der MSCI All Countries World Index um satte 33,6%. Es dauerte nur bis zum 12. August, bis die Verluste wieder ausgeglichen waren. Anfang Dezember lag der Anstieg des Index seit dem Covid-19-Crash sogar bei 67,3% im Plus.

Aktien und Anleihen

Die Abbildung zeigt die Nettokapitalflüsse von Unternehmensanleihen und Aktien vor dem Hintergrund der geschilderten Marktereignisse. Wer im März vergangenen Jahres aus dem Aktienmarkt ausgestiegen war und keinen Wiedereinstieg fand, verpasste fast 70% Performance. Was war passiert? Viele Anleger wollten schnell Risiken reduzieren und trennten sich von Aktien. Zahlreiche Stopp-Limit-Orders haben den Abwärtstrend massiv beschleunigt. Ein „Risk-Off“-Modus wurde also schnell erreicht. Das Problem: Der rechtzeitige Wiedereinstieg („Risk-On“) gelang vielen nicht. Damit wurden vielerorts über mehrere Jahre verdiente Anlagerenditen zunichtegemacht.

Kurzfristige versus langfristige Perspektive

Umsichtige institutionelle Investoren etablieren daher Prozesse, um auch in schwankungsanfälligen Märkten kurzfristige Risiken zu beherrschen und von Chancen zu profitieren. Gemeint ist im aktuellen Fall ein sogenanntes „Rebalancing“, also ein klares Regelwerk, nach welchen Kriterien Risikopositionen wiederaufgebaut werden. Da sich − angesichts der Geschwindigkeit der Marktbewegungen − eine verzögerte Entscheidungsfindung als sehr kostspielig erweisen kann, ist dies auch für kleinere Anleger von Relevanz. Solch ein Entscheidungssystem bietet Orientierung, wenn Anlageentscheidungen in Drucksituationen erfolgen müssen.

von Jacqueline Goebel, Hauke Reimer, Heike Schwerdtfeger, Martin Gerth, Saskia Littmann, Cornelius Welp, Silke Wettach

Fazit: Portfolio zukunftssicher machen

Die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage zum Thema „Portfolio Health Check“, die wir unlängst durchführten, legen nahe, dass fast die Hälfte (43 Prozent) der institutionellen Investoren in Deutschland ihre Entscheidungsprozesse bislang für nicht effizient genug halten. Hier spielen die Erfahrungen zum Ausbruchszeitpunkt der Pandemie hinein: Die Verwerfungen haben vielen Marktteilnehmern die Wichtigkeit ihrer eigenen Handlungsfähigkeit vor Augen geführt, wenn Notverkäufe und Panik herrschen.

Für private Anleger ist es zu aufwendig und auch nicht erforderlich, die Governance-Strategien hochregulierter, institutioneller Investoren eins zu eins nachzubilden. Einige der Komplexitäten großer Kapitalsammelstellen − etwa aufsichtsrechtliche Vorgaben und anlegerspezifische Richtlinien − betreffen sie nur mittelbar. Erstrebenswert ist es jedoch, sich mit Entscheidungs-Regelwerken, Absicherungsstrategien und Risikomanagement zu beschäftigen.

Wie stellen sich Profis hier auf und wie sind sie positioniert? Wie lässt sich ein „Fahrplan“ für das Timing bei Einstiegen, Ausstiegen und Wiedereinstiegen sowie die damit verbundene Asset-Allokation formalisieren? Institutionelle Anleger machen zudem Stresstests, mit denen sie etwaige Extrem-Szenarien durchspielen und Meilensteine definieren. In einem kleineren Rahmen können auch Privatanleger die Strapazierfähigkeit ihrer Portfolien überprüfen, um diese zukunftssicherer aufzustellen.

Mehr zum Thema: Nachhaltiges Investieren ist der neue Megatrend. Doch fragwürdige Kriterien für Umwelt- und Sozialverträglichkeit führen Anleger in die Irre – und diskriminieren viele Unternehmen. Nachhaltige Investments: Die fatale Börsenmoral

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