Verkehrte (Finanz)Welt
Quelle: imago images

Das Geld der Zukunft. Die Zukunft des Geldes.

Geld verliert den Nimbus des Selbstverständlichen. Längst hat die Digitalisierung des Geldes begonnen, existieren gar Währungen unabhängig von Notenbanken. Wird unser Geld zunehmend virtuell und entstaatlicht?

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Geld hat für uns etwas so Selbstverständliches, dass wir selten darüber nachdenken, was dahintersteckt. Doch plötzlich gerät unser Geld von verschiedenen Seiten unter Druck. Währungen werden von der digitalen Disruption erfasst, neue Geldinstrumente entstehen und die Frage nach dem „richtigen“ Geldsystem im 21. Jahrhundert wird aufgeworfen. Die Zukunft des Geldes wird zu einer Herausforderung. Müssen wir uns auf eine Entmaterialisierung des Geldes und eine Ablösung bekannter Zahlungsmittel durch private Währungen einstellen?

Der Abschied vom Bargeld

Geld erfüllt drei wesentliche Aufgaben: Es übernimmt einerseits die Rolle des Zahlungsmittels (sogenanntes „Transaktionsmedium“). Es dient ferner dem Sparen, also der temporalen Verschiebung von Geld in die Zukunft (sogenannte „Wertaufbewahrung“). Und letztlich ist Geld eine Wertmesseinheit, also eine Buchhaltungswährung. Diese Hauptfunktionen des Geldes müssen von den Mitgliedern einer Gesellschaft akzeptiert werden. Geld repräsentiert Vertrauen. In der Vergangenheit speiste sich dieses Vertrauen nicht zuletzt aus dem physischen Charakter und der staatlichen Deckung des Geldes.

Einher mit neuen technischen Möglichkeiten und getrieben von wirtschaftlichen und politischen Interessen erleben wir derzeit eine Evolution des Geldes. Dabei scheint gerade den Deutschen die zunehmende Verlagerung von Münzen und Scheinen in die virtuelle Welt der Bits und Bytes gar nicht so recht zu sein. Deutsche lieben die Nutzung von Bargeld. Laut Umfragen der Bundesbank möchten 88 Prozent der Deutschen nicht auf Bargeld verzichten. Und immerhin 74 Prozent aller Zahlungen im deutschen Einzelhandel werden weiterhin mit Bargeld beglichen. Die Abschaffung von Banknoten scheint vielen schlicht unvorstellbar. Blicken wir jedoch auf die jüngsten Entwicklungsschritte, so zeichnet sich eine Tendenz zu neuen Zahlungsweisen ab. Auf Debit- und Kreditkarten folgten Online Banking und später smartphone-fähige Mobile-Banking-Lösungen, in einer nächsten Stufe Kryptogeld wie etwa Bitcoins sowie die Herausbildung nichtstaatlicher Währungen.

Neue Bezahlformen

Tatsächlich werden die Vorzüge dieser Evolution von vielen Marktteilnehmern geschätzt. Nutzte man in früheren Zeiten und Kulturen noch etwa Muscheln, Steine, Kakaobohnen oder Salz als Tauschmittel, so wird der heutige Bezahlvorgang immer bequemer: Online-Einkäufe mit PayPal, kontaktloses Zahlen mit Giro- oder Kreditkarte im Supermarkt und an der Tankstelle, bei Kleinbeträgen sogar ohne Code-Eingabe. Warum also Vorbehalte gegenüber der Digitalisierung des Zahlungsverkehrs? Und aus welcher Richtung?

Dass wir beim Friseur, beim Bäcker oder in der Kneipe noch immer gerne mit Münzen und Scheinen zahlen, daran haben wir uns als Konsumenten schlicht gewöhnt. Zudem ist umgekehrt die Bereitschaft, elektronische Zahlungen anzunehmen, noch keineswegs flächendeckend in Deutschland. In anderen Wirtschaftsnationen ist die Zahlungsannahme per QR-Code und Smartphone auch für kleine Lieferanten und Unternehmer üblich. Vorreiter sind Länder wie China und Schweden, selbst bei Kleinstbeträgen des täglichen Bedarfs: Wer dort mit Bargeld bezahlt, wird misstrauisch beäugt. Allerdings zeigt sich auch in Deutschland mittlerweile ein steigender Trend: Bezahlvorgänge mit Karte oder Handy sind von 3,4 Milliarden im Jahr 2014 auf 5,3 Milliarden in 2018 geklettert, so Daten der Bundesbank.

Die Tücken des virtuellen Geldes

Künftig soll das Bezahlen noch schneller und immer häufiger ohne menschlichen Intermediär möglich sein. Biometrische Erkennung, Fingerabdruck, Gesichtserkennung oder Iris-Scan lösen Passwörter zur Authentifizierung ab. Mit der vollkommenen Digitalisierung aller Zahlungsströme lassen sich unsere Lebensgewohnheiten im Detail nachvollziehen und modellieren. Vor dieser Preisgabe der Privatsphäre beim Übergang auf reines Buchgeld warnen Datenschützer. Viele Verbraucherschützer sehen das Bargeld zudem als Schutzwall und Untergrenze gegen die derzeitigen Niedrig- und Negativzinsen. Anthropologen geben zu bedenken, dass eine „Entstofflichung“ der Zahlungsmittel zu einem leichtfertigen Umgang mit Geld – und damit mehr Verschuldungen – führen könnte.

Neue Währungen und die Hoheit über das Geld

Die Interessenlage ist teilweise ambivalent. So dient die geschilderte Entwicklung im politischen Raum den Möglichkeiten staatlicher Kontrolle – etwa um per Knopfdruck einzelne Personen oder Gruppen vom Zahlungsverkehr auszuschließen. Gleichsam setzt die Digitalisierung des Geldes die staatliche Souveränität, nicht zuletzt die Zentralbanken, unter Druck.

von Christian Ramthun, Cordula Tutt, Malte Fischer, Max Haerder, Sven Böll

Mit dem technologischen Fortschritt erwachsen gänzlich neue Wettbewerber. Bitcoins und Kryptowährungen entwickeln bereits Infrastrukturen zur Übertragung und Verwahrung von Vermögenswerten mittels Blockchain-Lösungen. Projekte privater Anbieter mit digitalen Tokens, wie etwa Libra (beteiligt sind unter anderem Facebook, Uber, Spotify und Vodafone), stehen in den Startlöchern und treten als Alternative zu staatlichen Währungen an. Zahlreiche Vertreter aus dem europäischen Regulierungsumfeld haben sich mit dem Verweis auf die Preisgabe von Daten an private Organisationen bereits gegen entstaatlichtes Geld positioniert. Noch wichtiger dürfte allerdings die Befürchtung sein, mit dem Aufstieg neuer Währungen die Kontrolle über die Geldmenge innerhalb einer Volkswirtschaft zu verlieren.

Ausblick

Zu einem Zeitpunkt, da die Politik der EZB die öffentliche Meinung spaltet, gar ehemalige Zentralbanker den Übergang von Geld- zu Fiskal- und Wirtschaftspolitik und monetärer Staatsfinanzierung beanstanden, bietet sich privaten Anbietern wie Libra vermeintlich ein Gelegenheitsfenster, um für eigene Interessen zu lobbyieren. Kostengünstig sollen die neuen Währungen sein, effizient und unerreicht schnell, so die Werbeversprechen. Gleichzeitig würde die von zahlreichen EZB-Skeptikern hervorgebrachte Kritik an der „Umverteilung durch die Hintertür“ hier vermutlich auf einem anderen, noch weniger transparenten Wege erfolgen, wenn private Großkonzerne Kontrolle über eine Weltwährung ausüben könnten. Die staatlichen Notenbanken werden sich entlang ihrer skizzierten Funktion (Transaktion, Wertaufbewahrung und Buchhaltung) zunehmend mit neuen Fragen und Wettbewerbern rund um die „Selbstverständlichkeit des Geldes“ auseinandersetzen müssen.

Unser Geld verändert sich. Viele dieser Veränderungen machen unser Leben einfacher. Es gibt jedoch kritische Stimmen, die ihre Berechtigung haben. Für unsere Gesellschaft ist es daher wichtig, frühzeitig Antworten auf die sozialen und individuellen Risiken der Virtualisierung des Geldes zu finden.

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