Verkehrte (Finanz)Welt
Grüne und soziale Geldanlage: Unternehmen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, sind künftig im Vorteil. Quelle: obs

Die Lehrbücher zur Kapitalanlage werden umgeschrieben

Unternehmen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, sind künftig im Vorteil. Anleger betrifft diese Umwälzung erheblich: Das magische Dreieck der Kapitalanlage muss um einen neuen Faktor ergänzt werden.

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Die Zukunft der Wirtschaft wird sich nicht allein über Rendite definieren. „Sie wird getragen durch Kooperation“, sagte der norwegische Wirtschaftsphilosoph Anders Indset unlängst auf der Konferenz The Virtuous Future of Finance der CFA Society Germany in Frankfurt. Mit Blick auf die Finanzindustrie ergeben sich daraus einige wichtige Implikationen. Zum einen die Abkehr vom Ansatz des Shareholder Value, also der vornehmlichen Fokussierung auf die Ansprüche der Investoren und Kapitalgeber. Abgelöst wird dieser Ansatz durch die Idee des Stakeholder Value, also einer Ausrichtung auf die Interessen aller mit einem Unternehmen in Beziehung stehenden Personen: Neben Aktionären etwa Mitarbeiter, Zulieferer und Anrainer. Neu ist dies per se nicht. So wurde diese Umbewertung nach dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er Jahre bereits intensiv diskutiert. Neu ist allerdings die Einbettung – und damit auch Akzeptanz – des Themas in einen breiten, konsensuellen gesellschaftlichen Diskurs.

Klimathemen verändern Vermögensanlage

Wir erleben derzeit einen tiefgreifenden ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel. Neben dem Megatrend Digitalisierung bestimmen zunehmend Klimaaspekte das Bewusstsein und Handeln vieler Menschen und Organisationen. Damit verändern sich auch die Erwartungen an Unternehmen und münden in Forderungen nach sogenannten ESG-Kriterien. ESG steht dabei für die Berücksichtigung umweltbezogener, sozialer und auf eine verantwortungsvolle Unternehmensführung bezogener Kriterien. Die Tragweite dieser Umwälzungen ist nicht zu unterschätzen, werden sie doch Einfluss auf Anlageentscheidungen (von Privatanlegern und institutionellen Investoren), als auch auf die Unternehmensfinanzierung haben. Was wir im Moment erleben, ist weit mehr als nur ein kurzfristiger „Hype“. Das magische Dreieck der Vermögensanlage, bestehend aus dem Spannungsverhältnis von Rendite, Risiko und Liquidität, wird es in der bisherigen Form bald nicht mehr geben. Lehrbücher zur Kapitalanlage werden umgeschrieben: Künftig muss die Wirkung der Kapitalanlage entlang von ESG-Faktoren als Investmentkriterium ergänzend eingebunden werden.

Finanzbranche von Wandel besonders betroffen

In vielen wirtschaftlichen Bereichen und Branchen in Deutschland werden bereits Strategien zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei unternehmerischen Tätigkeiten implementiert: Etwa die Vermeidung von Flugreisen bei Geschäftsterminen oder die Förderung der Nutzung von ÖPNV-Angeboten durch Arbeitgeber. Dass Unternehmen bei Zuwiderhandlung gegen ESG-Kriterien empfindlich über die öffentliche Meinung sanktioniert werden, zeigte unlängst etwa die Aktionärsversammlung von Siemens, die von Protesten gegen Geschäfte mit einer australischen Kohlemine geprägt war. Die Finanzbranche und die Kapitalanlage sind in besonderem Maße von dieser Entwicklung betroffen. Larry Fink, Chef des weltweit größten Asset Managers BlackRock, hat jüngst ein klares Bekenntnis zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Anlage von Kundengeldern abgegeben. Dies sendet ein starkes Signal in den Markt. Schon in naher Zukunft werden fehlende ESG-Konzepte aus Anlegersicht ein gewichtiger Minuspunkt sein.

Anleger fordern ESG-Lösungen

Das Forum Nachhaltige Geldanlagen beziffert das Gesamtvolumen des ESG-Anlagemarkts in Deutschland auf 219 Milliarden Euro. Nachhaltige Investments legten zuletzt um 41 Milliarden Euro zu. Dies entspricht dem höchsten Wachstum seit Beginn der Erhebungen. Asset Manager, die keine ESG-Strategie haben, könnten künftig den Anschluss verlieren – ähnlich wie es derzeit einigen Autobauern droht. Der Veränderungsdruck kommt aus verschiedenen Richtungen, inklusive dem politischen und regulatorisch-aufsichtlichen Raum. So sollen Privatanleger künftig explizit befragt werden, ob bei der Kapitalanlage Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden sollen. Wer wird da schon nein sagen? Von der Bafin beaufsichtigte Unternehmen müssen ihren Umgang mit dem Thema adressieren (siehe Bafin-Merkblatt). Viele institutionelle Investoren sind bereits dazu angehalten, Nachhaltigkeitsrisiken in ihre Investitionsabläufe einzubeziehen und Offenlegungsvorschriften einzuhalten (siehe EU-Aktionsplan Nachhaltiges Finanzwesen). Einige Staatsfonds und Lebensversicherer haben beispielsweise den Rückzug aus der fossilen Energieindustrie bereits angeordnet.

Keine Abstriche bei Rendite?

Zwar nimmt sich das Volumen der ESG-Anlagen im Vergleich zum bundesweit verwalteten Fonds-Gesamtvermögen in Höhe von rund 3,4 Billionen Euro (vgl. BVI-Statistik) vermeintlich bescheiden aus. Das Verhältnis könnte sich jedoch sehr rasch ändern. Insbesondere dann, wenn Anleger bezüglich der erwarteten Erträge keine Abstriche machen müssen. Im Gegenteil: Unternehmen, die ESG-Kriterien berücksichtigen, weisen geringere Risiken – zum Beispiel in Form von Schadensersatzforderungen oder Reputationsschäden – auf. Die Refinanzierungskosten nicht-ESG-konform agierender Unternehmen werden sich dagegen in den kommenden Jahren erhöhen. Heißt: Unternehmen, die sozial- und umweltgerechtes Verhalten nachweisen können, werden leichter an günstige Kredite kommen. Einige Studien legen bereits eine Mehrrendite von Nachhaltigkeitsfonds gegenüber Produkten ohne zusätzlichen ESG-Filter bei der Unternehmensauswahl nahe. Anleger sollten diese Vergleiche allerdings, vor allem mit Blick auf genaue Definitionen und Abgrenzungen, stets kritisch hinterfragen.

Positiver Ausblick – aber bitte keine Überregulierung

Durch die verbreitete Berücksichtigung von ESG-Grundsätzen bietet sich die Chance, das Verhältnis zwischen Unternehmen sowie Umfeld und Umwelt neu aufzustellen. Marktteilnehmer müssen glaubhaft darlegen, dass sie gesellschaftliche Interessen unterstützen. Das magische Dreieck der Geldanlage wird erstmals in seiner Geschichte neu formuliert. Diese Zuwendung auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise ist begrüßenswert, wenn sie wohlüberlegt und planvoll erfolgt, ohne dabei Kollateralschäden durch vorschnelle, nicht gänzlich durchdachte Entscheidungen zu provozieren. ESG sollte daher nicht als alleiniges Ziel ohne Rücksicht auf andere Faktoren oder im Sinne einer erzwungenen Umlenkung privaten Kapitals verfolgt werden. Diese Vereinbarkeit wird wichtig sein, damit Mittel weiterhin in produktive Projekte fließen und Technologien beziehungsweise F&E und Innovationen nicht von vornherein potenziell ausgebremst werden.

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