Verkehrte (Finanz)welt

Euro positiv auf Corona getestet – wird er überleben?

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Haftungsgemeinschaft: Falsch verstandene Solidarität?

Neben den Kaufprogrammen der EZB werden Anleihen der EU in Höhe von 750 Milliarden Euro, von denen 500 Milliarden als nicht rückzahlbare Fördergelder verteilt werden sollen, weiterhin kontrovers diskutiert. Die Niederlande, Schweden, Österreich und Dänemark sind dagegen, das Geld aus gemeinsamen EU-Anleihen großteils als Förderungen zu vergeben. Sie fordern, die Gelder als Kredite anzubieten. Zugutekommen würden die insgesamt geplanten zusätzlichen 750 Milliarden Euro an EU Geldern aus einem EU-Anleihen-Verkauf wohl hauptsächlich den südlichen EU-Ländern sowie einigen Ländern in Osteuropa.

Doch auch Deutschland hat ein Interesse an der Stabilisierung der südeuropäischen Staatsbilanzen. Deutschland ist mit 18,4 Prozent an der EZB beteiligt. In der EZB-Bilanz schlummern bereits heute rund 500 Milliarden Euro allein an italienischen Schulden. Dazu kommt der Target II-Saldo der italienischen Zentralbank, der im April 2020 minus 512,9 Milliarden Euro betrug, Tendenz steigend. Spanien hatte im April ein Minus von 431,5 Milliarden Euro in der Target Bilanz stehen, Deutschland hingegen einen positiven Saldo von 918,8 Milliarden. Ein Staatsbankrott von Italien und Spanien wäre teuer und voraussichtlich auch für die EZB und das Eurosystem nicht zu stemmen.

Ausblick: Prüfstein für die politische Kultur

Eine weiterhin intensive Debatte über das richtige Maß an Solidarität und Selbstverantwortung der Euro-Länder steht uns bevor. Währenddessen wird die EZB kontinuierlich ihre Bilanz mit Staatsanleihen der unterschiedlichen Emittenten des Euroraums ausweiten. Wird der Euro dies überleben, oder an der Coronakrise zerbrechen? Das wird wohl auch daran liegen, wie viel sein Überleben den Bürgern Europas und ihren Politikern wert ist. Beide Lager werden über ihre Schatten springen müssen. Die einen werden einen Teil ihres selbst dringend benötigten Geldes an schwächere Länder abgeben.

Die anderen müssen sich im Gegenzug zu Reformen und Strukturänderungen durchringen. Ein wesentlicher Teil muss unseres Erachtens über Lösungen der einzelnen Länder, und nicht allein über den Ruf nach europäischer Solidarität gelöst werden. Die uns bevorstehende Rezession, ebenso wie Reformen, die in Rentensysteme, Beamtenverträge, Steuern, Abgaben und Subventionen eingreifen, werden harte Einschnitte bedeuten. Die politische Kultur in Europa und der Euro stehen vor erheblichen Herausforderungen.

Martina Bahl, CFA, ist engagiertes Mitglied der CFA Society Germany und geschäftsführende Gesellschafterin der Unternehmensberatung BahlConsult GmbH. Sie berät institutionelle Investoren, Unternehmen, Kommunen und Stiftungen zu Themen des Anlage- und Passivportfolios, der Risikosteuerung sowie von Hedging-Lösungen. Zuvor war die studierte Betriebswirtin und ausgebildete Finanzanalystin langjährig für internationale Investmentbanken und Börsen tätig.

Axel Apfelbacher, CFA, ist Head of Finance & Strategy der niiio finance group AG und aktives Mitglied der CFA Society Germany. Er beschäftigt sich insbesondere damit, das Unternehmen erfolgreich im Bereich der Plattform-Entwicklung für digitale und hybride Vermögensberatungskunden zu etablieren und darüber die klassischen und digitalen Welten im Bereich der Vermögensberatung und -verwaltung zueinander zu führen. Er ist darüber hinaus Mitglied des German Advocacy Committees der deutschen CFA Society und langjähriger Mentor bei Accelerator Frankfurt.

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