Verkehrte (Finanz)welt
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Lohnt es sich für Privatanleger, auf „Faktoren“ zu achten?

Langfristig orientierte Großanleger mischen ihren Portfolien häufig quantitative Strategien bei, die Wertpapiere nach bestimmten Eigenschaften (Faktoren) auswählen. Der Ansatz profitiert von der zunehmenden Verfügbarkeit großer Datenmengen. Lohnt sich ein Blick auch für Privatanleger? Eine Kolumne.

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Was sind eigentlich „Faktoren“ in der Geldanlage? Die Antwort fällt weniger komplex aus, als man vielleicht vermuten würde. Faktoren sind solche Eigenschaften, die das Risiko und die Rendite eines Vermögenswerts praktisch in allen Portfolien (über alle Marktkonditionen und Zeiträume hinweg) mitbestimmen. 

Der rasante Fortschritt in Datenverarbeitung und Technologie der letzten Jahre ermöglicht es, diese quantifizierbaren Bausteine durch die umfassende Analyse langer Zeitreihen genauer herauszuarbeiten.

Werfen wir daher einen Blick auf vier der bekanntesten Faktorprämien. Gemein ist ihnen, dass Risiken damit breiter gestreut und/oder die Ausrichtung auf bestimmte Anlage- und Renditeziele unterstützt werden sollen.

1. Momentum

Ein typisches Merkmal einer faktorbasierten Anlagestrategie ist die positive relative Wertentwicklung. Dabei wird zum Beispiel in Vorjahresgewinner investiert, während Vorjahresverlierer leerverkauft werden. Dahinter steht auch die Erfahrung, dass Anleger auf gute Nachrichten tendenziell weniger stark reagieren als auf schlechte. Gesucht werden solche Papiere, die sich in der Vergangenheit besser als der Markt entwickelt haben.

2. Bewertung (Value)

Bei diesem Faktor geht es um die relative Attraktivität eines Wertpapiers gemessen an Bewertungskennzahlen wie dem Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) oder dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Gesucht werden solche Titel, die eher unterbewertet sind, also angesichts ihrer Unternehmensgewinne und Fundamentaldaten (innerer Wert) bei den Kursen auf einem günstigen Niveau notieren. Der Value-Faktor stellt auch auf die Neigung von Investoren ab, Informationen zu stark in die Zukunft fortzuschreiben.

3. Quality

Bei der Qualität geht es um Kennzahlen wie eine stabile Profitabilität, eine starke Cash-Generierung oder eine vergleichsweise geringe Verschuldung. Gesucht werden hochwertige Unternehmen, die bei diesen Kennziffern besonders gut performen.

4. Volatilität

Die Volatilität wird gewöhnlich gemessen anhand der Schwankung der Kurse.

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Treibstoff: Marktdaten

Faktorbasierte Investments profitieren von den disruptiv-technologischen Durchbrüchen, die in den vergangenen Jahren bei der Auswertung komplexer Datensätze erzielt wurden. Anspruch ist es, die verfügbare Flut an Nachrichten und Informationen zeitnah zu erfassen und die Finanzanalyse über diesen Hebel auf eine rationalere Grundlage zu stellen. Jeder Faktor gründet auf belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen oder wiederholtem, gut dokumentiertem Anlegerverhalten. Diese verhaltenspsychologischen Neigungen wirken – in jeweils individuellen Ausprägungen – neben den Aktienmärkten auch an den Anleihe- und Devisenmärkten. 

Ein Beispiel aus der Investmentpraxis: Die Anomalie der niedrigen Volatilität. Grundsätzlich gilt am Kapitalmarkt, dass ein höheres Risiko mit höheren erwarteten Renditen einher geht. Innerhalb der Anlageklassen ist es nun aber so, dass die Wertpapiere niedrigeren Risikos einen im Vergleich zu ihrer erwartbaren Rendite höheren Ertrag zeigen. Zahlen von Bloomberg legen beispielsweise nahe, dass kurzlaufende Unternehmensanleihen im Euro Investment Grade-Markt mit einer Rendite von 4,4 Prozent pro Jahr im Zeitraum Februar 2000 bis Dezember 2022 eine gleiche Rendite wie der breite Markt erzielen, ihre Duration (Kapitalbindungsdauer) war aber nur 60 Prozent jener des Gesamtmarktes.

Faktorausprägungen steuern

Institutionelle Investoren steuern die Faktorausprägungen in ihren Portfolien oftmals aktiv. Durch die Reduzierung der wechselseitigen Beziehung mit traditionellen Anlageklassen streben sie eine wirksamere Diversifikation, also breite Streuung, auf Gesamtebene an. Typisch ist hier eine Kombination von Faktorallokationen, sogenannte Mehrfaktoren- oder Multi-Faktor-Ansätze. 

Dafür werden Faktoren so zusammengestellt, dass sie spezifische Zyklen und mögliche Schwächephasen miteinander ausgleichen können. Ein gutes Beispiel ist die Kombination von Momentum mit Volatilität, die sich oftmals unterschiedlich voneinander entwickeln (geringe Korrelation), unabhängig voneinander aber Potenzial für Überrenditen versprechen.

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Ausblick: Faktor und ESG

Können sich Privatanleger hier einiges abschauen und Faktoren für ihre Anlagestrategie nutzen? Dies kommt sicherlich auf die individuellen Ziele, das Risiko-Ertrags-Profil und letztlich auch die Relevanz ein, die man den Erkenntnissen fortschrittlicher Algorithmen beimisst. Je nach Anbieter reichen die von so genannten Quantitativen Managern genutzten Daten von Finanz- und Preisinformationen über Aufzeichnungen von Analystengesprächen bis hin zu Warenströmen oder gar Bewegungsdaten von Menschen. 

Sicher ist meiner Meinung nach jedoch: Im Zuge der steigenden Nachfrage nach grünen Geldanlagen dürfte das Thema an Aktualität nicht einbüßen. Faktoren werden künftig vermutlich noch gezielter eingesetzt, um ein besseres ESG-Profil (Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung) anzustreben, etwa indem mithilfe einer Faktorgewichtung Titel selektiert, ausgeschlossen und ersetzt werden, ohne unbedingt die Ertragserwartungen zu verändern. Dies dürfte diejenigen Anleger interessieren, denen es auf bestimmte Merkmale in ihren Depots und den positiven Beitrag auf Nachhaltigkeitsziele, etwa die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks, ankommt.

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