Verkehrte (Finanz)welt
Quelle: dpa

Mehr Rendite bei weniger Risiko? Die Volatilitäts-Anomalie

Anleger wägen immer mögliche Gewinne mit möglichen Verlusten ab. Wissenschaftliche Studien zeigen jedoch: Höhere Renditen müssen nicht notwendigerweise mit höheren Risiken einhergehen.

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Jeder Student der Finanzwirtschaft macht früher oder später Bekanntschaft mit dem Capital Asset Pricing Model (CAPM), das in den 60er Jahren von den Wirtschaftswissenschaftlern Sharpe, Lintner und Mossin entwickelt wurde. Zentraler Punkt des Modells ist der Zusammenhang von erwarteter Rendite und dem Risiko, ausgedrückt durch die Volatilität der Anlage.

Das bedeutet, dass nach diesem Modell risikoreiche, volatile Aktien stets eine höhere Rendite erwirtschaften (müssen) als schwankungsärmere Aktien. Die höhere Rendite ist somit eine Prämie, die der Anleger für das Aushalten der Schwankungen bekommt.

Probieren geht über Studieren

Die gestiegene Rechnerkapazität und die bessere Verfügbarkeit von Preis- und Fundamentaldaten haben es ermöglicht, die Theorie einer weitgehenden Prüfung zu unterziehen. Das Ergebnis ist eindeutig: Riskantere Anlagen liefern keineswegs stets höhere Renditen.

Anstelle der prognostizierten positiven Beziehung findet man im Rendite-Risiko-Diagramm empirisch ein umgekehrtes flaches „U“ wieder. Folglich gibt es ab einem bestimmten Punkt einen negativen Zusammenhang von fallender Rendite bei zunehmendem Risiko. Das heißt: Volatile Aktien strapazieren nicht nur übermäßig die Nerven der Anleger, sondern lassen am Ende auch noch eine geringere Rendite als ihre weniger schwankungsanfälligen Alternativen erwarten. Unter dem Namen Volatilitäts-Anomalie beschäftigt dieser Umstand seitdem die Finanzwissenschaft.

Erklärungsversuche

Wie lässt sich die Anomalie erklären? Einen Ansatz liefert die Risikoneigung der Anleger. Stark schwankende Aktien üben eine gewisse Faszination auf uns aus, nicht zuletzt, da sie oft in den Medien prominent Erwähnung finden. Ein Beispiel stellen die Kurskapriolen bei den US-Aktien von Gamestop und AMC vor gut einem Jahr dar.

Die von der Pandemie hart getroffene Videospiel-Einzelhandelskette und ein schon vor der Coronakrise hochverschuldeter Kinobetreiber haben sich unter außerordentlichen täglichen Schwankungen im Preis vervielfacht und insbesondere junge und unbedarfte Anleger das „schnelle Geld“ vermuten lassen. Die Ernüchterung setzt häufig dann ein, wenn die mittel- und langfristige Kursentwicklung zwangsläufig der ungünstigen Fundamentalentwicklung des Geschäfts folgt und sich zu den hohen Schwankungen noch eine enttäuschende Rendite gesellt.

Eine weitere Erklärung der Volatilitäts-Anomalie könnte in einem bestimmten Marktsegment liegen. Was man im weitesten Sinne als Technologieaktien bezeichnet, sind oftmals kräftig wachsende Unternehmen, deren Aktien häufig stark schwanken. Der Grund für die erhöhte Volatilität liegt hier in der frühen Entwicklungsphase der Unternehmen. Deren neuartige Produkte und Dienstleistungen versprechen zwar im besten Fall ein hohes Wachstum und damit attraktive Renditen für den Investor, jedoch scheitern viele dieser Firmen in kurzer Zeit oder verschwinden in der Bedeutungslosigkeit.

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Zumeist sind diese Unternehmungen aufgrund der frühen Phase des Produktlebenszyklus und des hohen Investitionsbedarfs verlustträchtig oder haben einen hohen Cash-Abfluss. Dies geht oft mit einer fragilen Bilanzstruktur einher. Im ungünstigsten Fall mündet das in eine stark verwässernde Kapitalerhöhung oder bedeutet den Totalverlust des Investments. Kurz: Im Durchschnitt kompensieren die hoch-rentierlichen Investments nicht die Ausfälle. Noch prägnanter formuliert: Auf jede Apple-Aktie kommen auch solche, die ausfallen oder (temporär) weniger gut performen (etwa Blackberry oder Nokia).

Volatilität für eigene Zwecke nutzen

Was bedeuten diese Erkenntnisse und Erklärungsansätze für die Anleger? Rationale Anleger sollten weder die Volatilität, noch die Technologiebranche kategorisch meiden. Im Gegenteil, volatile Phasen können zum eigenen Vorteil genutzt werden – insbesondere, wenn es sich um langfristig aussichtsreiche Unternehmen handelt, die zu einem günstigeren Preis gekauft werden können. Dagegen scheint es nicht ratsam, Aktien zu erwerben, nur mit der Absicht, sie angesichts hoher Volatilität zu höheren Kursen wieder zu verkaufen.

Marktführerschaft und starke Bilanzen reduzieren das Unternehmensrisiko

Wie also könnte eine vielversprechende Investmentstrategie aussehen? Am besten konzentriert man sich auf dominierende Marktführer in etablierten, aber trotzdem dynamischen Branchen. Die Wachstumsraten sind hier möglicherweise nicht so hoch wie bei etwaigen Tech-Werten, dafür ist durch die oftmals hohe Kapitalrentabilität und Cash-generierung das Wachstum wertschaffender.

Hohe Profitabilität und disziplinierte Reinvestitionen sichern das Bestehen in unvermeidlichen Krisen. Zusammen mit soliden Bilanzen ermöglicht es diesen Firmen, opportunistische Unternehmenszukäufe zu tätigen und somit gestärkt aus einer Krise herauszukommen. Es sollte daher durchaus möglich sein, ein Portfolio zusammenzustellen, dass sowohl eine hohe Rendite erwirtschaftet, als auch ein unterdurchschnittliches Risiko für den Anleger darstellt. Obwohl dies nicht im Einklang mit der gängigen Kapitalmarkttheorie ist: Empirische Forschungsergebnisse zur Volatilitäts-Anomalie unterstützen dies.

Fazit

Die Theorie der effizienten Märkte mit dem Paradigma, dass höhere Renditen stets mit höherem Risiko einhergehen, hält sich hartnäckig. Jedoch zeigen sowohl die empirische Forschung als auch unsere eigene Investmenterfahrung, dass es möglich ist, hohe Renditen und moderates Risiko zu verbinden. Hohe Renditen sollten daher nicht bewusst in Aktien mit hoher Volatilität vermutet werden, sondern in langfristig wachsenden und wertschaffenden Unternehmen.

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Auch wenn es schwer fällt: Es ist Zeit, sich von Theorien wie dem Capital Asset Pricing Model zu verabschieden – oder sie zumindest zu hinterfragen.

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