Die Rendite von Aktien wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Ein Anlageansatz, der viele Faktoren berücksichtigt, nennt sich Faktor-Investing. Er geht auf die Erkenntnisse des US-Ökonom Eugene Fama zurück, der 2013 für seine Forschungen zur Effizienz moderner Kapitalmärkte mit dem Nobelpreis geehrt wurde. Laut seiner Hypothese werden alle öffentlich verfügbaren Informationen zu Unternehmen umgehend in der Kursentwicklung der Aktien reflektiert. Es sei somit sehr schwer, Dividendentitel zu identifizieren, die die durchschnittliche Kursentwicklung des Marktes in der Zukunft übertreffen.
Tatsächlich schaffen es professionelle Vermögensverwalter im Mittel nicht, typische Aktienindizes zu schlagen. Denn alle Fonds zusammengenommen sind so groß, dass sie selbst den Markt repräsentieren: Ihr aggregiertes Portfolio entspricht in seiner Zusammensetzung ziemlich genau typischen Aktienindizes, die nach dem Börsenwert (im Fachjargon Marktkapitalisierung) gewichtet sind. In der Wertentwicklung der Fonds werden aber auch Kosten (etwa Vertriebs- oder Managementgebühren etc.) in Abzug gebracht, daher liegt das Durchschnittsergebnis sogar leicht unter dem des Index, wie folgende Grafik zeigt.
Natürlich erzielen einige Fonds gute Ergebnisse über drei, fünf oder gar zehn Jahre. Aber das Ranking der Fonds ist nicht stabil, oft liegen diese Topmanager in den Jahren danach unter dem Durchschnitt. Es fällt ihnen extrem schwer, den hohen Wettbewerb in der Branche zu übertreffen. Viele tausend Fondsmanager versuchen, durch geschickte Analyse der im Prinzip für alle zugänglichen Informationen einen Mehrwert zu schaffen – am Ende ein Nullsummenspiel.
Passive und „Faktor“-Produkte auf dem Vormarsch
Im Umkehrschluss werben passive Produkte wie Index-ETFs damit, zum Beispiel den Dax einfach zu kopieren - zu möglichst geringen Kosten. Die Titel werden hierbei genau wie im Vorbild anhand des Börsenwerts gewichtet, je größer ein Unternehmen und je höher sein Kurs, desto höher sein Gewicht. Neuerdings sind darüber hinaus sogenannte „smart beta“ oder Faktor-ETFs populär geworden. Diese streng regelgebundenen Konzepte stellen einen Mittelweg dar: Titelauswahl und Gewichtung erfolgen nicht durch einen Fondsmanager, sondern automatisiert anhand von vermeintlich attraktiven Kennzahlen.
Über die Kolumne
In Zeiten negativer Zinsen und quantitativer Lockerung steht so manche vormals gültige Faustregel des Finanzmarkts auf dem Kopf. In dieser Reihe bringen Experten der CFA Society Germany etwas Ordnung in unsere heutige Verkehrte (Finanz)welt. Die CFA ist der mitgliedsstärkste Berufsverband für die Investmentbranche in Deutschland. Gemeinsam mit dem globalen Mutterverband CFA Institute, engagiert sich die CFA Society Germany seit Jahren für professionelle und ethische Standards in der Investmentbranche.
Typische Beispiele für solche „Faktoren“ sind eine hohe Dividendenrendite, niedrige Bewertungskennzahlen wie das Kurs-Gewinnverhältnis („Value“), ein positiver Trend im Kurs („Momentum“) sowie niedrige Kursschwankungen („low volatility“) oder hohe Profitabilität (Faktor „Quality“). Im scheinbaren Widerspruch zur Effizienz-Hypothese stellt man fest, dass diese in der Theorie einfach umzusetzenden Strategien außerordentlich gute Ergebnisse erreichen. Wie folgende Rückrechnung simulierter Faktor Portfolios zeigt, steigen sie langfristig mehr als doppelt so stark wie der Dax:
Wie ist dies möglich? Eigentlich müsste es, folgt man der These Famas, bei effizienten Kapitalmärkten doch so sein, dass sehr viele Marktteilnehmer derartig simple Chancen so stark nutzen, dass die Outperformance nur noch minimal wäre. Dies geschieht in der Realität nicht, weil die Konzepte einen entscheidenden Nachteil haben: Zwar funktionieren sie über lange Zeiträume gut, kurzfristig können sie aber deutlich schlechter liegen. So machte die Value Strategie während der Finanzkrise bis zu 54 Prozent Verlust, deutlich mehr als der Dax (-44 Prozent). In den folgenden Monaten erholte sich der deutsche Leitindex mit plus 48 Prozent kräftig, aber das Momentum Portfolio beispielsweise nur kaum (+10 Prozent).
Langer Atem und Mut zum Risiko
Viele Anleger tolerieren derartig hohe negative Abweichungen nicht, oft steigen sie sogar gerade dann aus einem Faktor aus, wenn dieser gerade wieder anfängt zu funktionieren. Für ein erfolgreiches „Faktor Investing“ ist daher enormes Durchhaltevermögen entscheidend. So ist es ein wesentliches Merkmal der Value-Strategie, dass sie sich gerade in den Titeln engagiert, die anderen besonderes unattraktiv oder riskant erscheinen. Sie lag im oben genannten Zeitraum nach der Krise extrem vorne (+68 Prozent), denn sie investierte kurz nach der Lehman Pleite in Banken und Automobile - ein Zeitpunkt, zu dem fast alle Marktteilnehmer von einem Katastrophenszenario für diese Branchen ausgingen.
Zur Person
Thomas Kieselstein, CFA, ist langjähriges Mitglied der CFA Society Germany sowie CIO und Managing Partner der Quoniam Asset Management GmbH.
Um diese kurzfristigen Ausschläge zu dämpfen, wird mitunter empfohlen, die unterschiedlichen Strategien zu mischen. Aber auch ein derartiges Multi-Faktor Portfolio kann lange Jahre enttäuschen, wenn die schwergewichtigen Blue Chips am besten abschneiden – so geschehen etwa während des Technologie- und Medien-Booms Ende der Neunziger Jahre. Ferner ist davon auszugehen, dass bei steigender Popularität die Outperformance einzelner Faktoren im Laufe der Zeit geringer wird. Einige Strategien sind auch schlichtweg nicht liquide genug, um von großen Anlegerscharen genutzt werden zu können.
Es ist also durchaus möglich, trotz weitgehend effizienter Kapitalmärkte den Dax mit einfachen Mitteln zu schlagen. Dazu gehören aber ein langer Atem und Mut zum Risiko. Anleger sollten wohl überlegen, welche Risiken sie eingehen, und ein gutes Verständnis der zugrunde liegenden Produktcharakteristika mitbringen.