Stellen wir uns folgende Situation vor: Eine ältere Person, nennen wir sie Frau Huber, vereinbart einen Termin bei ihrer lokalen Bank, um sich hinsichtlich einer Anlagestrategie beraten zu lassen. Ganz konkret geht es darum, Geld für ein Enkelkind anzusparen. Frau Huber macht sich nicht nur Sorgen um die Zukunft ihres Enkelkindes, sondern auch um die Zukunft der Umwelt und Gesellschaft ganz allgemein. Idealerweise möchte sie mit der Anlagestrategie für das Familienmitglied vorsorgen – und zeitgleich auch eine nachhaltige Zukunft finanzieren, in der das Enkelkind leben soll.
Die Bank rät Frau Huber zu einem Sparplan, der monatlich einen festen Betrag in ETFs investiert. ETFs (Exchange Traded Funds) sind eine kostengünstige Möglichkeit, um in diverse Anlagestrategien zu investieren (zum Beispiel in einen breit diversifizierten Marktindex). Die Bank bietet einen breiten Katalog an – darunter auch einen ETF, der das Wort „Nachhaltigkeit“ im Namen enthält. Hat Frau Huber damit nun den entscheidenden Schritt getätigt, um ausschließlich in Firmen zu investieren, die umweltbezogene (E), soziale (S) und auf eine verantwortungsvolle Unternehmensführung bezogene Kriterien (G) berücksichtigen?
Nachhaltigkeit als Prinzip
Was meint Nachhaltigkeit hier genau? Im allgemeinen Sprachgebrauch wird mit Nachhaltigkeit ein Verhalten beschrieben, das gewährleistet, dass auch in Zukunft genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, um eine gewisse Aktivität fortzuführen. Auf Unternehmensebene könnte dies beispielsweise das Verhalten des Managements einer Aktiengesellschaft sein, das langfristige Erfolge höher priorisiert, als kurzfristige Gewinne. Im Kontext von Umwelt und Gesellschaft beschreiben wir mit „Nachhaltigkeit“ oft unser Verhalten heute und dessen Auswirkung auf zukünftige Generationen. Dabei stehen oft ökologische Aspekte im Vordergrund der öffentlichen Diskussion (zum Beispiel der Einfluss von Abgasen auf die Umwelt). Aber auch Themen wie Kinderarbeit oder die Beschädigung von Naturschutzgebieten.
Das Problem: „Nachhaltigkeit“ und „ESG“ sind oftmals noch vage Konzepte, die nicht strikt definiert oder reguliert sind. Hinzu kommt, dass beide Begriffe oft stellvertretend füreinander verwendet werden. Ein Minenfeld für Missverständnisse und potenziell auch eine Falle für Verbraucher wie Frau Huber.
Ratings zu Orientierung
Die Strategie, in die Frau Huber investiert, verwendet sogenannte ESG-Ratings. Kurz: Aktien und Anleihen mit einem „guten“ Nachhaltigkeits-Rating werden besser bewertet als solche, mit einer „schlechten“ Bewertung. Ein ESG-Rating für ein Unternehmen (oder auch eine Regierung) wird von sogenannten ESG-Rating-Providern erstellt und etwa Indexanbietern für eine Gebühr zur Verfügung gestellt. Es gibt eine ganze Reihe an prominenten Rating-Providern und jeder hat eine andere Methode, um das ESG-Rating zu erstellen. Was viele jedoch gemeinsam haben: Bewertet wird vor allem das Risiko aus E, S, und G auf das Unternehmen. Man spricht hier auch von der sogenannten einfachen Materialität.
Bloomberg hat dies unter der Überschrift The ESG Mirage unlängst anhand des ESG-Ratings von McDonalds markant dargestellt. Mit dem Kauf und Verkauf von Rindfleisch hat das Unternehmen im Jahr 2019 allein 54 Millionen Tonnen Treibhausgase verantwortet. Tendenz steigend. Treibhausgase sind nicht gut für die Umwelt. Dennoch hat der Provider vor einiger Zeit das ESG-Rating von McDonald‘s hochgestuft (also verbessert). Wie kann dies sein?
Der Rating-Provider hat die skizzierten Emissionen aus dem Bewertungs-Modell entfernt, da diese für McDonald‘s kein Risiko darstellen. „Besser“ heißt in diesem Fall also: Das Risiko aus „E“ wird für McDonald’s jetzt geringer eingestuft als vorher. Es bedeutet jedoch nicht, dass McDonald’s nun weniger Emissionen zu verantworten hat als vorher, also nachhaltiger agiert oder besser für die Umwelt ist.
Ausblick: Nachhaltigkeit aus zwei Perspektiven
Ist unsere Verbraucherin Frau Huber also mit einem Produkt gut beraten, dass auf dieser Art Rating beruht? Für die Anlagemotive von Frau Huber wohl kaum. Noch allgemeiner darf man die Frage stellen, unter welchen Prämissen ein Produkt das Wort „Nachhaltigkeit“ enthalten sollte. Daher machen sich Frau Huber und ihre Bankberaterin erneut auf die Suche. Diesmal wenden Sie die sogenannte doppelte Materialität an. Gemeint ist damit die gegenseitige Beeinflussung von Unternehmen und Umwelt. Es gibt bereits einige wenige Produkte, die diese doppelte Materialität berücksichtigen und auch in ihren Prospekten ausweisen (statt nur auf ESG-Ratings zu verweisen).
Es gibt auch unabhängige Werkzeuge und Webseiten nicht-kommerzieller Anbieter, die kritisch zu betrachtende Aktivitäten kenntlich machen, die durch den Kauf eines bestimmten ETFs finanziert werden. Gute Anlaufstellen sind Invest Your Values, wo Anleger Indexfonds auf ESG prüfen können und The Forum for Sustainable and Responsible Investment, wo man nach ETFs mit bestimmten Kriterien suchen kann. Auf diesem Wege sollten Anleger wie Frau Huber diejenigen Finanzlösungen finden, die den eigenen Anlagezielen entsprechen.
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