Verkehrte (Finanz)welt

Riskanter ETF-Boom

Passive Anlageinstrumente sind vergleichsweise günstig und beliebt wie nie. Davon profitieren vor allem große Unternehmen. Werden die Trittbrettfahrer des aktiven Investments für die Finanzmärkte zum Risiko?

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Quelle: Getty Images

Der Trend zu börsengehandelten Indexfonds (ETFs, Exchange Traded Funds) und weiteren passiven Anlageinstrumenten – also solche Investmentfonds, die einen Index nachbauen, bei denen ein Fondsmanager also keine meinungsbasierten Positionen eingeht – nimmt zunehmend an Fahrt auf: Nach Berechnungen der Rating-Agentur Moody’s sind inzwischen rund 5,6 Billionen Euro (ca. 6 Billionen US-Dollar) in passive Fonds investiert. Es wird davon ausgegangen, dass möglicherweise bereits ab Januar 2018 über 50 Prozent des in den USA verwalteten Anlagevermögens in passiven Anlageinstrumenten liegen wird.

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Auch ETFs als besonders beliebtes passives Anlageinstrument sind auf einer Rekordwelle und summierten sich laut der Research-Firma ETFGI weltweit Ende 2016 auf über 3,2 Billionen Euro (3,5 Billionen US-Dollar) in Assets-under-Management (AUM). In Europa lag dieser Wert laut Morningstar bei rund 550 Milliarden Euro. Wenn das bisherige Wachstum sich weiter fortsetzt, ist für 2020 mit dem Knacken der 1-Billionen-Euro-Marke zu rechnen.

ETFs auf der Überholspur

Aus Anlegersicht ist der Boom nachvollziehbar: ETFs und Indextracker sind relativ einfach verständlich, bewahren eine hohe Liquidität, da ein Verkauf der Anteile jederzeit möglich ist, und sind auch mit vergleichsweise geringem Anlagekapital zugänglich. Dadurch, dass kaum aktive Arbeit am Portfolio geleistet werden muss, locken sie zudem mit besonders niedrigen Gebühren. Gerade hier, so betonen die Befürworter passiver Strategien, lägen die entscheidenden Wettbewerbsvorteile. Schließlich sei es statistisch erwiesen, dass es einem Großteil aktiv verwalteter Fonds auf Dauer nicht gelingt, den Markt bzw. ihre Benchmark zu schlagen. Hinzu komme, dass vergleichsweise hohe Managementgebühren die Rendite weiter reduzieren.

Susan-Spinner Quelle: CFA Society Germany e. V.

Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen – und sie findet zunehmend auch in der Branche Gehör: In einer aktuellen Studie des Berufsverbands CFA Institute gab etwa die Hälfte der über 1.000 weltweit befragten professionellen Investoren selbst an, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis im aktiven Investmentsektor aktuell nicht stimmig sei. Aktive Vermögensverwalter erkennen mehr und mehr, dass sie den Mehrwert ihrer Dienstleistung besser aufzeigen und unter Beweis stellen müssen. Dazu dürfte in vielen Fällen auch eine Senkung der Managementgebühren gehören.

Vorerst befinden sich ETFs und passive Anlagestrategien jedoch auf der Überholspur. An prominenten Unterstützern mangelt es nicht: Multimilliardär und Investorenlegende Warren Buffet hat immer wieder öffentlich empfohlen, dass Privatanleger auf ETFs setzen sollten – wobei er selbst freilich bei seiner erfolgsgekrönten aktiven Anlagestrategie des „Value Investing“ bleibt. Das Plädoyer für passive Strategien könnte man folgendermaßen zusammenfassen: Wer die Zeit und das Wissen hat, um den Markt genau zu verfolgen und zu verstehen, mag mit einer aktiven Strategie besser fahren. Alle, die das aber nicht können, sollten sich lieber auf Indextracker verlassen. Diese Empfehlung birgt allerdings Risiken.

Wie viele Trittbrettfahrer verträgt das System?

Riskant ist die Entwicklung sowohl für das Finanzsystem im Ganzen, als auch für den einzelnen Anleger. Denn: Kapitalmärkte existieren nicht als Selbstzweck, sondern erfüllen eine entscheidende, realwirtschaftliche Funktion. Der Siegeszug passiver Anlagestrategien kann unter anderem zur Folge haben, dass immer mehr Geld in die etablierten, großen Unternehmen fließt und ihren Marktwert steigert. Dies verankert sie wiederum noch fester in den Portfolien der gängigsten Tracker.

Eine solche Eigendynamik geht zu Lasten kleinerer Wachstumsunternehmen, die es immer schwerer haben, im Markt Fuß zu fassen, und bietet nicht zuletzt das Potenzial für eine neue Spielart des „too big to fail“-Prinzips. Ein auf diese Weise exponentiell steigender Mittelzufluss für die immer gleichen Wertpapiere birgt zudem die Gefahr, die Effizienz der Kapitalmärkte zu beeinträchtigen – also die angemessene Bewertung von Unternehmen, Rohstoffen und weiteren Assets zu verzerren. 

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Zudem zeigt das aktuelle Beispiel der Schweizer Börse, dass Indexfonds den Anlegern längst auch keine Garantie auf Diversifikation (und damit Risikostreuung) mehr geben: Die Schweizer Börsenaufsicht hat jüngst beschlossen, die Gewichtung der drei größten Titel im Börsenindex SMI auf jeweils 18 Prozent zu begrenzen. Real betrachtet, machen die drei Konzerne Nestlé, Novartis und Roche rund 60 Prozent des SMI aus. Hier muss also aktiv regulierend eingegriffen werden, um ein mögliches Klumpenrisiko zu begrenzen.

Moody’s hat berechnet, dass passive Fonds weltweit möglicherweise bereits in 5 Jahren, spätestens aber 2024 gemessen an Assets-under-Management (AUM) an aktiv gemanagten Fonds vorbeiziehen werden. Bisher ist unklar, wann die erforderliche Mindestmarke an aktivem Investment unterschritten wird. Und ebenso offen ist, welche Auswirkungen dieser Wendepunkt auf die Finanzmärkte haben wird.

Ein zentraler Aspekt wird von passiven Investoren gerne außer Acht gelassen: Indextracker können nur dann Renditen erzielen, wenn der zugrundeliegende Index bewegt wird – und zwar durch aktives Investment. In diesem Sinne sind passive Anleger die Trittbrettfahrer des aktiven Investments. Die (kostenintensive) Recherche und Fachkompetenz, die in die Marktanalyse und das Aufspüren unterbewerteter Assets geht, machen passive Tracker sich quasi kostenfrei zunutze. Sie setzen darauf, dass es immer ausreichend aktive Investoren geben wird, um das System in Gang zu halten. Das könnte ein Trugschluss sein.

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Wer sitzt am Steuer?

Eine Grundregel der Finanzmärkte bleibt, dass attraktive Investments früher oder später an Renditechancen verlieren, wenn ihnen zu viel Geld zufließt. Es wäre ein Fehler zu glauben, dass diese Konsequenz im Falle von Indextrackern nicht eintritt. Für Anleger bedeutet dies nicht allein, dass die Renditen passiver Fonds einbrechen könnten. Es könnte auch zur Folge haben, dass erneut die Steuerzahler für Ausfälle aufkommen müssen.

Hier geht es nicht um den moralisch erhobenen Zeigefinger. Vielmehr ist zu fragen, wem die Verantwortung zufällt, die Belastungsgrenze des Systems zu überwachen und stabilisierende Maßnahmen einzuleiten. Es kann kaum erwartet werden, dass Anleger auf vergleichsweise attraktive und kostengünstige Investments verzichten, um das große Ganze zu schützen. Während passive Investments also zumindest mittelfristig weiterhin an Fahrt aufnehmen dürften, bleibt die Frage: Wer sitzt dabei am Steuer?

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