Verkehrte (Finanz)welt
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Sell in May and go away… aber was dann?

Jahr für Jahr stehen Anleger vor der gleichen Frage: Im Mai verkaufen und erst im September zurückkehren? Warum die alte Börsenweisheit tatsächlich nur von zweitrangiger Bedeutung ist.

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In der aktuellen Jahreszeit stellen viele Anleger ähnliche Überlegungen an: Die Börsen haben eine erfreuliche Entwicklung hingelegt – kann das so weitergehen? Soll ich mein Portfolio so belassen oder jetzt einen Teil verkaufen? Und: Wenn ich die Gewinne jetzt mitnehme, was mache ich dann mit dem freigewordenen Geld angesichts historisch niedriger Zinsen?

Perfekte Ein- und Ausstiegszeitpunkte zu finden – etwa entlang saisonaler Muster –, ist schwierig. Für Anleger, die einen langfristigen Horizont beherzigen, sollte das Thema gar von nachrangiger Bedeutung sein. Dennoch ist es lohnenswert, sich jetzt mit der „Mai-Frage“ und der skizzierten Börsenregel auseinanderzusetzen: Sie bietet einen guten Anlass, um über die Struktur und Diversifizierung des Portfolios nachzudenken.

Mehr als Aktien und Anleihen

Ob jemand überhaupt versuchen sollte, den Markt zu „timen“, dies wird in verschiedenen Studien eher kritisch betrachtet. Sinnvoller sei es, so die Finanzwissenschaften, langfristig investiert zu sein. Untersuchungen haben gezeigt, dass Anleger nach 15 Jahren mit einem breiten Aktienmarktindex fast immer eine positive Rendite erzielt haben, auch wenn sie zu Höchstkursen am Markt einstiegen und Rückschläge hinnahmen.

Da Rententitel zumindest im Euroraum derzeit keine Rendite abwerfen, heißt es in diesem Zusammenhang in der öffentlichen Debatte häufig, die Aktie sei ohnehin „alternativlos“. Tatsächlich hat sich aber der Instrumentenkasten auch für Kleinanleger erheblich erweitert – und damit auch die Möglichkeiten für die Portfoliodiversifikation.

Denken Sie einmal 20 Jahre zurück. Ja, es gab Aktien und Anleihen. Derivate gab es auch schon, aber ansonsten war die Auswahl bescheiden. Viele Vehikel wie Hedgefonds oder Private Equity standen ausschließlich vermögenden Kunden der Banken und Family Offices zur Verfügung. Und heute? Eine der wichtigsten Entwicklungen waren sicherlich ETFs. Mit ihnen kann man weit mehr als nur die großen Aktienmärkte abbilden. Die ETF-Landschaft ist erheblich breiter geworden. Es ist möglich, auf Investmentstile oder Investmentthemen zu fokussieren. Hinzu kommen ETFs, die in spezialisierten Anleihesegmenten oder im Rohstoffbereich investiert sind. Zugegeben: Auch früher gab es schon Wege, um zum Beispiel in Gold zu investieren. Doch durch ETFs sind die Eintrittshürden und Transaktionskosten erheblich gesunken.

Nicht zu vergessen sind, zweitens, die klassischen Investmentfonds. Auch hier hat sich in den letzten Jahren viel getan. Zwar wird der Markt unübersichtlicher, er bietet aber Zugang zu unkorrelierten Anlagestrategien. Beispiele sind dänische Hypothekenanleihen, Chinabonds oder Investitionen in Aktien der Frontier-Märkte. Hinzuzuzählen sind ausgefeilte „Total-Return-Strategien“ als Teilbereich von Hedgefonds.

Von Crowdfunding bis Kryptowährung

Zunehmende Relevanz erlangen auch Sachwerte. Immobilienfonds etwa gibt es sowohl in „offener“ als auch „geschlossener“ Version. Durch die Finanzkrise änderten sich vielerorts die Rückgabemöglichkeiten für offene Immobilienfonds. Dadurch wurden diese zunehmend zu illiquiden Anlagen. Auch wenn gerade jetzt wieder einige geschlossene Fonds mit Rückzahlungsschwierigkeiten zu kämpfen haben, ist eine Beschäftigung mit dem Thema – unter anderem aufgrund der Inflationsschutz- und Diversifikationseigenschafen – für viele interessant. Sollten die Anleger die höhere Liquidität wünschen, können Sie auf immer mehr Immobilienaktien und REITS ausweichen.

Ebenso vereinfacht wurden die Möglichkeiten, bereits mit „geringeren“ Beträgen in Private Equity oder Venture Capital zu investieren. Aufgrund der Illiquidität und dem damit implizit höheren Risiko sowie der langen Bindung des Kapitals sind für diese Anlageklassen die zu erwartenden Renditen deutlich höher. Aber eben auch die Risiken. Das Angebot hat sich deutlich verbessert und eine Beimischung zum Portfolio erscheint überlegenswert.

Immer mehr Aufmerksamkeit erhalten auch Crowdfunding-Modelle und Kryptoassets. Beide sind der Kategorie „grauer Kapitalmarkt“ zuzuordnen. Zum Teil hohen Renditen stehen große Risiken gegenüber. Das Angebot wird breiter und damit wird das Thema Aufsicht und Regulierung immer wichtiger. Neben der Tatsache, dass für die Verwahrung der Wertpapiere ein „Wallet“ benötigt wird, müssen Anleger bei Kryptoassets unbedingt auf die Handelbarkeit achten. Token, die eine Beteiligungen an bestimmten Vermögenswerten ermöglichen, werden in allernächster Zeit verstärkt Einzug in die Vermögensanlage finden.

Ein gewisser Hype ist schon jetzt in den USA um sogenannte NFTs ausgebrochen. Die Preisentwicklung im Sekundärmarkt zeigt aber auch hier die Risiken auf. Aufhorchen lässt in diesem Kontext die Gründung des Fintech 360X der Deutschen Börse und der Commerzbank. In absehbarer Zeit wird sich die Handelbarkeit und Abwicklung dieser Token erheblich verbessern und dadurch irgendwann für alle Anleger interessant.

Ebenfalls zu den Blockchain-basierten Assets gehören Kryptowährungen. Deren Akzeptanz ist zuletzt erheblich gestiegen. Mittels ETCs (Exchange Traded Commodity), die die Wertentwicklung von Währungen abbilden, sind Investments über die Börse möglich. Vorsicht: Bei dem auf Xetra gehandelten BTCetc (Bitcoin Exchange Traded Crypto) handelt es sich beispielsweise um eine ETN (Exchange Traded Note), eine Inhaberschuldverschreibung, die nicht als Sondervermögen gilt. Zudem muss auf die hohe Volatilität dieser Papiere hingewiesen werden.

Aus dem Grund eignen sie sich für die meisten Portfolien nur als Beimischung, allerdings mit einer Menge Fantasie. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass sich Anleger intensiv mit der steuerlichen Behandlung beschäftigen müssen. Es empfiehlt sich – ähnlich wie bei der Derivatebesteuerung, wo das Finanzministerium in den letzten Jahren mehrere Änderungen vorgenommen hat – die Implikationen bei der langfristigen Portfoliokonstruktion zu berücksichtigen.

Fazit: „Sell in May“ ein guter Anlass...

Die alte Börsenregel bietet – auch für diejenigen, die bisher noch nicht an den Märkten investiert sind – einen Anlass, um über die Streuung und Risikoverteilung von Portfolien nachzudenken. Weniger jedoch als Leitfaden, wie sich Anleger im Mai, September oder November verhalten sollten. Wer sich an einen langfristigen Anlagehorizont hält, für den stehen heute viele Mittel zu Verfügung, um ein Portfolio wie die Profis aufzubauen. Wer die Zeit nicht hat, sollte zum Beispiel auf einen Multi-Asset-Fonds ausweichen. Das Sparbuch hat leider ausgedient.

Mehr zum Thema: Die besten Börsenstrategien: Was Deutschlands erfolgreichste Geldmanager jetzt empfehlen – und wie sie ihre Fonds gegen Inflation und Crashrisiken absichern.

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