Verkehrte (Finanz)welt
Quelle: dpa

Start-ups, Anleger und die Welt post-Corona

Wie wird die Welt nach Corona aussehen? Viele Stimmen fordern ein „Wiederhochfahren“ der Wirtschaft mit Fokus auf Ökologie und Nachhaltigkeit. Daneben sollten die Themen Digitalisierung und Start-ups eine Aufwertung erfahren – im Interesse der Anleger und des Standorts Deutschland. Ein Gastbeitrag.

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Die Krise, die unser aller Gesundheit bedroht, belastet in einem nie dagewesenen Umfang die Wirtschaft und Gesellschaft. Eingriffe in persönliche Freiheitsrechte sind dabei teilweise eklatant. Die Folgen für einen großen Teil der hiesigen Unternehmen sind ruinös. Besonders hart betroffen sind Selbstständige und kleinere Unternehmen mit wenig Rücklagen sowie Start-ups. Diese arbeiten in den meisten Fällen noch nicht profitabel und sind für ihr Wachstum auf Finanzierungsrunden angewiesen. Die Ergebnisse einer Umfrage des Bundesverbands Deutsche Start-ups legen nahe, dass neun von zehn deutschen Start-ups negativ von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise betroffen sind. Rund 80 Prozent fürchten gar um ihre Existenz.

Relevanz für Anleger

Das Thema ist für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland sowie für den hiesigen Finanzplatz und verschiedene Anlegerkreise von Belang. Vor dem Hintergrund eines geänderten Werte- und Umweltbewusstseins fordern etwa immer mehr Investoren Anlagelösungen ein, die Klimaaspekte und Nachhaltigkeitskriterien (ESG) erfüllen. Das Forum Nachhaltige Geldanlagen beziffert das Gesamtvolumen dieses Anlagemarkts in Deutschland auf circa 219 Milliarden Euro.

Für die Phase des Exits aus dem Stillstand sollte den Themen Digitalisierung und Start-ups ein ähnlich hoher Stellenwert zukommen. Es wäre wünschenswert, wenn Investitionen in diese Bereiche ebenfalls als „Impact Investitionen“ in das öffentliche Bewusstsein rücken. Das Thema betrifft sowohl institutionelle (Venture Capital) Investoren und Business Angels, als auch Privatanleger. Wir benötigen mehr Unternehmen, die den Sprung an die Börse schaffen und damit mehr Anlagemöglichkeiten in deutsche Tech-Titel. Aus Anlegersicht ist dies nicht nur eine spannende Renditealternative und Diversifizierung im Niedrigzinsumfeld. Es geht letztlich auch um den Einfluss auf Beschäftigung und Wertschöpfung in Deutschland.

Fehler der Vergangenheit vermeiden

Die Dotcom-Krise 2001 hat in Europa kaum ein Start-up überlebt. Viele der heutigen US-Internet-Riesen hatten europäische Gegenspieler, seien es Portale, Online-Broker oder Auktionsplattformen. Kaum eines dieser Unternehmen wurde zum globalen Superstar. Die europäische Venture Capital (VC)-Szene existierte damals praktisch noch nicht und so verloren wir den ganzen Fortschritt. Parallel erfolgte der Aufstieg von US-Firmen, die weiter finanziert wurden und heute als Megacompanies bezeichnet werden können. Beispiele sind Google/Alphabet oder Ebay. Dies darf uns nicht noch einmal passieren. Zumal, neben der US-Konkurrenz, die Herausforderungen mit dem Aufstieg chinesischer Player gewachsen sind.

Gefährliche Entwicklung

Werden VC-Investoren, die noch vor wenigen Wochen zu Tech-Investitionen bereit waren (immerhin erhielten deutsche Tech Start-ups, gemäß Auswertungen von EY, bislang über acht Milliarden US-Dollar Risikokapital) aufgrund der Coronakrise zurückhaltender? Wir sehen bereits, dass viele Business Angels ihre Start-up-Engagements pausieren und den Fokus auf die Rettung von Bestandsinvestments legen. Das Deutsche Börse Venture Network hat im April in einer Umfrage herausgefunden, dass fast die Hälfte (46 Prozent) der Kapitalgeber einen Rückgang der Startup-Finanzierungen gegenüber dem Vorjahresquartal erwarten. Viele Start-ups, die vor Corona vielversprechend aussahen, werden dadurch schwer zurückgeworfen.

Krise legt Aufholbedarf offen

Wir haben hervorragende Start-ups in Deutschland und zunehmend auch solche, die in den Rang von „Unicorns“ (diejenigen, die von Investoren mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet werden) aufsteigen. Mit der Pandemie wird vielen Marktteilnehmern schmerzlich bewusst, dass einige Industrien, in denen Deutschland in der Vergangenheit erfolgreich war, künftig anders aussehen werden.

Beispiele sind die Automobil- und Luftfahrtbranche sowie solche Industrien, die auf fossile Energien setzen. Gleichzeitig gewinnen neue Sektoren beziehungsweise solche, die den digitalen Wandel vorantreiben, an Wichtigkeit. Die Krise hat dies besonders stark für den Bildungs- und Gesundheitsbereich aufgedeckt, sowie für die Transformation von Arbeitswelten.

So funktionierte an einigen Schulen trotz Schließung der Unterricht, an anderen passierte dagegen wochenlang wenig bis nichts. In Ländern, die mit der Digitalisierung schon weiter sind, gibt es dagegen erfolgreiche Beispiele wo der Unterricht online ablief – nach Stundenplan mit Lehrern, etwa in der Schweiz oder Norwegen.

Auch unser Gesundheitssystem zeigt Schwächen. Wir kommen mit Corona bisher klar, weil wir große Kapazitäten und Krankenversicherung für (fast) alle haben, aber wie kann es sein, dass sich Menschen mit schwerwiegenden, nicht Corona bedingten Krankheiten nicht mehr zum Arzt trauen? Wie kann es sein, dass sich unser Versicherungssystem im Jahr 2020 noch immer windet, digitale Sprechstunden anzuerkennen?

Und letztlich haben wir gesehen, dass die Infrastrukturen für neue Arbeitswelten, übrigens auch in Behörden, und Home-Office noch keineswegs überall gegeben sind.

Startup-Förderung und Anlagechancen

Wir sollten daher jetzt sorgfältig hinschauen und dort fördern, wo es für unsere Zukunft wichtig ist. Viele Start-ups sind hochqualifiziert im Dienstleistungssektor, in KI (künstliche Intelligenz) oder Prozessoptimierung sowie den Bereichen der digitalen Ausbildung und Digital Health. Bisher sind vornehmlich internationale Investoren bereit, für neue Geschäftsmodelle entsprechende Summen in die Hand zu nehmen. Die Gefahr: Ein Abwandern von Substanz und Technologie aus Deutschland. Dies sollten wir vermeiden. Sich auf den deutschen Staat als Investor zu verlassen, kann nicht die zukunftsweisende Lösung sein. Es braucht marktwirtschaftliche Impulse und Bereitschaft seitens privater und institutioneller Anleger.

Ausblick: Nicht als Verlierer aus der Krise gehen

Die derzeitigen Profiteure der Krise sind diejenigen, deren digitale Geschäftsmodelle global skalierbar sind. Dazu zählen etwa Amazon oder der Streaming-Anbieter Netflix, dessen Aktienkurs seit Jahresbeginn um fast 40 Prozent zugelegt hat. Bereits vor der Krise zeigte sich, dass Deutschland im Vergleich mit den USA und China digital abgehängt ist. Die gesamte Marktkapitalisierung des DAX 30 lag vor der Pandemie bei knapp über 1,2 Billionen Euro – Apple alleine war mehr wert.

Mehr Offenheit und Neugier für die Themen Digitalisierung und Start-ups sollten jetzt Rückenwind bekommen. Dafür bedarf es Anlagechancen auch für kleinere Anleger sowie strategische Kooperationen mit etablierten Unternehmen. Damit können wir auch verhindern, dass SAP unser einziges – börsennotiertes – Top-Tech-Unternehmen bleibt.

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