Verkehrte (Finanz)welt
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Warum Aktionäre ausgerechnet in CO2-intensive Unternehmen einsteigen sollten

Viele Anlagestrategien schließen inzwischen Unternehmen aufgrund bestimmter Kriterien kategorisch als Investment aus. Doch: Wer engagiert sich in den Unternehmen, bei denen Veränderungen am dringendsten erscheinen?

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Immer mehr Anleger wollen neben den üblichen finanziellen Aspekten – wie Rendite, Risiko und Liquidität – weitere Kriterien bei der Auswahl ihrer Kapitalanlage berücksichtigen. Zunehmend werden Unternehmen aufgrund bestimmter Kriterien als potenzielle Investments kategorisch ausgeschlossen. In der Hoffnung, mit dem eigenen Investmentansatz einen positiven Einfluss auf Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung zu nehmen, wurde es beispielsweise in den letzten Jahren immer populärer, Unternehmen nach sogenannten „ESG“-Kriterien oder „Nachhaltigkeitsmerkmalen“ zu screenen. So stieg das verwaltete Vermögen von Fonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen nach Angaben des deutschen Fondsverbands BVI bis Mitte 2022 auf einen neuen Rekord von 718 Milliarden Euro und damit bei Publikumsfonds auf rund 44 Prozent des Gesamtmarktes. Aber: Ist der Trend zum pauschalen Ausschluss von Unternehmen als Investment wirklich sinnvoll, wenn man mit seiner Kapitalanlage etwas bewirken will?

Beispiel: Dekarbonisierung der Luftfahrtindustrie

Betrachtet man beispielsweise die Luftfahrtindustrie, dann trägt diese weltweit etwa zwei bis drei Prozent zu den vom Menschen verursachten Kohlenstoffdioxid (CO2)-Emissionen bei. Aktuell zielen die Strategien der Luftfahrtindustrie darauf ab, die Netto-CO2-Emissionen bis 2050 auf null zu reduzieren. Der Grund: Bestehende Technologien und verbundene Kosten stünden einer zeitnahen und signifikanten Reduktion entgegen. Anleger, die bei ihrem Investmentansatz CO2-Emissionen berücksichtigen, könnten Unternehmen der Luftfahrtindustrie daher als nicht investierbar einstufen.

Wenn diese Anleger jedoch nicht in Unternehmen der Luftfahrtindustrie investieren, dann basiert der Druck zur Reduktion von CO2-Emissionen in erster Linie auf den globalen regulatorischen Rahmenbedingungen und der Nachfrage der Kunden. Während der regulatorische Druck vor allem in Nordamerika und Europa zunehmen dürfte, scheint dies global in absehbarer Zeit fraglich. Auch die Kunden scheinen bisher kein größeres Interesse an nachhaltigerem Fliegen zu haben. So nutzen beispielsweise weniger als ein Prozent der Fluggäste der Lufthansa die Möglichkeit einer CO2-Kompensation zum nachhaltigerem Fliegen, wie diese im Frühjahr mitteilte.

Wandel durch Wahrnehmung der Aktionärsrechte

Der Druck auf die Luftfahrtindustrie zur Reduktion von CO2-Emissionen ist zwar vorhanden, aber Aktionäre könnten die Entwicklung beschleunigen. Denn: Das Ziel der Netto-Null-CO2-Emissionen dürfte neben anderen Faktoren wie Flugrouten- und Flughafenmanagement vermutlich primär über Innovationen bei den Flugzeugen und Kraftstoffen erreicht werden. Innovationen sind jedoch nicht nur schwierig zu prognostizieren, sie reduzieren zumindest kurzfristig auch die Gewinne durch erhöhte Forschungs- und Entwicklungskosten. Das wiederum ist gerade bei kurzfristig orientierten Anlegern nicht allzu beliebt.

Wer den Wandel zu einer CO2-neutralen Welt mit seiner Kapitalanlage fördern will, könnte aber als Aktionär Innovationen aktiv einfordern und kurzfristig geringere Gewinne akzeptieren. Somit wäre allerdings ein kategorischer Ausschluss von Investments in derzeit CO2-intensive Unternehmen wie Fluggesellschaften oder Raffinerien durchaus diskussionswürdig. Vielmehr könnte gerade dann eine Beteiligung in Betracht gezogen werden. Außerdem sollten Aktionäre ihre Rechte konsequent wahrnehmen – wie etwa das Stimmrecht, das Auskunftsrecht oder das Recht der Ergänzung der Tagesordnung einer Hauptversammlung. Beispielsweise könnten Aktionäre fordern, einen Teil der Managemententlohnung an CO2-emissionsbezogene Maße zu koppeln.

Aktienkultur weiter fördern

Das Beispiel der Luftfahrtindustrie verdeutlicht, wie entscheidend das Engagement von Aktionären sein kann. Wer direkt in einzelne Aktien investiert, sollte seine Aktionärsrechte stets wahrnehmen. Wer Finanzprodukte wie zum Beispiel Themenfonds erwirbt, sollte zudem prüfen, ob und inwieweit Fondsmanager im Dialog mit dem Unternehmen stehen und ihre Stimmrechte tatsächlich ausüben.

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Auch die politischen Entscheidungsträger haben die Notwendigkeit einer Verbesserung der Mitwirkung der Aktionäre und Erleichterungen bei der Ausübung ihrer Rechte erkannt. Überfällige Schritte zur Stärkung der Aktionärsrechte waren die europäische zweite Aktionärsrechterichtlinie und die neugeschaffene Möglichkeit der virtuellen Hauptversammlung von Aktiengesellschaften in Deutschland. Aktive Beteiligung von Anlegern an Unternehmen bedeutet aber auch, dass die deutsche Aktienkultur durch weitere Förderung der Finanzbildung gestärkt werden muss. Denn: Nur wer seine Rechte und Pflichten kennt, kann diese zum gewünschten Wandel nutzen.

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