Verkehrte Finanzwelt
Eine Welle auf stürmischer See Quelle: imago images

Warum ETFs in stürmischen Märkten weniger geeignet sind

ETFs haben in den vergangenen Jahren einen beeindruckenden Aufstieg erlebt. Mit den durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Korrekturen an den Wertpapierbörsen zeigen sich jedoch die Grenzen passiver Investmentstrategie.

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Suche nicht nach der Nadel. Kaufe einfach den ganzen Heuhaufen!

Diese Erleuchtung veranlasste John Bogle, Chef der damals angeschlagenen US-Investmentfirma Vanguard, im Jahr 1976 den ersten Indexfonds aufzulegen. In Anlehnung an den US-Aktienindex S&P 500 gab er ihm den Namen Vanguard 500. Anfangs hatte Bogle es schwer, Anleger von seiner Idee zu überzeugen. In den 1980er Jahren interessierte sich nur eine kleine Gruppe von Investoren für seine Indexfonds.

In den 1990ern waren es dann schon mehr. Aber erst ab dem Jahr 2000 zündete die Idee und lockte viele Anleger an. Heute ist die Beweislast umgekehrt: Da viele Studien gezeigt haben, dass aktive Portfoliomanager im Schnitt den Markt ohnehin nicht schlagen können, sind diese nun unter Druck, ihre Existenz zu rechtfertigen. Angesichts hoher Kosten scheint es nur logisch, auf aktives Portfoliomanagement zu verzichten und im Sinne Bogles stattdessen den ganzen Markt zu kaufen. Die von sinkenden Zinsen begleitete, lange Aktienhausse von 2009 bis 2020 hat den Trend zum „passiven Investieren“ gut genährt. Inzwischen verwalten die beliebten, auf Börsen handelbaren Indexfonds namens Exchange Traded Funds (ETFs) weltweit knapp sechs Billionen US-Dollar Anlegergeld.

Mit dem durch die Coronapandemie ausgelösten Ende der Hausse dürften jedoch auch einige Schwächen des „passiven Investierens“ ans Licht kommen.

Erstens ist diese Anlageform heute weniger „passiv“, als Bogle es ursprünglich im Sinn hatte. Statt den ganzen Heuhaufen anzubieten, lockt die Fondsindustrie – natürlich zu höheren Preisen – mit Spielarten, die die einfache Grundphilosophie von Indexfonds konterkarieren. Etwa nach geographischen oder sonstigen „Faktoren“ sortierte ETFs, die unter dem Namen „Smart Beta“ vermarktet werden. Allein im Jahr 2019 flossen von den knapp 33 Milliarden Euro, die Anleger bis Ende November in Aktien-ETFs investierten, gut 7,1 Milliarden Euro – also ein Fünftel – in Smart-Beta-Strategien, so der ETF-Anbieter Amundi.

Zudem kann die einfache Handelbarkeit von ETFs einige Privatanleger dazu verleiten, Fondsanteile in Sekundenschnelle an der Börse zu kaufen und verkaufen, um schnelle Gewinne zu erzielen. Indem sie den Kunden mehr Einflussmöglichkeiten bei der Anlage bietet, nutzt die Fondsindustrie also die Neigung vieler Privatanleger zur Selbstüberschätzung, um höhere Gebühren für Verwaltung und Handel einzunehmen. Denn Anleger unterliegen oft dem Irrtum, gute und schlechte Segmente unterscheiden und den Markt „timen“ zu können. Statt mit einem aktiv gemanagten Fonds nicht besser abzuschneiden als der Markt, schneiden nun Anleger mit selbst gemanagten ETFs oft schlechter ab.

Für turbulente Zeiten weniger geeignet

Zweitens reagieren an Indizes orientierte Portfolios auf strukturelle Brüche, wie sie gerade durch die Corona-Pandemie verursacht werden, träge. Nach der Verbreitung des Virus in der chinesischen Stadt Wuhan und der Reaktion der Behörden darauf war beispielsweise schnell klar, dass die Reisebranche leiden und die Informations-, Kommunikations- und Technologiebranche gewinnen würde. Ein aufmerksamer Manager, der keinem Index folgt, konnte sein Portfolio schnell umschichten. Der an Marktindizes gekoppelte passive Investor folgt der Umschichtung dagegen erst dann, wenn die Indexgewichte entsprechend der veränderten Marktkapitalisierung angepasst werden oder bankrotte Firmen den Index verlassen. Zum Vergleich: Infolge der Finanzkrise von 2007/2008 stieg die Zahl der Unternehmensbankrotte in den USA von knapp 20.000 auf über 60.000 Anfang 2010 an. Vermutlich wird die Corona-Pandemie noch größere strukturelle Umwälzungen auslösen. Dies deutet darauf hin, dass Indexfonds besser für ruhige als für turbulente Zeiten geeignet sind.

Herausforderungen bei Renten-ETFs

Drittens eignen sich Indexfonds nicht für alle Vermögensklassen gleichermaßen. So werden die in einem Aktienindexfonds abgebildeten Unternehmen nach ihrer Kapitalstärke und damit ihrem Erfolg in der Vergangenheit gewichtet. Bei Anleihen-ETFs gilt dagegen: Diejenigen Emittenten, die die meisten Anleihen ausgegeben, haben das größte Gewicht im Index.

Das mag unbedenklich sein, wenn die Schuldenquote eines im Index hoch gewichteten Emittenten gering ist, aber es erhöht das Verlustrisiko für das gesamte Portfolio, wenn diese Quote hoch ist. Abgesehen von Totalausfällen können Anleiheportfolios auch an Wert verlieren, wenn Papiere im Rating heruntergestuft werden. Wie sehr das Risiko ansteigt, wenn die Bonität des Schuldners wackelt, verdeutlicht folgende Beispielrechnung: Auswertungen von Schroders legen nahe, dass die Herabstufung einer Unternehmensanleihe von „Investment Grade“ auf „Non-Investment Grade“ im historischen Durchschnitt zu einem Aufschlag (Spread) gegenüber risikolosen Anlagen um drei Prozentpunkte führt. Bei einer Bindung (Duration) von sieben Jahren fällt der Wert der Anleihe dann um einundzwanzig Prozent. Während in guten Zeiten im Schnitt rund drei Prozent aller Anleihen von Herabstufungen betroffen sind, kann dies in schlechten Zeiten durchaus jede zehnte Anleihe betreffen. Zudem dürfen zahlreiche Portfoliomanager Papiere unter „Investment Grade“ nicht halten – und müssen dann mit Verlust verkaufen.

Hinzu kommt, dass in Zeiten der Null- und Negativzinsen ein passives Anleiheportfolio auch ohne Ausfälle und Herabstufungen eher Wertverluste als Ertrag bringt. In solchen Zeiten lassen sich bei Anleiheanlagen Erträge nur noch durch aktives Management erzielen, welches Arbitragemöglichkeiten zwischen einzelnen Anleihen, Anleiheklassen, entlang der Zinsstrukturkurve und durch Neuemissionen von Anleihen nutzt.

Ausblick: Verfälschung der ETF-Idee nicht hilfreich

John Bogles Idee war genial und wird es auch bleiben. Doch zeigen die Marktverwerfungen durch Niedrigzinspolitik und Corona-Pandemie, dass seine Idee des Indexfonds auch ihre Grenzen hat. Die Vorteile gelten nicht für alle Marktphasen und -gegebenheiten sowie für alle Vermögensklassen gleichermaßen. Damit könnte John Bogle wohl leben. Was ihn aber schon zu Lebzeiten geärgert hat und wohl weiterhin ärgern würde, wenn er noch lebte, ist die zunehmende Verwässerung oder sogar Verfälschung seiner Idee durch die ETF-Industrie.

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