Werner knallhart

Stirbt das Bargeld in Deutschland jetzt doch aus?

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Irgendwann kippt das Gefüge

In Deutschland akzeptieren mittlerweile sogar die ersten Straßenkünstler in der Fußgängerzone Kartenzahlung (in anderen Ländern schon länger). Und auch die ersten Stände auf Wochenmärkten nehmen Karten an.

Es ist ja auch so schön einfach. Bewährte Kartenlesegeräte in der Größe einer Ricola-Hustenbonbonschachtel gibt es schon für um die 25 Euro. Und jede Zahlung kostet dann den Verkäufer zwischen 0,95 Prozent (EC-Karte) und 2,75 Prozent (Kreditkarten) des Umsatzes. Die Geräte werden per Bluetooth mit dem Smartphone gekoppelt, über die App wird der Betrag eingegeben, die Karte (oder das Handy) der Kunden wird ans Lesegerät gehalten, der Bon als E-Mail oder SMS verschickt oder mit dem angeschlossenen kleinen Thermo-Drucker (50 bis 120 Euro) ausgedruckt.

Wenn also etwa auf dem Wochenmarkt ein Kunde seinen Einkauf von 30 Euro mit EC-Karte bezahlt, muss die Marktfrau 29 Cent an den Dienstleister abdrücken. Klar, das sind dann 29 Cent weniger in der Kasse der Marktfrau, aber dafür ist ein Kunde glücklich. Weil er so kann, wie er will. Kundenbindung kostet eben. Eine Cash-Marktfrau sagte mir jüngst: „Aber ältere Leute zahlen eben gerne bar, und wir haben viele alte Kunden.“ Aber dann musste sie zugeben: Kartenzahlung anzubieten, heißt ja nicht, Bargeldzahlung abzuschaffen.

Es ist ja nicht gleich jeder so rigoros wie das Hipster-Café „The Barn“ im Haus Huth am Potsdamer Platz, deren Baristas die Annahme Bargeld verweigern. Die können es sich erlauben, weil dort die Kunden sich so mondän fühlen, dass sie sich blöd vorkämen, wenn sie zugeben müssten: „Ich habe keine Kreditkarte“. Aber auch ein Berliner Biergarten hatte diesen Sommer zumindest einen Stand, an dessen Theke stand: „Hier nur Kartenzahlung“. Es geht los. Wie gesagt: In unseren Nachbarländern mitunter längst üblich. Man spart sich das Münzenrollen, den Weg mit dem Bargeld zur Bank, braucht keine teuren Geldtransporte mit Spezialfahrzeugen, Überfälle sind zwecklos und Mitarbeiter können nichts abzweigen. Es gibt eben auch eine Menge Vorteile.

Aber auch bei uns in Deutschland scheint der Hebel schon umgelegt. Irgendwann kippt das Gefüge und ich glaube, es passiert gerade jetzt. Kartenzahlung geht immer öfter.

Ich bezahle mittlerweile vielleicht noch 100 Euro pro Monat cash. Und kenne Leute, die das viel finden.

Ich wiederum empfinde es in der Gastronomie mittlerweile als derartig schlechten Service, Kartenzahlung zu verweigern, dass ich mich als Gast regelrecht zurückgesetzt fühle. Keine Kartenzahlung, das ist heutzutage doch so, als würde einem das Glas Leitungswasser zum Espresso verweigert. Oder als würde der Kellner sagen: „Sie brauchen keinen Salzstreuer. Das soll so schmecken.“ Ich möchte beim Bezahlen nicht spüren, dass es dem Gastgeber im letzten Schritt dann doch nur um seinen eigenen Vorteil geht. Motto: „Jetzt bin ich dran. Geld her.“

Dazu kommt, dass einem viele Steuerexperten sagen: Das machen die, damit sie am Abend munter Kassenbuchungen stornieren können. Das Bargeld wandere dann an der Steuer vorbei ins Portemonnaie. Kartenzahlungen ließen sich schlechter verschleiern. Weil offiziell extern verbucht. Steuerhinterziehung – die wird nicht jeder Gastronom praktizieren, aber wenn ich im Vertrauen mit Kellnern rede, verdrehen die die Augen, als wäre ich die Unschuld von einem anderen Planeten: „Natürlich wird da beschissen.“
Wenn wir uns selbst, der Allgemeinheit, uns Steuerzahlern, mehr Gerechtigkeit gönnen wollen, dann sollten wir im Café, im Restaurant, in der Kneipe nach Möglichkeit mit Karte zahlen. Das mal nur nebenbei.

Weil für mich die Option „Kartenzahlung“ freundlichen Service bedeutet, meide ich mittlerweile aus dem Bauch heraus Läden, die mich in dieser Sache vor den Kopf stoßen.

Ich kaufe meine Lebensmittel in Läden, die Karten nehmen. Oder ich bestelle sie online. Ich zahle das Kaugummi oder das Bierchen fürs Picknick am Kiosk mit Apple Pay, gehe in Cafés mit Lesegerät, zahle Fahrkarten, Theatertickets und das Popcorn im Kino mit Karte. Und erlebe immer wieder: Dort wo Kartenzahlung verweigert wird, beschweren sich die Kunden. Mir geht es offenbar nicht allein so.

Sind wir Karten-Fetischisten naiv? Will uns die Bankenlobby das Bargeld austreiben, damit wir am Ende unser Geld nicht mehr von den Konten holen können, weil es schlicht keine andere Daseinsform für Geld mehr gibt? Werden uns dann unweigerlich Zwangs-Negativ-Zinsen aufgebrummt, weil unsere gesamte Existenz auf unseren Konten gefangen ist?

Ich überlege nur laut: Kartenzahlung anzubieten, heißt ja nicht, bundesweit das Bargeld abzuschaffen. Und den Schutz der Sparer könnte man ja gesetzlich regeln. Denn der Staat, das sind ja wir. Da müssen ja nicht allein die Marktfrauen und Gastronomen als Bollwerk gegen Veränderungen herhalten.

Aber es wird ja besser. Wir schließen zu entspannteren Nationen auf. Das ist auch ein Beitrag zu unserer aller Gesundheit. Bargeld ist einfach eklig. Allein Grippeviren überleben tagelang auf Geldscheinen. Ihre Kreditkarte und Ihr Handy können Sie hingegen so viel anniesen, wie Sie wollen. Sie halten es ja in sicheren zwei Zentimetern Entfernung ans Lesegerät.

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