Werner knallhart
In diesem britischen Pub ist es bereits Realität. Kein Bargeld, nur Kartenzahlung oder sogar Bitcoin. Entwickelt sich Deutschland in eine ähnliche Richtung? Quelle: imago images

Stirbt das Bargeld in Deutschland jetzt doch aus?

„Only Cards“: Am Potsdamer Platz in Berlin nimmt ein Café seit Kurzem kein Cash mehr an. Und auch sonst: Wenn man sich den Alltag entsprechend einrichtet, kommt man mittlerweile fast komplett ohne Bargeld aus.

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Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, als es als rücksichtslose Unverschämtheit galt, ein Päckchen Kaugummi mit Karte zu bezahlen?

Oder fangen wir chronologisch an. Ich erinnere mich an die Achtzigerjahre. Wir waren mit der ganzen Familie bei Ikea. An der Kasse zückte meine Mutter ihr Heftchen mit den Eurocheques. Die musste sie mit Kugelschreiber ausfüllen und unterschreiben. Am Ende wollte die Kassiererin den Ausweis sehen. Meine Mutter legte ihren schwedischen Reisepass vor. Die Kassiererin sagte dann so etwas wie: „Oh, das muss aber ein deutscher Ausweis sein.“

Das stürzte meine Mutter in die pure Verzweiflung. Wenn einer Ausländerin in ihrem ureigenen Refugium – einer Schwedin bei Ikea – ihr Status als Migrantin zum Nachteil wird, dann nennt man das Demütigung. So, als würde man einen Türken in einer Dönerbude zurechtweisen, er solle gefälligst auf Deutsch bestellen.

Meine Mutter hat damals zumindest vor der Kasse zwischen langen Kartons und Teelichtern viele Tränen vergossen. Denn eine EC-Karte mit PIN hatte sie damals noch nicht.

So etwas kam erst einige Jahre später. Zuerst in Läden mit teuren Sachen: Möbelgeschäfte eben oder Klamottenläden oder Warenhäuser. Die hatten dann anfangs diese Ratscher, bei denen die Karte in eine klobige Schablone gelegt wurde, darüber ein Formular mit Kohlepapier und dann wurde die Nummer der Karte mit einem Schieber „ritschratsch“ auf das Formular durchgedrückt. Offline wohlgemerkt. Dann den Betrag mit Kuli rein. Und die Kundenunterschrift mit der auf der Karte vergleichen.
Jetzt wissen auch die Jüngeren unter uns, warum die Kreditkartennummer erhaben und ertastbar ist: wegen des Offline-Ratschers.

Supermärkte kamen erst später mit der Kartenzahlung nach. Und dort galt sie anfangs als echte Rücksichtslosigkeit gegenüber den Kunden hinter einem in der Kassenschlange. Dieses sekundenlange betretene Schweigen der Kassiererin, des Kunden, bei den anderen hinten, weil das Kartenzahlungs-System irgendwie am Arbeiten war. Elendiges Warten auf das Zack-Klapp. Bis endlich, endlich die Geldschublade der Kasse aufsprang und direkt wieder runtergedrückt wurde. Zack-Klapp.

Ich erzähle das nur, weil ich finde, dass heute alles viel besser ist. Heute geht alles ganz flott: „Mit Karte bitte“, Aufforderung auf dem Kartenlesegerät abwarten, Karte oder Handy mit Bezahlfunktion und NFC-Chip in die direkte Nähe halten, Bon schnurrtraus, fertig. Wer heute mit Karte zahlt, spart dutzenden Mitmenschen Lebenszeit.

Heute ist derjenige der egoistische Ausbremser, der Sachen sagt wie: „Darf ich ein bisschen Kleingeld loswerden?“, und dann nach Kupfermünzen wühlt. Ich denke mittlerweile immer: Mein Gott, zahl mit Karte, Alter. (Ja, ich denke „Alter“, so sehr lockt mich das aus der Reserve!).

Eigentlich sollte es heutzutage umgekehrt sein: Basisbezahlfunktion ist Kartenzahlung. Wer bar bezahlen will, muss das dazu sagen: „Bar bitte.“ Verrückt? Nö, in anderen Ländern längst Usus. Übrigens auch in Schweden. Wer da bar bezahlt, ist wahrscheinlich Tourist – oder Ü80.

Irgendwann kippt das Gefüge

In Deutschland akzeptieren mittlerweile sogar die ersten Straßenkünstler in der Fußgängerzone Kartenzahlung (in anderen Ländern schon länger). Und auch die ersten Stände auf Wochenmärkten nehmen Karten an.

Es ist ja auch so schön einfach. Bewährte Kartenlesegeräte in der Größe einer Ricola-Hustenbonbonschachtel gibt es schon für um die 25 Euro. Und jede Zahlung kostet dann den Verkäufer zwischen 0,95 Prozent (EC-Karte) und 2,75 Prozent (Kreditkarten) des Umsatzes. Die Geräte werden per Bluetooth mit dem Smartphone gekoppelt, über die App wird der Betrag eingegeben, die Karte (oder das Handy) der Kunden wird ans Lesegerät gehalten, der Bon als E-Mail oder SMS verschickt oder mit dem angeschlossenen kleinen Thermo-Drucker (50 bis 120 Euro) ausgedruckt.

Wenn also etwa auf dem Wochenmarkt ein Kunde seinen Einkauf von 30 Euro mit EC-Karte bezahlt, muss die Marktfrau 29 Cent an den Dienstleister abdrücken. Klar, das sind dann 29 Cent weniger in der Kasse der Marktfrau, aber dafür ist ein Kunde glücklich. Weil er so kann, wie er will. Kundenbindung kostet eben. Eine Cash-Marktfrau sagte mir jüngst: „Aber ältere Leute zahlen eben gerne bar, und wir haben viele alte Kunden.“ Aber dann musste sie zugeben: Kartenzahlung anzubieten, heißt ja nicht, Bargeldzahlung abzuschaffen.

Es ist ja nicht gleich jeder so rigoros wie das Hipster-Café „The Barn“ im Haus Huth am Potsdamer Platz, deren Baristas die Annahme Bargeld verweigern. Die können es sich erlauben, weil dort die Kunden sich so mondän fühlen, dass sie sich blöd vorkämen, wenn sie zugeben müssten: „Ich habe keine Kreditkarte“. Aber auch ein Berliner Biergarten hatte diesen Sommer zumindest einen Stand, an dessen Theke stand: „Hier nur Kartenzahlung“. Es geht los. Wie gesagt: In unseren Nachbarländern mitunter längst üblich. Man spart sich das Münzenrollen, den Weg mit dem Bargeld zur Bank, braucht keine teuren Geldtransporte mit Spezialfahrzeugen, Überfälle sind zwecklos und Mitarbeiter können nichts abzweigen. Es gibt eben auch eine Menge Vorteile.

Aber auch bei uns in Deutschland scheint der Hebel schon umgelegt. Irgendwann kippt das Gefüge und ich glaube, es passiert gerade jetzt. Kartenzahlung geht immer öfter.

Ich bezahle mittlerweile vielleicht noch 100 Euro pro Monat cash. Und kenne Leute, die das viel finden.

Ich wiederum empfinde es in der Gastronomie mittlerweile als derartig schlechten Service, Kartenzahlung zu verweigern, dass ich mich als Gast regelrecht zurückgesetzt fühle. Keine Kartenzahlung, das ist heutzutage doch so, als würde einem das Glas Leitungswasser zum Espresso verweigert. Oder als würde der Kellner sagen: „Sie brauchen keinen Salzstreuer. Das soll so schmecken.“ Ich möchte beim Bezahlen nicht spüren, dass es dem Gastgeber im letzten Schritt dann doch nur um seinen eigenen Vorteil geht. Motto: „Jetzt bin ich dran. Geld her.“

Dazu kommt, dass einem viele Steuerexperten sagen: Das machen die, damit sie am Abend munter Kassenbuchungen stornieren können. Das Bargeld wandere dann an der Steuer vorbei ins Portemonnaie. Kartenzahlungen ließen sich schlechter verschleiern. Weil offiziell extern verbucht. Steuerhinterziehung – die wird nicht jeder Gastronom praktizieren, aber wenn ich im Vertrauen mit Kellnern rede, verdrehen die die Augen, als wäre ich die Unschuld von einem anderen Planeten: „Natürlich wird da beschissen.“
Wenn wir uns selbst, der Allgemeinheit, uns Steuerzahlern, mehr Gerechtigkeit gönnen wollen, dann sollten wir im Café, im Restaurant, in der Kneipe nach Möglichkeit mit Karte zahlen. Das mal nur nebenbei.

Weil für mich die Option „Kartenzahlung“ freundlichen Service bedeutet, meide ich mittlerweile aus dem Bauch heraus Läden, die mich in dieser Sache vor den Kopf stoßen.

Ich kaufe meine Lebensmittel in Läden, die Karten nehmen. Oder ich bestelle sie online. Ich zahle das Kaugummi oder das Bierchen fürs Picknick am Kiosk mit Apple Pay, gehe in Cafés mit Lesegerät, zahle Fahrkarten, Theatertickets und das Popcorn im Kino mit Karte. Und erlebe immer wieder: Dort wo Kartenzahlung verweigert wird, beschweren sich die Kunden. Mir geht es offenbar nicht allein so.

Sind wir Karten-Fetischisten naiv? Will uns die Bankenlobby das Bargeld austreiben, damit wir am Ende unser Geld nicht mehr von den Konten holen können, weil es schlicht keine andere Daseinsform für Geld mehr gibt? Werden uns dann unweigerlich Zwangs-Negativ-Zinsen aufgebrummt, weil unsere gesamte Existenz auf unseren Konten gefangen ist?

Ich überlege nur laut: Kartenzahlung anzubieten, heißt ja nicht, bundesweit das Bargeld abzuschaffen. Und den Schutz der Sparer könnte man ja gesetzlich regeln. Denn der Staat, das sind ja wir. Da müssen ja nicht allein die Marktfrauen und Gastronomen als Bollwerk gegen Veränderungen herhalten.

Aber es wird ja besser. Wir schließen zu entspannteren Nationen auf. Das ist auch ein Beitrag zu unserer aller Gesundheit. Bargeld ist einfach eklig. Allein Grippeviren überleben tagelang auf Geldscheinen. Ihre Kreditkarte und Ihr Handy können Sie hingegen so viel anniesen, wie Sie wollen. Sie halten es ja in sicheren zwei Zentimetern Entfernung ans Lesegerät.

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