WirtschaftsWoche: Herr White, in der Wissenschaft tobt ein Streit über die Ursachen der Niedrigzinsen. Was halten Sie von der These, diese seien die Folge eines globalen Überangebots an Ersparnissen?
William White: Schauen Sie sich einfach die Zahlen an. Da sieht man, dass sich die globalen Sparquoten nicht erhöht haben. Hingegen sind die Investitionsquoten in fast allen Ländern gesunken. Wir haben es also nicht mit einer Sparschwemme zu tun – sondern mit einer Investitionsschwäche!
Was ist der Grund dafür?
Die jahrzehntelange Politik des billigen Geldes hat die Menschen in die Verschuldung getrieben. Die privaten Haushalte müssen ihre Bilanzen bereinigen und ihren Konsum künftig zurückfahren. Das schmälert die Absatzaussichten der Unternehmen und bremst ihre Investitionsbereitschaft.
Zur Person
William White ist einer der weltweit führenden Währungsexperten. Der frühere Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich war einer der wenigen Ökonomen, die die Finanzkrise heraufziehen sahen.
Die Zentralbanken sehen das anders. Sie versuchen, die Wirtschaft mit Niedrigzinsen anzukurbeln.
Was ihnen aber nicht gelingt. Auf jede Krise in den vergangenen Jahrzehnten haben die Notenbanken mit niedrigen Zinsen und noch mehr Liquidität geantwortet. Die Verschuldung ist mittlerweile so hoch, dass die Politik des billigen Geldes ins Leere läuft.
Was hätten die Zentralbanken denn tun sollen?
Das Problem ist, dass sie zu viel tun. Als Ende der Achtzigerjahre das hohe Produktivitätswachstum die Preise global unter Abwärtsdruck setzte, hielten die Zentralbanken mit lockerer Geldpolitik dagegen. Dabei handelte es sich damals um eine gute – durch den technischen Fortschritt ausgelöste – Deflation. Als die Börse 1987 einbrach und Anfang der Neunzigerjahre die Immobilienblasen in Japan, den USA und in Skandinavien platzten, senkten die Zentralbanken sofort die Zinsen. Es wäre besser gewesen, eine strukturelle Bereinigung in der Wirtschaft zuzulassen.
Aber hätte Nichtstun die Krisen nicht weiter verschärft?
Wir sollten erkennen, dass der Boom das Problem ist, nicht der Bust. Bereinigungsprozesse sind etwas Gutes, denn mit schöpferischer Zerstörung lenken sie die im Boom fehlgeleiteten Ressourcen in neue Verwendungen – wo sie mehr Wachstum erzeugen. Ist die Geldpolitik erst einmal auf dem falschen Pfad und stemmt sich gegen die Bereinigungskrisen, werden die Ungleichgewichte immer größer. Kommt es dann zum Crash, ist er nicht mehr kontrollierbar. Nicht die Zentralbanken, sondern die Regierungen müssen jetzt handeln.
Wie denn?
Die Staaten stehen weltweit vor Solvenzproblemen. Die Gläubiger müssen auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Je eher ein Schuldenschnitt kommt, desto besser.
Altersvorsorge in Staatsanleihen
Die Bürger haben einen Teil ihrer Altersvorsorge in Staatsanleihen gesteckt. Wollen Sie die Menschen enteignen?
Die globalen Kreditexzesse sind so weit fortgeschritten, dass es keine einfachen Lösungen mehr gibt. Wenn die Zentralbanken weiter Staatsschulden mit der Notenpresse finanzieren, droht früher oder später eine Hyperinflation.
Noch ist von Inflation aber nichts zu sehen.
Inflation ist ein dynamischer Prozess, der nicht linear verläuft. Die Notenbanken können jahrelang Zentralbankgeld in den Bankensektor pumpen, ohne dass etwas passiert. Doch dann kommt plötzlich der Punkt, an dem die Kreditvergabe anspringt und das Geld in die Realwirtschaft fließt. Nutzen die Regierungen die niedrigen Zinsen, um sich weiter zu verschulden, und stecken das Geld in den Konsum statt in Investitionen, stehen den Schulden keine Sicherheiten gegenüber. Die Menschen verlieren dann das Vertrauen in das Geld und fliehen in Sachwerte.
Glauben Sie nicht, dass die Zentralbanken dann durch eine straffere Geldpolitik gegensteuern können?
Da habe ich meine Zweifel. Steigen die Zinsen, steigen auch die Ausgaben der Regierungen für den Schuldendienst, die Defizite schwellen an. Die Anleger fordern dann höhere Risikoaufschläge. Der Druck der Regierungen auf die Zentralbanken, die Staatsschulden komplett mit der Notenpresse zu finanzieren, nimmt zu. Der Versuch, die Geldpolitik zu straffen, droht zu scheitern.
Könnten die Notenbanken die Kreditvergabe durch Regulierung bremsen?
Niedrige Zinsen und mehr Regulierung – das ist so, als wolle man Auto fahren, indem man gleichzeitig auf Gas- und Bremspedal tritt. Das geht schief. Solange die Zinsen niedrig sind, werden Konsumenten und Investoren Wege finden, Regulierungen zu unterlaufen. Reagiert die Regierung darauf mit noch mehr Regulierungen, entsteht eine Interventionsspirale, die die marktwirtschaftliche Ordnung zerstört.