




Das Thema Geldanlage wird immer emotionaler, sparen scheint kaum noch Sinn zu ergeben. Reale Verluste auf das Ersparte will jeder Anleger vermeiden. Aber schon jetzt verliert jeder Geld, der Tagesgeld anlegt, da meist weniger Zins gezahlt wird als die Inflation auffrisst. Was können Anleger in der Situation tun? Lohnt es sich noch in Aktien zu investieren? Schafft Europa überhaupt die Wende?
Experten wie Asoka Wöhrmann, Chefanlagestratege beim Deutsche Bank-Vermögensverwalter Deutsche Asset & Wealth Management, BaFin-Präsidentin Elke König oder Kapitalmarktstratege Philipp Vorndran vom Vermögensverwalter Flossbach von Storch suchten auf dem Investmentgipfel der WirtschaftsWoche in Frankfurt nach Antworten auf diese Fragen. "Billiges Geld als Droge – Risiken und Nebenwirkungen eines Entzugs", so das Motto der Veranstaltung.
Reaktionen auf EZB-Zinssenkung und Wertpapierkäufe
Die EZB senkt im Kampf gegen eine drohende Deflation ihren Leitzins überraschend auf das neue Rekordtief von 0,05 Prozent. Der Schlüsselsatz für die Versorgung des Bankensystems mit Zentralbankgeld lag seit Juni bei 0,15 Prozent. In der anschließenden Pressekonferenz kündigte Zentralbank-Chef Mario Draghi zudem an, dass die EZB sogenannte Kreditverbriefungen (ABS) sowie Pfandbriefe aufkaufen wird. Ökonomen und Händler sagten dazu in ersten Reaktionen:
"Die EZB hatte ihr Pulver schon viel zu früh verschossen und die Zinsen zu weit gesenkt. Jetzt ist sie in der Liquiditätsfalle. Sie kann an dieser Stelle kaum noch etwas tun. Bedauerlicherweise deutet sich auch der Kauf von Anleihen durch die EZB an. Damit würde sie das Investitionsrisiko der Anleger übernehmen, wozu sie nicht befugt ist, weil es sich dabei um eine fiskalische und keine geldpolitische Maßnahme handelt. Eine solche Politik ginge zulasten der Steuerzahler Europas, die für die Verluste der EZB aufkommen müssten."
"Die Notenbanker argumentieren mit den zuletzt schwachen Konjunkturdaten und der geringen Inflation. Auch die gesunkenen mittelfristigen Inflationserwartungen wurden thematisiert. In diesem Zusammenhang wurden auch die Projektionen für Wachstum und Inflation in diesem Jahr nach unten angepasst. Insofern bleibt die Tür für weitergehende Lockerungsschritte weit geöffnet."
"EZB-Chef Mario Draghi hat geliefert, warum auch immer. Für uns ist das nicht gerade eine glückliche Maßnahme. Alle Banken und Vermögensverwalter sind jetzt in noch größerer Not, ihre Liquidität irgendwo zu parken, ohne bestraft zu werden. Auch die Sparer dürften sich verraten fühlen und werden immer mehr ins Risiko gezwungen."
"Die ökonomischen Wirkungen der heutigen Zinssenkung sind vernachlässigbar. Die EZB hat sich im Vorfeld der Zinsentscheidung unnötig unter Zugzwang gesetzt. Die Gefahr, dass der Euro-Raum in eine gefährliche Deflationsspirale rutscht, ist nach wie vor gering. Auf der anderen Seite wächst mit den Aktivitäten der EZB die Gefahr, dass die in mehreren Euro-Ländern dringend erforderlichen Wirtschaftsreformen weiter verschleppt werden."
"Das ist überraschend. Eine Zinssenkung hatte niemand so richtig auf der Agenda - zumal sie konjunkturell nichts bringt und verpuffen wird. Die Deflationsgefahr lässt sich damit nicht vertreiben. Dazu bedarf es eher eines Anleihen-Kaufprogramms. Die EZB signalisiert mit ihrer Maßnahme aber, dass sie sehr weit zu gehen bereit ist. Das ist eher ein symbolischer Schritt. Die realwirtschaftlichen Folgen sind bescheiden."
"Beginnt jetzt auch EZB-Chef Mario Draghi damit, Geld aus dem Hubschrauber abzuwerfen? Wenn Draghi um 14.30 Uhr mit der Pressekonferenz beginnt, wissen wir mehr. Dann wird sich zeigen, ob die Zinssenkung nur das Vorspiel für weiteres geldpolitisches Feuerwerk sein wird oder er damit den bequemsten Weg wählte, um unkonventionelle Maßnahmen in großem Stil ohne Gesichtsverlust abzuwenden."
"Das war schon eine heftige Überraschung, mit einer Zinssenkung hat kaum einer gerechnet. Bei der Senkung der Zinsen handelt es sich zwar nur noch um Nuancen, aber das ist ein wichtiges Signal an die Kapitalmärkte, dass die EZB bereit ist, alles zu tun, was nötig ist."
Geht es nach Heiner Flassbeck, Ex-Staatssekretär im Finanzministerium, könnte gerade Europa unter gravierenden Nebenwirkungen leiden. Der Ökonom ist pessimistisch, was die Wende der Euro-Zone angeht. Das Warten auf den Aufschwung sei das Warten auf Godot, der bekanntlich nie kommt. "Das einzige Rezept für eine Wende ist das Ende der Sparsamkeit", so der Ökonom. Nur mit einer expansiveren Fiskalpolitik könne Europa wieder auf den richtigen Pfad gebracht werden.
Der Teufelskreis des billigen Geldes
Auch Kapitalmarktstratege Philipp Vorndran ist skeptisch angesichts der bisherigen Reformschwäche. Denn die deutsche Wirtschaft müsse zwanghaft wachsen, allein um die angehäuften Schulden bedienen zu können. "Viele unserer Systeme funktionieren nur mit Wachstum und Inflation", erklärt Vorndran. Ein Teufelskreis – scheinbar können wir ohne die Droge billiges Geld das System kaum halten. Kündigt EZB-Chef Mario Draghi eine neue Geldspritze an, putscht das die Finanzmärkte auf.
Die Folgen der EZB-Niedrigzinspolitik
Werden die Zinsen künstlich abgesenkt, so verringert sich der Reformdruck auf Regierungen und Banken, ihre Haushalte beziehungsweise Bilanzen zu verbessern.
Ein künstlich tief gehaltener Zins verhindert, dass unprofitable Investitionsprojekte also Fehlinvestitionen aufrecht und befördert werden.
Künstlich tiefe Zinsen lösen (inflationäre) Spekulationswellen aus, führen zu „Boom-and-Bust“-Zyklen: überhitzte Situationen, in denen, wenn niemand mehr bereit ist, Kredite zu finanzieren, alles in sich zusammenbricht.
Künstlich niedrig gehaltene Zinsen befördern die Schuldenwirtschaft, insbesondere die der Staaten und der Bankenindustrie.
Können die Märkte noch ohne billiges Geld?
"Forward Guidance ist das Methadon der Investoren", meint Asoka Wöhrmann, der Chefanlagestratege der Deutsche Asset & Wealth Management. Trotzdem gibt er sich optimistisch. Er erwartet zwar ein langsames, dafür aber kontinuierliches Wirtschaftswachstum. Denn das billige Geld der Notenbanken ist letztlich nichts anderes als ein Zeitpuffer für die Reformen der Politik. Wöhrmann nennt das den Schildkrötenzyklus.
Anleger können in diesem Aufschwung nicht mit spektakulären Anstiegen rechnen, sondern es dauert alles etwas länger. "Aber Schildkröten sind zufriedene behäbige Tiere, die lange leben." Gut Ding braucht eben Weile – Wöhrmann sieht den Dax bis zum Jahr 2025 bei 20.000 Punkten. Man wird sehen, ob die zufriedene Schildkröte so viel Ausdauer hat.
Zwar sieht auch Wöhrmann die Abhängigkeit des billigen Geldes. Aber die fundamentalen Daten der Unternehmen seien vielversprechend, die Einkaufsmanagerindizes optimistisch. Warum kommt der Aufschwung dann im Schildkrötentempo und nicht im Schweinsgalopp? "Die amerikanischen Privathaushalte machen Fortschritte bei der Entschuldung", erklärt Wöhrmann. Deshalb konsumieren sie nicht mehr so wie vorher, die amerikanische Wirtschaft schrumpft sich gesund.