Zinsen Eine Kreditblase von ungekannter Größe

Nachdem die EZB eine Politikänderung angedeutet hat, herrscht Aufruhr. Doch die Anleihepreise brechen nicht zusammen. Noch nicht. Die Zinswende ist so unwahrscheinlich, wie ein Wachsen des Schuldenbergs sicher ist.

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Die Anleiheblase wird noch nicht platzen. Quelle: dpa

Das Wort „Blutbad“ macht an den Märkten die Runde, seit Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), angedeutet hat, ein Ende der ultralockeren Geldpolitik könne bevorstehen. Ultralocker, das bedeutet: Der EZB-Leitzins liegt bei 0,00 Prozent, der Einlagenzins für Banken bei minus 0,4 Prozent. Und die Notenbank kauft für 60 Milliarden Euro im Monat Euro-Anleihen auf, was deren Renditen in Richtung Nullmarke drückt.

Ultralocker also – bis jetzt? Nachdem Draghi von einer „Normalisierung“ der Geldpolitik sprach, sackten die Kurse binnen einer Woche um 1,9 Prozent, die von italienischen Staatsanleihen um drei Prozent. Ist das der Vorbote einer großen Zinswende, der Anfang vom Ende der Kredit- und Anleiheblase?

„Das erscheint uns übertrieben“, sagt Sebastian Sachs, Kapitalmarktspezialist vom Bankhaus Metzler in Frankfurt.

Draghis Stationen

Denn genau genommen ist die Zinswende längst passiert und schon wieder zu Ende, zumindest in den USA: 30 Jahre lang ging es unter Schwankungen immer weiter runter mit den Renditen. Vor ziemlich genau einem Jahr, am 6. Juli 2016, verzeichneten zehnjährige US-Staatsanleihen ihr Renditetief bei 1,32 Prozent. Danach ging es hoch bis an die 2,6-Prozent-Marke. Inzwischen haben sie sich – dank rückläufiger US-Inflationsraten – bei 2,4 Prozent eingefunden.

Kleine Wende vollzogen: Rendite zehnjähriger Bundesanleihen und Zins zehnjähriger Baudarlehen seit fünf Jahren. (Zum Vergrößern bitte anklicken)

Von einer beängstigenden Preissteigerung ist auch in Euro-Land keine Spur. Zuletzt lag die Inflation bei gerade mal 1,3 Prozent. „Auch wenn die EZB das Volumen ihrer Anleihekäufe Ende 2017 verringern könnte, rechnen wir nicht mit einer bevorstehenden Änderung der Zinssätze“, so Matthias Hoppe, Portfoliomanager, Franklin Templeton Multi-Asset Solutions.

Gigantischer globaler Schuldenberg von 216 Billionen Dollar

Und wenn es doch eng werden sollte, springen wohl die Notenbanken am Ende wieder ein. Das erfuhren Anleger zuletzt am 7. Juli, als die Bank of Japan über Nacht ankündigte, zehnjährige japanische Staatsanleihen bei einer Rendite von 0,11 aufzukaufen. Unbegrenzt, um einen weiteren Anstieg der Renditen auszuschließen.

Eine Zinswende ist daher so unwahrscheinlich, wie ein weiteres Anwachsen des gigantischen Schuldenbergs sicher ist.

Die weltweiten Verbindlichkeiten belaufen sich mittlerweile auf 216.000.000.000.000 Dollar – das sind 216.000-mal eine Milliarde oder eine Million Mal 216 Millionen – eine unfassbare Summe, die sich Staaten, Unternehmen, Konsumenten und Häuslebauer aufgebürdet haben. 216 Billionen Dollar, gebündelt in Krediten und Anleihen, in Papieren, die jeder besitzt, sei es direkt oder über eine Lebensversicherung zum Beispiel.

Diesen Ländern droht die Überschuldung
LibanonIn den vergangenen 50 Jahren gab es eine starke Landflucht, sodass die meisten Libanesen in den Städten wohnen. Die Hauptstadt Beirut hat rund 1,5 Millionen Einwohner. Insgesamt leben im Libanon rund vier Millionen Menschen. Quelle: dpa
Die Staatsschulden betragen 140 Prozent des BIP – der Libanon gehört damit zu den am höchst verschuldetsten Ländern der Welt. Etwa 40 Prozent der Staatsausgaben werden allein für Zinsen und Schuldentilgung aufgewendet. Auch Subventionen für den staatlichen Energieversorger sowie die Lohnausgaben für dem öffentlichen Sektor belasten die Staatskasse erheblich. Quelle: dpa
Auch die Flüchtlingskrise belastet den Staatshaushalt stark: Im Libanon befinden sich momentan mehr als eine Millionen registrierte Flüchtlinge. Für ein Land mit vier Millionen Einwohnern kaum zu stemmen. Darüber hinaus leidet das Land unter Korruption und einem ineffizienten Verwaltungssystem. Ein vor kurzem veröffentlichter Dokumentarfilm der Heinrich-Böll-Stiftung bezeichnete den arabischen Mittelmeerstaat als „tickende Zeitbombe“. Quelle: AP
Der Libanesische Bürgerkrieg dauerte von 1975 bis 1990 und forderte etwa 90.000 Todesopfer. In dieser Zeit flohen rund 800.000 Libanesen aus dem Land. Im Jahr 2006 befand sich der Libanon für 33 Tage im Krieg mit Israel, nachdem die islamische Miliz Hisbollah eine Militärbasis in Israel mit Raketen angegriffen hatte, worauf Israel wiederum mit Luftangriffen reagierte. Quelle: dpa
Auch Jordanien ist von der Flüchtlingskrise besonders stark betroffen. In dem syrischen Nachbarland befinden sich 600.000 Syrer sowie 60.000 Iraker. Für ein Land mit 6,6 Millionen Einwohnern nicht finanzierbar. Jordanien ist somit auf internationale Hilfsgelder angewiesen, die jedoch nur schleppend fließen. Quelle: dpa
Nach der Staatsgründung Israels im Jahre 1948 sowie dem Sechs-Tage-Krieg 1967 wurde Jordanien zum Aufnahmeland für palästinensische Flüchtlinge. Heute sind schätzungsweise die Hälfte der Jordanier palästinensischer Abstammung. Jordanien ist stark von Energieimporten abhängig: Wichtig ist besonders Erdgas, das Ägypten bisher zu Vorzugspreisen geliefert hat. Da durch die Anschläge auf die Erdgaspipeline auf dem Sinai nur noch sehr eingeschränkt Erdgas von dort bezogen werden kann, muss Jordanien seither Schweröl und Diesel aus der Region zu Weltmarktpreisen zukaufen – mit Auswirkungen auf den Staatshaushalt. 2015 betrug die Staatsverschuldung 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, 2011 waren es noch 71 Prozent gewesen. Zudem macht eine hohe Arbeitslosenquote dem Land zu schaffen. Quelle: dpa
Die verlassene Felsenstadt Petra gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe und ist von großer Bedeutung für den jordanischen Tourismus. Wasser ist in Jordanien ein rares Gut: Das Königreich gehört zu den fünf wasserärmsten Ländern der Welt. Quelle: dpa

Allein das schiere Volumen ängstigt Anleger: Eine Rückzahlung aller Schulden ist äußerst fraglich, weil sich eine Kreditblase von bisher unbekannter Größe aufgebaut hat, mächtig aufgepumpt von den Notenbanken nach der Pleite von Lehman Brothers, künstlich aufgeheizt von einem Niedrigzins, der das Schuldenmachen so leicht wie nie gemacht hat.

Deshalb ist die Gefahr, die von höheren Zinsen ausgeht, extrem wie wohl noch nie. Deshalb greift die Angst vor einem Platzen der Blase um sich, sobald die Zinsen auch nur einen kleinen Satz nach oben machen. So wie jetzt geschehen.

Irgendwann wird die Blase platzen, so viel ist sicher. Aber vorerst absehbar wieder mal nicht.

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