
Wenn mal wieder was schiefläuft im weltweiten Finanzsystem, geht die Suche nach dem Schwarzen Peter los. Oswald Grübel ist als ehemals langjähriger Chef der von Steuer- und Handelsskandalen erschütterten Schweizer Credit Suisse und UBS naturgemäß bei einer solchen Suche äußerst gewieft: „Die Aufsichtsbehörden waren sich der Unzulänglichkeiten des Systems von Anfang an bewusst. Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass wir heute totale Transparenz verlangen und dann entsetzt sind, wenn wir feststellen, dass diese Transparenz das Vertrauen ersetzt“, ließ er die Leser von „Der Sonntag“ wissen, nachdem an die Öffentlichkeit gedrungen war, dass ein weltweites Bankenkartell den wichtigsten Zinssatz der Welt über wenigstens vier Jahre manipuliert hat.
Der Zinssatz Libor (London Interbank Offered Rate) wird jeden Tag – je nach Währung – von 6 bis 18 Banken festgelegt. Jede Bank teilt mit, zu welchem Satz sie einer anderen Bank in Dollar oder Pfund Sterling etwa Geld leihen würde.
Was den Libor so wichtig macht
Grundsätzlich gilt der Libor für alle Kreditnehmer aus den folgenden Währungsräumen:
- Australischer Dollar
- Kanadischer Dollar
- Neuseeland-Dollar
- US-Dollar
- Schweizer Franken
- Dänische Krone
- Schwedische Krone
- Euro
- Pfund Sterling
- Yen
Der Libor ist ein Angebotszins, also der Satz, zu dem Banken Geld verleihen können. Grundsätzlich gilt der Libor nur für Kredite mit einer Laufzeit von einem Tag bis zu zwölf Monaten. Das heißt, er betrifft Optionen, Derivate und Termingeschäfte, aber auch den Kredit fürs neue Auto oder die Eigentumswohnung.
Grundsätzlich legt die British Banker's Association (BBA) den Libor (London Interbank Offered Rate) jeden Tag aufs Neue fest. Die BBA saugt sich den Satz allerdings nicht einfach so aus den Fingern, sondern ermittelt einen Durchschnittssatz aus den Angaben verschiedener Banken. 19 Institute melden der BBA täglich, zu welchem Zinssatz sie sich untereinander Geld leihen.
Grundsätzlich gibt es derzeit einen Verdacht gegen alle 19 Banken, die ihre Zinssätze der BBA mitteilen. Barclays hat die Manipulationen bereits zugegeben, ermittelt wird des Weiteren gegen die Royal Bank of Scotland, die Deutsche Bank, die HSBC, die UBS, Citigroup und Lloyds.
Das Pendant des Libor ist der Euribor, der Leihsatz unter Banken auf Euro-Abrechnungsbasis. Auch hier laufen Untersuchungen, ob die an der Festsetzung beteiligten 42 Banken manipuliert haben. Beim Libor ist der Beweis bereits erbracht. Die britische Barclays bekannte sich als Erste schuldig und zahlte 290 Millionen Pfund Sterling Strafe.
176-Milliarden-Schaden
Wäre der Libor nur ein einfacher Zinssatz für Geschäfte der Banken untereinander, wäre der Betrug innerhalb der Branche hängen geblieben. Doch an Libor und Euribor sind weltweit Investments und Kredite von geschätzt 330 bis 550 Billionen Dollar gekoppelt; Investments, die sich auch in vielen Depots privater Anleger finden. Der Libor-Skandal hat laut Investmentbank Macquarie Investoren Schäden über insgesamt 176 Milliarden Dollar zugefügt.
Das ruft nun Anlegeranwälte auf den Plan. Viele sehen Chancen für eine neue Klagewelle gegen die Banken. Zinsmarktexperten wie Jochen Felsenheimer, Geschäftsführer des Vermögensverwalters Assénagon Credit Management, warnen aber vor überzogenen Erwartungen an mögliche Klagen von geschädigten Privatanlegern. „Vor allem die genaue Schadenshöhe jetzt – fünf oder sieben Jahre nach den Manipulationen – zu ermitteln, ist extrem aufwendig.“ Privatanleger seien gut beraten zu überschlagen, welcher Schaden ihnen entstanden ist, bevor sie sich von Anwälten, „die das Thema möglicherweise ein bisschen zu aggressiv vermarkten, in eine teure Klage treiben lassen“, sagt Felsenheimer.
Denn zunächst müsste jeder einzelne Tag ermittelt werden, an dem nachweislich Manipulationen stattfanden. Dann müsste der richtige Euribor oder Libor für jeden dieser Tage ermittelt werden. Täglich werden 15 Zinssätze fixiert – für je 15 Laufzeiten. Am Ende müsste der Zins dann noch für jede der zehn betroffenen Währungen berechnet werden.