Historische Wertpapiere Vom Aktienrausch unter Sammlern

Spekulationen, unentwertete alte Wertpapiere mit hohem Nennwert könnten noch gültig sein, treiben die Sammlerpreise in die Höhe. Totaler Irrsinn oder neue Goldader?

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Mexikanische Goldanleihe Quelle: HWPH AG

Wer für gewöhnlich historische Wertpapiere sammelt für den haben alte, vergilbte, teils geknickte und eingerissene Aktien oder Anleihen einen bestimmten Wert, der in Katalogen wie dem von Bernd Suppes schwarz auf weiß zementiert wird. Anderen Menschen ist im digitalen Zeitalter oft nicht einmal die Existenz dieser Papiere bekannt. Oder sie sehen die Stücke völlig emotionslos als das was sie sind: ein altes Blatt Papier. Nicht ohne Grund heißen die historischen Wertpapiere auch Nonvaleurs (non = nicht; valeur = Wert). An der Börse sind sie nicht mehr einzulösen. Doch scheinbar gibt es sie doch: Uralte nicht entwertete Papiere, die Jahrzehnte auf dem Dachboden ihr Dasein im Staub fristeten oder in Sammelalben in Klarsichtfolien und nun wie Goldnuggets aus dem Schlamm eines Gebirgsbaches zu Tage kommen und den großen Reichtum versprechen. Ja, wenn, wenn sie denn auch wirklich noch gültig sind. Was ist dran am Aktienrausch unter den Scripophilisten?

Dresden ist nicht gleich Dresden

Blase, Betrug oder große Chance? Einer der es ernst meint, ist André Sayatz, Rechtsanwalt einer Berliner Kanzlei. Er bereitet eine Klage für insgesamt 13 seiner Klienten vor. Sie wollen in New York vor dem US-District Court of Manhattan zusammen schätzungsweise drei Millionen Euro von der Stadt Leipzig einklagen. Sie alle besitzen ein altes Wertpapier aus dem Jahr 1926 mit der Aufschrift City of Leipzig 7 % External Loan und dem Nennwert 1000 Gold-Dollar, ausgegeben in New York. Bei der Stadt Leipzig sind die Wertpapierbesitzer schon abgeblitzt, deshalb versuchen sie es nun in Amerika. „Wir werden die Klage noch in diesem Jahr einreichen“, sagt Sayatz, der dazu Hilfe eines amerikanischen Kollegen benötigt. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht, der im Wertpapierrecht promoviert hat, fühlt sich von einem ähnlichen Fall mit einem Wertpapier aus Dresden bestärkt, obwohl der erfolglos durch alle Instanzen in Deutschland ging. Denn der Bundesgerichtshof entschied, das heutige Dresden ist nicht der Rechtsnachfolger des früheren.

US-Recht vor deutschem Recht

Das Bundesverwaltungsgericht wiederum sah die Nachfolge als gegeben an. „Wenn sich nicht einmal die deutschen Gerichte einig sind, werden sich die amerikanischen sicher selbst ein Bild machen wollen“, sagt Sayatz. Er ist zudem zuversichtlich, dass nicht deutsches, sondern US-Recht Anwendung findet. Denn die Anleihe von 1926 wurde in New York begeben, war nur dort handelbar, ist ausschließlich in englisch verfasst, ihr Wert in Dollar angegeben und alle Bekanntmachungen dazu wurden in zwei New Yorker Zeitungen abgedruckt. Bis zu einem möglicherweise positiven Urteil vergeht aber garaniert noch viel Zeit.

Bauarbeiter in Rio de Janeiro Quelle: Picture-Alliance/DPA

Genau auf diese Zeit setzen große Unternehmen in Brasilien, berichtet Hans-Georg Glasemann, Sachverständiger für historische Wertpapiere aus Diessen am Ammersee. Er hat durch einen Bekannten Einblicke in die dortigen Machenschaften erhalten. Der Trick: Die Unternehmen kaufen ein Papier, etwa eine Auslandsschuldverschreibung von 1908 in Francs und gehen vor Gericht. „Dadurch werden erst einmal sämtliche Steuerzahlungen gestundet“, sagt Glasemann. Die Steuern werden erst fällig, wenn der jahrelange Prozess beendet ist. In der Zwischenzeit würden die Unternehmen für das Steuergeld Zinsen einnehmen, die die Prozesskosten bei weitem übersteigen. Um den Erfolg vor Gericht geht es dabei gar nicht. Das Konzept scheint zu boomen. „Brasilianische Staatsanleihen sind derzeit besonders gefragt“, sagt Matthias Schmitt vom Auktionshaus HWPH. Die dafür gezahlten Beträge seien Fabelpreise und steigen und steigen. Betrug ist die Masche nicht, aber auch nicht gerade die feine Englische Art.

Warnung vor Gefälligkeitsgutachten

Schon vor zwei Jahren begann ein Run auf mexikanische Anleihen. Die dortige Regierung hat längst ein Statement abgegeben, dass sie keine alten Forderungen begleichen wird. Dennoch verkaufte sich jüngst eine Goldanleihe von 1904 für 8000 Euro, berichtet Auktionator Schmitt. Früher lag der Sammlerwert dieses unspektakulären Papiers bei 50 Euro. Kein Einzelfall. Sachverständiger Glasemann kennt einen der Tricks. So stellen Betrüger offenbar bei dem Onlineauktionshaus ebay Papiere für ein Mindestgebot von 5.000 Euro ein. Kaufen diese Papiere selbst und weisen dann potenzielle Betrugsopfer auf diese vermeintlichen hohen, gezahlten Preise hin. Das amerikanische Bureau of Public Debt warnt vor Gefälligkeitsgutachten, die oft hypothetische Annahmen beinhalten. Es gebe auch keine Verpflichtung zur Rückzahlung in Goldbarren, womit Betrüger oft hausieren gehen oder öffentliche Fonds zum Ankauf der Bonds, Investment-Programme oder ähnliches. Die Behörde hat schon Ende der 90er Jahre Betrugsfälle mit Bonds der Chikago, Saginaw und Canada Railroad Company aufgedeckt.

Betrug mit mexikanischen Papieren

Fachmann Glasemann ist sich sicher, „mit 99,99 Prozent-Wahrscheinlichkeit läuft mit mexikanischen Anleihen eine Betrugsgeschichte, alles andere macht keinen Sinn.“ Einen Auslöser für die Spekulation kennt keiner der Experten. „Solange sich das Karussell dreht, ist das ein Schneeballsystem“, sagt Auktionator Schmitt, der freilich auch vom Karussell profitiert. Die betrügerischen Machenschaften haben so stark zu genommen, dass sie auch in Deutschland bereits unter dem englischen Begriff Historical Bond Fraud zusammengefasst werden.

Die wahren und ehrlichen Gewinner sind Sammler, die solche Papiere jahrelang zusammengetragen haben. Ihre Sammlungen verkaufen sie nun mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ein über 60 Jahre alter, deutscher Sammler aus der Schweiz sieht den Verkauf allerdings gelassen: „Meine Tochter hätte nach meinem Tod sowieso nichts mit den Papieren anfangen können.“

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