Historisches Dokument Geschichte im Sparbuch

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1906 Guthaben: 102,47 Mark Kolonat Haas heißt jetzt Eschenbach. Seine Mutter hat geheiratet und zieht mit ihrem Sohn auf den Hof ihres Mannes in der Schuhgasse. Der Patenonkel zahlt noch einmal 50 Euro ein.

1914 Guthaben: 139,43 Mark Krieg, der Zehnjährige muss den Hof mit seiner Mutter alleine unterhalten, Kühe melken, Schweine füttern, Holz zum Heizen suchen, so strukturiert sich sein Tag. Er hat keine Ahnung, dass sein Geld auf dem Sparbuch an Wert verliert, seit die Regierung 1914 die Golddeckung aufgegeben, dafür aber die Notenpresse angeworfen hat, um den Krieg zu finanzieren. 1918 kehrt sein Vater von der Front zurück. Da in den Originalkonditionen der Sparkasse Königshofen 3,5 Prozent Zinsen festgeschrieben sind, mehrt sich Eschenbachs Kapital bis 1922 immerhin bis auf 495,56 Mark.

1924 Guthaben: 26,94 GoldmarkDie Hyperinflation hat das Geld der Deutschen verschluckt. Reichskanzler Gustav Stresemann tauscht die Mark durch die Rentenmark zum Wechselkurs von eine Billion zu eins. Weil die neue Währung wieder durch die Goldreserven gedeckt ist, nennen die Deutschen sie lieber Goldmark. Kolonats Sparbuch trägt den ge-stempelten Vermerk „Zur Aufwertung angemeldet.“

1934 Guthaben: 36,28 ReichsmarkHitler hat die Macht übernommen. Eschen‧bach hat geheiratet, ist Vater der kleinen Emma, Kolonat Bötschs Mutter.

1948 kein Guthaben Deutschland liegt in Trümmern; Ziga‧retten oder Würste sind die Währungen, die zählen. 47,53 Reichsmark sind noch auf Eschenbachs Sparbuch, obwohl ernie etwas abgehoben hat. Die Währungsreform am 20. Juni 1948 nimmt ihm den Rest, weil er wie jeder nach dem Krieg nur 40 Reichsmark in „Deutsche Mark“ tauschen darf. „Kopfbetrag ab, Guthaben aufgebraucht“, kritzelt ein Bankbeamter in Eschenbachs Büchlein. Das Buch ist wertlos, Kolonat Eschenbach behält es trotzdem.

1955 Guthaben: 48,91 Deutsche Mark Jahre später beschließt die Regierung Adenauer ein Gesetz zur Entschädigung der Sparer, die ihr Geld wie Eschenbach durch die Währungsreform verloren haben. Insgesamt 48,61 Deutsche Mark bekommt er so vom Staat zurück, stummer Zeuge ist der Stempelabdruck „Altsparerentschädigung“. Ein blauer Kugelschreiber verewigt immerhin 30 Pfennig Zinsen in Eschenbachs Büchlein. Ein Jahr später kommt sein Enkel zur Welt, die Eltern geben ihm den Namen des Großvaters.

1972 Guthaben: 104,76 DM Kolonat Bötsch beginnt eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Volksbank Königshofen, schließlich sitzt sein Großvater bei der Bank im Aufsichtsrat. Für Kolonat Eschenbach steht fest, dass er sein Sparbuch irgendwann auf seinen Enkel überschreibt.

2001 Guthaben: 741,35 DM oder 379,05 EuroDie Sparkasse Bad Königshofen gehört jetzt zur Sparkasse Bad Neustadt, und Bötsch hat sich von der heimatlichen Volksbank zur DZ Bank in Frankfurt hochgearbeitet. Für die Genossenschaftsbank hat er die Umstellung auf den Euro organisiert. Auch das Guthaben auf dem Sparbuch hat er in Euro umrechnen lassen. „Währungs-Umstellung Faktor 1,95583“, vermerkt die Bank in sauberer Handschrift eines Mitarbeiters.

2010 Guthaben: 386,92 Euro386,92 Euro sind aus 50 Reichsmark in 106 Jahren geworden. Oder aus 454 Bier damals heute 135 halbe Maß, hat Kolonat Bötsch mal ausgerechnet. „Kein besonders guter Schnitt“, sagt er, aber eigentlich seien ja auch schon rund 410 Euro beisammen. Seit sieben Jahren war er schon nicht mehr in Königshofen bei der Sparkasse, um die Zinsen eintragen zu lassen. „Aus Platzgründen“, sagt Bötsch. Das Buch solle noch lange halten. Sämtliche Versuche der Bank, das Buch möge er doch in eine SparCard eintauschen, hat er höflich zurückgewiesen – vier Seiten sind in seinem Sparbuch noch frei.

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