720 Euro für 15 Quadratmeter Co-Living-WGs sind teuer und könnten die Wohnungsnot verschärfen

In einem sogenannten Community Raum in einem neugebauten Wohnquartier des WG-Anbieters Medici Living unter der Marke ·Quarters· stehen Stühle an einer Fensterfront. Quelle: dpa

Co-Living-Spaces bieten nicht nur WG-Charme, sondern auch einen Hauch von Hotelkomfort. Sie werden als hip und modern beworben. Doch für viele sind sie unbezahlbar. Kritiker befürchten eine Ausnutzung der Wohnungsnot.

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Die Wohnungstür öffnet sich per Smartphone, die Bewohner heißen „Members“, der Hausmeister „Community-Manager“. Hinter der Glastür des Edelstahl-Getränkekühlschranks im Gemeinschaftsraum stapelt sich das Bier für die bevorstehende Einweihung des „Community-Space“. Noch sind das schwarze Granitspülbecken, das knallgelbe Sofa und der Flachbildfernseher unbenutzt im großen Wohnzimmer des Co-Living-Quartiers von Medici Living in Berlin-Moabit. Doch in Zukunft soll es hier wöchentlich Zusammenkünfte mit Craftbeer und gemeinsamem Kochen geben. Das sei im Mietpreis inbegriffen, sagt Volker Binnenböse von Medici Living.

Der 2012 gegründete WG-Anbieter ist spezialisiert auf sogenannte Co-Living-Spaces. Das sind möblierte WG-Zimmer zum Pauschalpreis für Studenten und junge Berufstätige. Ähnlich wie in einem Hotel reicht ein Koffer für den Einzug. Unter der Marke „Quarters“ konzentriert sich Medici Living seit einigen Jahren auf moderne und neugebaute Premium-Wohngemeinschaften in exponierten Großstadtlagen mit schicken Gemeinschaftsräumen, manche sogar mit Fitnessstudio, Kino und Dachterrasse. In 13 Städten weltweit ist das Unternehmen aktiv, darunter auch deutsche Städte wie München, Stuttgart, Hamburg und Frankfurt.

2019 eröffnete das Unternehmen zwei Quartiere in den Berliner Stadtteilen Moabit und Friedrichshain. Letzteres beinhaltet sogar eine Bar und einen Coworking-Space. Auch Wettbewerber wie Happy Pigeons, Homefully und Caasa haben das lukrative Geschäft mit den möblierten Zimmern für sich entdeckt.

Gleichgesinnte junge Menschen, die neu in einer Stadt seien, könnten in Co-Living-Spaces schnell in Kontakt kommen, erklärt Björn Welter von Medici Living. Die Idee sei, dass die Hausbewohner sich nicht nur zufällig am Briefkasten begegnen, sondern von Anfang an eine Gemeinschaft bilden. Das Angebot richte sich vor allem an junge Berufstätige. Wenn die Bewohner untereinander vernetzt seien, könnten diese auch voneinander lernen, sagt Welter.

Egal, ob Reinigung der Gemeinschaftsräume, Reparaturarbeiten, Internet oder TV – der Anbieter kümmert sich um fast alles. Auf Papierkram wie Einkommensnachweise, Mietschuldenfreiheit und Schufa-Auskunft verzichtet das Unternehmen. Für eine „maximale Vereinfachung aller Formalitäten“, wie es heißt.

Doch die WGs, die Medici als zukunftsweisend anpreist, sind nicht gerade erschwinglich. 550 bis 720 Euro kosten die 10 bis 15 Quadratmeter großen Zimmer mit Schreibtisch, Bett, Kommode und Tisch im Moabiter Edelquartier. Dass die Zimmer verhältnismäßig klein sind, ist laut Welter beabsichtigt. Dadurch trage das Unternehmen sogar zu einer Entspannung des Wohnungsmarktes bei: „Das Tolle bei Co-Living ist eigentlich, dass wir den Wohnraum verdichten“, sagt er.

Den stark belasteten Berliner Wohnungsmarkt beeinflusse die Wohnform Co-Living bisher kaum, sagt eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Dennoch äußert sie Kritik: „Durchaus bedenklich“ seien die „notgedrungen akzeptierten Miethöhen für die einzelnen möblierten Zimmer und für die Mitnutzung der Gemeinschaftsräume“. Der Deutsche Mieterbund sieht in Co-Living allenfalls ein Angebot für Vermögende: „Die Mehrheit der Bevölkerung ist an einer solchen Wohnform nicht interessiert und kann sie nicht bezahlen“, sagt Sprecherin Jutta Hartmann.

Hinzu kommt: Mit der Miete allein ist es für die Bewohner des Moabiter Quartiers nicht getan. Beim Einzug fallen zusätzlich 149 Euro an - für die „Membership“, also die Mitgliedschaft im Quartier, die Vertragsausfertigung und die Übergabe des gereinigten Zimmers mit frischer Bettwäsche, heißt es. Dafür gibt es Kritik vom Mieterbund: Die Gebühr sei intransparent und deshalb rechtlich unwirksam, sagt Hartmann. Binnenböse von Medici Living erwidert, es handele sich um eine Art Mitgliedsbeitrag. „Das ist natürlich zulässig.“

Aber wie kann ein 15-Quadratmeter-Zimmer trotz Mietpreisbremse 720 Euro kosten? Ein juristisches Detail macht es möglich: Die im Mietspiegel angegebene ortsübliche Vergleichsmiete ist nämlich irrelevant, wenn die Wohnung möbliert vermietet wird. Zudem sei rechtlich nicht eindeutig geregelt, wie viel Zuschlag der Vermieter für die Ausstattung der Zimmer verlangen dürfe, sagt Hartmann vom Mieterbund. Die Service- und Anschaffungsgebühren allein seien jedenfalls keine ausreichende Erklärung für die horrenden Mieten. „So viele Services, um die aufgerufenen Preise zu rechtfertigen, können die Unternehmen gar nicht anbieten.“

Auch Kurt Jotter vom Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn sieht das Geschäft mit den Luxus-Kabuffs kritisch. „Es kann nicht angehen, dass man durch ein paar Möbel plötzlich das Vierfache aus einer Wohnung rausholen kann“, sagt er.

Medici Living sieht das naturgemäß anders. Für die Zielgruppe der jungen Berufstätigen sei der angebotene Wohnraum „erschwinglich“ und „flächeneffizient“. Dass die Wohnungen möbliert seien, sei nur ein Zufall, sagt Welter. Das eigentliche Kernprodukt sei die Gemeinschaft.

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