Architektur Bauen für die neue Vielfalt

Der Architekt Arno Brandlhuber plädiert für eine neue Leitlinie des Bauens in Zeiten fallender Grenzen: flexibler, offener, billiger. Auch für die Flüchtlinge – aber nicht nur für sie.

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Wohnen in Deutschland 2045

WirtschaftsWoche: Herr Brandlhuber, angesichts von mehr als einer Million Flüchtlingen in Deutschland ist nur noch von „Unterbringungen“ oder „Unterkünften“ die Rede, die rasend schnell entstehen. Ist es naiv, auf eine Renaissance guter Architektur zu hoffen?

Arno Brandlhuber: Gegenfrage: Haben wir das nicht selbst in der Hand? Ich fühle mich jedenfalls nicht den Weltläufen ausgeliefert. Wenn wir abends die Tagesschau anmachen oder Nachrichten lesen, können wir uns der Erkenntnis gar nicht verschließen, dass Grenzen und Barrieren verschwinden.

Zur Person

Einige versuchen natürlich noch, sie mühsam aufrechtzuerhalten; aber lassen wir doch den Gedanken zu, wie es wäre, wenn wir diese Öffnungen auf die Architektur übertragen, den Wandel offensiv bejahen könnten. Das hieße dann, auch Bauen künftig viel flexibler, durchlässiger zu denken.

Das ist ein kühner Sprung: Flüchtlinge als architektonische Chance?

Sie sagen kühn, ich sage: realistisch. Jede Form von neuer Vielfalt sollten wir begrüßen. Das mag nicht jedem gefallen, aber ich bin von ihrem Wert überzeugt. Dann können wir diese ungewohnte Heterogenität sozial, aber eben auch ökonomisch und – ja – architektonisch fruchtbar machen. Wir haben doch seit den Sechzigerjahren nicht mehr gründlich über Wohnen, Bauen und die sozialen Bedürfnisse nachgedacht, die gestillt werden wollen. Und gehandelt wurde erst recht nicht. Nun müssen wir es. Was für eine Gelegenheit!

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Der soziale Flüchtlings-Wohnbau anno 2016 sieht allerdings so aus: Container, konfiszierte Turnhallen, Traglufthallen.

Was wir da zu beobachten haben, ist eine selbst verschuldete Lösungsunfähigkeit. Es gibt bislang keine architektonische Antwort auf die Flüchtlingsströme. Allerdings wird uns hier eigentlich ein Ideenmangel an Konzepten vor Augen geführt, der viel weiter wirkt: Wenn heute neu gebaut wird, dann immer noch zuallererst um die Kernfamilie herum, also Vater, Mutter, Kinder. Das ist aber nur noch jeder fünfte Haushalt – zumindest in Berlin. Wie reagieren wir hingegen auf neue Familienverhältnisse? Auf die Bedürfnisse von Singles? Und wie auf die Wünsche, Wohnen und Arbeiten zu vereinen? Was wäre außerdem, wenn wir Wohnraum biografischen Brüchen anpassen könnten – also auch mal praktikabel untervermieten zu können, sollte es finanziell nötig sein? Diese Leerstellen müssen wir erst wieder füllen, diese Inflexibilität erst aufbrechen. Baupolitik ist heute komplett vom Fetisch des Dämmens und der Energieeffizienz eingenommen. Eine zeitgemäße Typologie des Bauens fehlt.

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