Sechs Monate lang hatten der Projektentwickler eines Ärztehauses und der Bauunternehmer verhandelt – ohne Ergebnis. Noch immer konnte der Bauvertrag für das Objekt in Dortmund mit 2500 Quadratmetern nicht unterschrieben werden. In den entscheidenden Punkten wurden sich die Parteien nicht einig. Alles kam ins Stocken. Ihnen sei schließlich die Zeit davongelaufen, erzählt Stephan Freund, Baurechtler bei der Kanzlei Heuking Kühn, der das Projekt begleitet. Der Bauunternehmer wollte weder einen fixen Preis festschreiben, noch einen Fertigstellungstermin. Schließlich konnte niemand voraussagen, wie sich die Bau- und insbesondere die Stahlpreise entwickelten.
Es ist längst nicht das einzige Immobilienprojekt in der Republik, das aus solchen Gründen nicht starten kann oder auf seine Vollendung wartet. „Die Baubranche ist vom Boom fast in den Stillstand gestürzt„, beschreibt Anwalt Freund die aktuelle Lage. Die Kreditzinsen sind gestiegen, die Energie- und Baukosten sind zu hoch. „Der Wohnungsbau ist seit dem vergangenen Sommer tot„, konstatiert Ralf Leinemann, Baurechtler von Leinemann Partner in Berlin. Immobilieninvestoren sind die Renditen derzeit zu niedrig, sie lassen jetzt die Finger von einst so beliebten Objekten wie Einkaufszentren.
Erschwerend kommt hinzu: Die Engpässe bei der Beschaffung wichtiger Baustoffe halten an. Mitunter ist die Lage im Zuge des Krieges in der Ukraine noch schwieriger geworden. Jedes zweite Bauunternehmen, so meldete kürzlich das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), leidet unter Materialmangel. „Bauunternehmer wissen nicht mal, wann und ob sie das nötige Material zu welchen Kosten bekommen“, so die Beobachtung von Freund. „Manche Materialien gibt es auf dem ganzen Weltmarkt nicht zu kaufen, auch nicht für viel Geld.“
Und so können sich Projektentwickler und Bauunternehmer immer seltener auf Fristen oder auch Preise festlegen. Kleinere Projektentwickler trauen sich gar nicht mehr, Angebote abzugeben. Manche entlassen schon Mitarbeiter. Und von einem namhaften Bauunternehmer weiß der Jurist Freund, dass er schon seit sechs Monaten keine Aufträge mehr reinbekommen habe und nur noch die halb vollen Bücher abarbeite. Der Jurist sieht die Stunde eines grundsätzlichen Umdenkens in der Branche gekommen: „Die Zeiten fester Pauschalen und fixer Fertigstellungstermine sind vorbei.“
Zur Methode
Methode: Das Handelsblatt Research Institute (HRI) fragte über 2300 Juristen aus 189 Kanzleien nach ihren renommiertesten Kollegen aus dem privaten Baurecht und dem Immobilienrecht. Nach der anschließenden Bewertung der Jury setzten sich für das private Bauerecht 24 Kanzleien mit 33 Anwälten und für das Immobilienrecht 16 Kanzleien mit 24 Juristen durch.
Die Jury: Sandra Arendt (Hochtief), Mathias Düsterdick (Gerchgroup), Edgar Stieglitz (Foris), Carlo Ottaviano (Tennet), Achim Schunder (C.H. Beck)
Nun liegt offen, was Handwerker nehmen
Es gibt allerdings ein Modell, das den Weg in die Zukunft ebnen könnte und das Freund schon bei einer Handvoll Projekte juristisch begleitet – auch im Fall des Dortmunder Ärztehauses. Das Modell trägt den sperrigen Namen „Cost plus Fee mit Open-Book-Verfahren“, folgt aber einer einfachen Logik: Der Bauunternehmer legt die Preise seiner vielen Subunternehmer vom Tiefbauer über Parkettleger bis zum Installateur oder Elektriker dem Bauherrn offen – und schlägt für sich selbst einen Obolus von 13 Prozent des Umsatzes drauf. Als Gegenleistung für die Suche und Beauftragung der Handwerker, für einige organisatorische Arbeit und vor allem dafür, dass er die Haftung für die Arbeit der Subunternehmer übernimmt. Das verschafft Sicherheit auf beiden Seiten: beim Bauherrn wie bei den Dienstleistern.
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Neu ist die Idee nicht. Als Selbstkostenerstattungsvertrag war das Modell bis zur Jahrtausendwende schon mal etabliert. „Doch die schlechte Baukonjunktur führte damals dazu, dass die Auftraggeber selbst für komplexe Großprojekte Pauschalpreisverträge abschließen konnten, die ihnen eine hohe Kostensicherheit boten“, erzählt Anwalt Leinemann. Damit sei es nun vorbei.
Reibungslos aber läuft die wiederentdeckte Praktik nicht: Manchmal wunderten sich Bauherren, wie niedrig manche Handwerkerrechnungen tatsächlich sind und wie stattlich die Gewinne der Bauunternehmer, berichtet Freund. Das Verständnis dafür, dass der Preis nicht unbedingt das wichtigste Kriterium ist, aber womöglich manch eine Marge auch nicht mehr ganz zeitgemäß, muss offenbar noch wachsen. Zu Konflikten kann es kommen, wenn der Bauunternehmer seinem Auftraggeber die Chance gibt, bei der Auswahl der Handwerker mitzureden. „Meist arbeiten Bauunternehmer immer wieder mit ihren bewährten Partnern zusammen, weil sie sich auf die verlassen können und deren Qualität kennen“, weiß Freund.
Will aber der Bauherr billigere Subunternehmer einbinden, möchte der Bauunternehmer für deren Arbeit keine Haftung übernehmen. Etwa weil er die Qualität nicht einschätzen kann und ihm Referenzen fehlen. Geht so ein Subunternehmer während der Bauzeit pleite, hat der Bauunternehmer den Schaden. Selten ist das nicht: Bei jedem Bau meldet mindestens ein Subunternehmer Insolvenz an, schätzt Anwalt Freund. Die Arbeit dann mit anderen Handwerkern zu beenden werde teurer. Und verlängert die Bauzeit.
Vertragsstrafen für unpünktliche Fertigstellung gibt es auch bei Verträgen für Projekte mit Cost-plus-Fee-Verfahren, erzählt Freund. Wird etwa die Bauzeit von 18 Monaten vereinbart, beginnt die Frist erst mit Erteilung der Baugenehmigung. In Dortmund brachte eine Einigung auf das neue Verfahren ebenfalls neuen Schwung: Der Bau des Ärztehauses läuft inzwischen auf vollen Touren. In 14 Monaten soll es öffnen.
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