Schmid-Burgk und seine Helfer haben bislang rund 14.000 Verträge geprüft. Zwischen 150 und 160 unterschiedliche Fehler habe man gefunden, sagt der Verbraucherschützer; manch ein Anwalt hat gar bis zu 400 gezählt. Für die Juristen tut sich ein lohnendes neues Geschäftsfeld auf. Rund 80 Prozent der Widerrufsbelehrungen seien fehlerhaft, resümiert Schmid-Burgk. Betroffen sind vor allem Darlehen, die zwischen Herbst 2002 und 2010 vergeben worden sind. Im Schnitt seien pro Kunde und Vertrag 15.000 bis 20.000 Euro drin, in einigen Fällen mehr. Das Potenzial ist hoch, weil die Zinsen aktuell so niedrig sind. Und bei Widerruf entfällt die Vorfälligkeitsentschädigung, mit der sich Banken sonst bei vorzeitigem Ausstieg fürstlich entschädigen lassen.
Der Schaden für die Branche könnte immens werden: In dem relevanten Zeitraum zwischen Herbst 2002 und Ende 2010 haben Banken laut Bundesbank neue Wohnungsbaukredite im Volumen von mehr als 1,4 Billionen Euro an private Haushalte vergeben. Angesichts dieser Zahlen steht den Geldhäusern der größte Ansturm vermutlich erst bevor.
Teure Fallen in der Baufinanzierung
Wenn eine Bank Top-Konditionen anbietet, stürzen sich die Kunden geradezu auf das Angebot. Vor allem Kreditvermittler leiten in einem solchen Falle die Kunden scharenweise an Banken mit Niedrigzins-Offerten weiter. Manche Banken können diesen Ansturm nicht bewältigen. In Einzelfällen können die Bearbeitungszeiten dann vier bis acht Wochen dauern. Branchenkenner berichten, dass sich einige Banken dann angesichts der hohen Antragszahl Kunden mit guten Risiken herauspicken und einen Rest pauschal ablehnen. Kunden, die schon kurz vor Baubeginn stehen oder Kaufpreiszahlung schon ansteht, sind dann gezwungen, auf die Schnelle eine andere Finanzierung zu finden oder einen höheren Zinssatz zu akzeptieren. Bei verspäteter Zahlung werden für den Käufer oder Bauherren Vertragsstrafen fällig.
Viele Banken bieten bei der Finanzierung neben dem Kredit einen Bausparvertrag an, vor allem Sparkassen und Volksbanken neigen dazu. Entweder es wird der Bausparvertrag gleich als Tilgungsersatz eingearbeitet, zur späteren Zinssicherung separat abgeschlossen oder für eine spätere Renovierung vorgesehen. Während die Vorsorge für eine Renovierungsvorsorge bis zu einem Volumen von 20.000 Euro noch akzeptabel ist, haben die anderen Varianten Nachteile. Die Finanzberatung FMH berechnete den Grenzzins, ab wann die Finanzierung mit Bausparverträgen lohnt. Erst wenn der Bankzins beim Anschlussdarlehen bei mehr als 7,5 Prozent, im Einzelfall sogar bei mehr als 11,5 Prozent liege, würde sich das Bausparmodell lohnen. Einen derartigen Zinsanstieg erwarten aber nur Pessimisten.
Fast jeder Bauherr denkt, dass sein Bankberater über seine Finanzierung entscheiden könnte. Doch heutzutage werden Kredite nicht mehr in der Filiale abgewickelt, sondern zentral bearbeitet. Wenn sich der Banker mit seiner Zusage zu weit aus dem Fenster gelehnt hat, hat der Kunde keine Verhandlungsbasis, weil sich der Berater auf die Entscheidung der Kreditabteilung rausredet und er selber keine Befugnis hat, den Kredit doch zu vergeben. Kulanz und gute Kundenbeziehungen nützen in solchen Fällen in der Regel nichts.
Ebenfalls unangenehm kann es werden, wenn der Zahlungstermin ansteht und die Kreditvergabe plötzlich mit Zinsaufschlägen versehen wird, von denen bei der Antragstellung nicht die Rede war. Aus Zeitgründen wird dann oft auf ein Angebot bei einer anderen Bank verzichtet. Unfair ist es auch, wenn die Kreditzusage an die Besparung eines Bausparvertrages gekoppelt wird. So maximiert der Banker Ertrag und Provision. Kunden sollten solche Offerten ablehnen und zu einem anderen Institut wechseln.
Viele Baugeld-Vermittler setzen ihre Kunden unter Druck und verlangen beispielsweise die Annahme eines Angebots binnen einer kurzen Frist. Andernfalls würde die Offerte wieder zurückgenommen. Ein reiner Vertriebstrick, wie etwa Max Herbst von der Finanzberatung FMH meint. Denn das Angebot des Vermittlers ist sowohl für die Bank wie auch für die Kunden immer unverbindlich. Erst wenn die Bank ihre Offerte schickt, gibt es ein konkretes Angebot. Da die Annahme des Vermittlerangebotes nicht rechtsverbindlich ist, ist auch eine Unterschrift nicht tragisch. Man sollte sich durch derartiges Vermittlerverhalten nicht abschrecken lassen und getrost weitere Angebote einholen.
Viele Hausbanken präsentieren ihren Kunden zunächst ein Angebot zu einem durchschnittlichen Zins. Der Banker ist auch gar nicht traurig, wenn sich der Bauherr bei Vermittlern und Direktbanken ein besseres Angebot einholen wird. Auf Anraten seines Beraters solle er aber vor einem Abschluss dort das Angebot ihm nochmals vorlegen, denn es sei nicht ausgeschlossen, dass er nochmals nachbessern könne. Ein solches Vorgehen zeugt nicht gerade von einer guten Geschäftsbeziehung. So handeln vor allem Banken, die ihren Kunden auch in Zukunft tendenziell immer zuerst zweitklassige Produkte anbieten. In einem solchen Fall sollten die Kunden das Institut lieber wechseln und bei einer anderen Bank nachverhandeln. Prinzipiell gilt: Kunden sollten immer das bestmögliche Angebot erwarten dürfen.
Bankenlobby macht Druck
Das Interesse wächst: Ein Kreditvermittler hat das Thema Widerruf neulich in seinem Newsletter erwähnt. Der Brief ging an 1800 Empfänger – 350 Menschen meldeten sich daraufhin bei ihm. „Das ist das erste Mal, dass neue Kunden von allein auf uns zukommen“, jubelt der Berater.
Interessieren sich mehr und mehr Eigenheimbesitzer für das Thema, könnten die Institute bald richtig bluten: Banken, sagt Anwalt Martin Lange, hätten die Kredite zu festen Zinsen und Laufzeiten refinanziert. „Das System wird gestört, wenn man massenhaft Widerrufe zulässt“, sagt der Jurist von der Kanzlei Streitbörger Speckmann, die Banken vertritt. „Das Thema hat Systemrelevanz für die Banken“, ergänzt Vladimir Stamenkovic von SH Rechtsanwälte.
Lobbyisten intervenieren daher massiv bei der Politik: Das Justizministerium bestätigt, dass „mehrere Sparkassenverbände“ ans Ministerium und „im Haus tätige Abgeordnete herangetreten“ seien. Forderung: Der Gesetzgeber solle „den Widerruf von Altverträgen aus den Jahren 2002 bis 2010 wegen etwaiger Mängel der Widerrufsbelehrungen gesetzlich ausschließen“.
Mit Niedrigzinsen zum Eigenheim
Langfristige Baukredite mit festen Zinsen für zehn bis 15 Jahre gibt es derzeit oft mit einer Verzinsung von unter drei Prozent. Allerdings haben die Preise für Immobilien besonders in Großstädten in den vergangenen Jahren deutlich angezogen.
Immobilien gelten nicht als Renditeknüller. Allerdings sind sie gerade in Krisenzeiten Verbraucherexperten zufolge eine solide Geldanlage. Der Wert einer Immobilie ist vergleichsweise sicher - vorausgesetzt, Preis, Qualität und Lage stimmen. In jedem Fall sollte ein Immobilienkauf gut überlegt sein.
Hier hilft nur ein Vergleich der verschiedenen Anbieter, wobei die Auswahl an Krediten laut Stiftung Warentest derzeit besonders groß ist. Bauherren und Käufer können dafür Vergleichsrechner im Internet nutzen. Auch Verbrauchermagazine und Zeitungen liefern häufig aktuelle Zinskonditionen. Die Hausbank kann ein wichtiger Ansprechpartner sein - ist jedoch nicht immer zwingend die erste Wahl. Ein Anbietervergleich kann teils mehrere zehntausend Euro sparen.
Kredite für Häuser oder Wohnungen laufen meist über zehn, 20 oder 30 Jahre. Hierbei werden die Zinsen in aller Regel nur für einen begrenzten Zeitraum von mehreren Jahren festgelegt. Läuft diese sogenannte Zinsbindungsfrist ab, verhandeln Bank und Kunde die Verlängerung des Darlehens. Der Bauherr kann dann auch umschulden und zu einem günstigeren Anbieter wechseln. Verbraucher sollten mehrere Monate vor Auslaufen der Frist neue Angebote einholen. Wegen der historisch niedrigen Zinsen gibt es derzeit auch besonders günstige Anschlusskredite.
An sich werden feste monatliche Raten vereinbart. Baukredite geben oft aber auch das Recht auf Sondertilgung, das heißt die Rückzahlung von Geld zusätzlich zu den vereinbarten Raten. Auch kann ausgehandelt werden, dass der Bauherr die Raten anpassen kann, etwa wenn sich das Einkommen verändert.
Finanzexperten sehen ein Eigenkapital von 20 bis 30 Prozent des Immobilienpreises als eine solide Basis an. Für ihre angebotenen Top-Zinsen wollen die Banken häufig allerdings 40 Prozent Eigenkapital sehen. Teils sind Banken auch bereit, den vollen Kaufpreis zu finanzieren. Dafür verlangen sie aber oft happige Risikoaufschläge beim Zins.
Bei der staatlichen Förderbank KfW gibt es Darlehen etwa für den Kauf selbstgenutzten Wohneigentums, energieeffizientes Bauen und Sanieren oder auch für altersgerechtes Wohnen. Daneben zahlt der Staat die Wohnungsbauprämie von 8,8 Prozent beim Bausparen. Auch gibt es in Form des sogenannten Wohn-Riesterns staatliche Unterstützung für den Kauf selbstgenutzter Immobilien zur Altersvorsorge.
Risiken wie diese können mit Versicherungen ganz oder zumindest teilweise abgedeckt werden. So gibt es Versicherungen gegen Berufsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Lebensversicherungen oder Restschuld-Versicherungen. Verbraucher sollten sich vor Abschluss einer Police und eines Baudarlehens gut über einen Versicherungsschutz beraten lassen. Die Stiftung Warentest rät zu Versicherungen für den Todesfall.
Doch das Ministerium winkt ab: „Eine gesetzliche Begrenzung der alten Widerrufsrechte würde erheblich in bestehende Verbraucherrechte eingreifen“, heißt es. Schließlich sei es Sache der Banken gewesen, „rechtlich einwandfrei über das Widerrufsrecht zu belehren“. Das hätten sie problemlos schaffen können: Der Bund veröffentlichte ab 2002 Muster-Widerrufsbelehrungen. Banken, die das Muster eins zu eins übernommen haben, sind heute geschützt. Ihre Kunden können nicht widerrufen.
Gerichte haben Widerrufern immer wieder Recht gegeben
Allein: Viele Bankjustiziare dokterten am Muster des Bundes herum, verschlimmbesserten es. Sie haben nun meist Pech. Wer vom Muster abgewichen sei, habe „auf eigene Gefahr gehandelt und ist damit nicht schutzwürdig“, so das Ministerium. Sonst würden mit „der geforderten gesetzlichen Regelung“ auch Banken „privilegiert“, die „bewusst von dem Muster abgewichen sind“ und den Verbraucher „irreführend oder unrichtig informiert“ hätten. Richter sollten daher „im Einzelfall entscheiden“.
Das Recht ist auf der Seite der Verbraucher: In den letzten Jahren hat mit dem Bundesgerichtshof (BGH) das oberste deutsche Gericht vielfach zugunsten von Kunden entschieden. Doch klein beigeben wollen die Geldhäuser deswegen noch lange nicht. Mitunter wissen sie selbst nicht so sicher, was nun rechtens ist. Rechtsanwalt Alexander Heinrich von der Kanzlei Tilp etwa berichtet, „dass die ING Diba bei identischen Widerrufsbelehrungen einmal ein Vergleichsangebot abgab und einmal nicht“. Kunden sollten sich daher nicht abschrecken lassen, wenn die Bank auf das Widerrufsbegehren einen bösen Brief schickt oder an die Solidarität des Kunden appelliert. Das Geld gibt es nicht auf dem Silbertablett, auf Ärger müssen sich Widerrufer einstellen: „Die Banken werden garstiger und wollen sich nun nicht mehr einigen“, hat Schmid-Burgk in den letzten Wochen beobachtet.