BGH-Urteil zu Corona-Betriebsschließung Mietern steht kein pauschaler Nachlass zu

Viele gewerbliche Mieter wie beispielsweise ein Friseur in Stuttgart mussten ihre Geschäfte coronabedingt schließen.  Quelle: dpa

Mieter, die wegen Corona ihr Geschäft schließen mussten, dürfen die Miete nicht pauschal halbieren, urteilte der Bundesgerichtshof. Entscheidend sei der Einzelfall. Welche Folgen das für Vermieter hat.

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Auf Vermieter und gewerbliche Mieter kommen schwierige Verhandlungen zu. Denn der Bundesgerichtshof entschied, dass die Höhe der Mietminderung bei coronabedingter Schließung vom Einzelfall abhängt (BGH, XII ZR 8/21). Die Miete pauschal um 50 Prozent zu mindern, wie es die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Dresden forderte, sei nicht angemessen. Viel mehr sei zu berücksichtigen, wie hoch die Umsatzeinbußen waren, wie viel Geld die Mieter vom Staat erhielten und was sie gegen wegbrechende Einnahmen getan haben, so der BGH.

Geklagt hatte der Textileinzelhändler Kik. Zwischen dem 19. März und dem 19. April 2020 musste die betreffende Filiale in Sachsen wegen der Covid-19-Pandemie schließen. Angeordnet hatte dies die sächsische Landesregierung. Kik hatte für den Monat April keine Miete gezahlt. Der Vermieter wollte das nicht akzeptieren und verklagte den Textildiscounter. Laut Oberlandesgericht Dresden hätte Kik für den April die halbe Miete nachzahlen müssen. Nach dem BGH-Urteil muss das OLG prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Betriebsschließung auf den Mieter Kik hatte. 

Der BGH wertet die coronabedingte Schließung grundsätzlich als Störung der Geschäftsgrundlage. Aufgrund dieser Störung darf ein gewerblicher Mieter unter bestimmten Bedingungen die Miete mindern. Das BGH-Urteil trifft nicht nur Großvermieter wie Immobilienfonds, sondern auch kleinere private Vermieter. Oft vermieten sie ein oder zwei Ladenlokale im Erdgeschoss eines Miethauses. Der Rest sind dann meist Wohnungen. Mieteinnahmen sind für diese Vermieter häufig Teil der Altersvorsorge. Fallen sie weg, wirkt sich das direkt auf ihre Haushaltskasse aus. Insofern sind sie daran interessiert, zumindest einen Teil der Mieteinnahmen zu retten.  

Die WirtschaftsWoche sprach mit der Rechtsanwältin Gabriela Böhm von der Kanzlei Leinemann & Partner in Frankfurt über die Folgen des BGH-Urteils für private Vermieter.

Gabriela Böhm ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei Leinemann & Partner.

WirtschaftsWoche: Frau Böhm, was bedeutet das Urteil für Vermieter und Mieter, die bereits einen Vergleich wegen der vorübergehenden coronabedingten Betriebsschließung vereinbart haben?
Gabriela Böhm: Sie können sich durch das Urteil bestätigt fühlen. Nach klarer Ansage des BGH kann nämlich das mit der COVID-19-Pandemie verbundene Risiko regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden. Auf Grundlage des Urteils des BGH können Vermieter und Mieter eine Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage individuell aushandeln. Ist ein Vergleich bereits vereinbart, müssen sich Parteien auch daran halten. Nachbessern wegen des BGH-Urteils ist nicht möglich.

Was gilt, wenn ein Vergleich zwischen Mieter und Vermieter noch aussteht?
In der Regel wird die Miete nicht auf Null fallen. Der Mieter wird seine Umsatzeinbußen genauso wie die vom Staat erhaltenen Finanzhilfen offenlegen müssen. Gleiches gilt für Zahlungen aus Versicherungen. Nach dem BGH-Urteil wird zudem gegebenenfalls zu berücksichtigen sein, was der Mieter zur Kompensation seiner Umsatzeinbußen hätte unternehmen können, jedoch nicht getan hat.  

Können Sie das näher erklären?
Viele Einzelhändler haben beispielsweise den Online-Vertrieb ausgebaut, um die Umsatzeinbußen im stationären Handel zu kompensieren. Gastronomen haben auf Abhol- oder Lieferservice umgestellt. Auch diese Einnahmen gehen in die Vergleichsverhandlungen ein. 

Können Mieter, die keinen Online-Handel betrieben haben, obwohl sie es hätten tun können, ihre Miete weniger stark mindern?
So pauschal lässt sich das nicht sagen. Juristisch betrachtet, muss der Mieter nachweisen, dass er alles kaufmännisch Sinnvolle getan hat, um Umsatzeinbußen zu vermeiden. War er beispielsweise beim Online-Handel wenig erfolgreich, darf ihm das bei einem Vergleich nicht negativ ausgelegt werden.  

Was ist mit Mietern, die trotz vorübergehender Geschäftsschließung die volle Miete gezahlt haben?
Sie können einen Teil der Miete zurückverlangen. Wie viel, das hängt dann wieder vom Einzelfall ab. Die genauen Konditionen können Mieter und Vermieter individuell aushandeln. 

Mehr zum Thema: So wehren Vermieter sich gegen neue Zumutungen des Staates

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