Berlin zeigt dem Kapitalismus den Mittelfinger. An diesem Sonntag stimmen die Hauptstadtbewohner darüber ab, ob große Wohnungskonzerne wie die Deutsche Wohnen enteignet werden sollen. Es wäre in der Geschichte der Bundesrepublik bislang einzigartig, wenn der Volksentscheid tatsächlich durchgeht - auch wenn die Politik nicht gezwungen ist, dieses Votum dann wirklich umzusetzen.
Was klingt wie eine Szene aus düsteren DDR-Zeiten, findet im Berlin des 21. Jahrhunderts breite Zustimmung. In dem rot-rot-grün regierten Land sind die Bürger mittlerweile zu fast allem bereit, um den Mietenwahnsinn zu beenden. Klar, Wohnen in Berlin ist zu teuer. Selbst Gutverdiener müssen große Teile ihres Einkommens aufbringen, um nicht in einem heruntergekommenen Wohnklo absteigen zu müssen.
Doch die Aushebelung unserer marktwirtschaftlichen Grundordnung wird die Wohnungsnot nicht beseitigen. Da können die Genossen noch so oft Parolen wie „Keine Rendite mit der Miete“ brüllen oder gar Konzernautos der Deutsche Wohnen in Brand stecken. Wenn es nach der Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ geht, sollen Konzerne mit mehr als 3000 Wohnungen vergesellschaftet werden. Das würde den Berliner Immobilienmarkt komplett umkrempeln. Und vor allem: Investoren abschrecken.
Welcher Investor würde denn noch auf die Idee kommen, in Berlin zu bauen, sollte die Enteignung tatsächlich umgesetzt werden? Die Enteignung von Immobilienunternehmen ließe keine einzige neue Wohnung entstehen, schlimmer noch: Sie vernichtet sämtliche Anreize an Investoren, überhaupt dort aktiv zu werden. Gerade wenn die Bürgerinitiative mit ihrem Vorschlag durchkommt, den Mietpreis pro Quadratmeter auf 4,04 Euro festzusetzen.
Sozialromantische Vision
Ziel der Initiative ist es, die Wohnungen einer Anstalt öffentlichen Rechts – bestehend aus Mietern und der Stadt – zu übertragen. Doch diese sozialromantische Vision dürfte an der Realität scheitern. Es bestehen doch große Zweifel, ob kommunale Institutionen, die schon unter der Vergabe von Online-Terminen im Bürgeramt kollabieren, tatsächlich die Verwaltung hunderttausender Wohnungen stemmen können.
Außerdem: Die jüngere Geschichte hat gezeigt, dass sozialistische Umtriebe die angespannte Situation am Berliner Wohnungsmarkt nicht lösen. Beispiel Mietendeckel: Bis das Bundesverfassungsgericht die Maßnahme gekippt hatte, profitierten zwar Bestandsmieter von niedrigeren Mieten. Dafür verschlimmerte der Mietendeckel die Situation für all jene, die gerade auf Wohnungssuche waren. Weil die Vermietung von Wohnungen unattraktiv wurde, verkauften viele Eigentümer ihre Immobilien.
Auch die Enteignung wäre nicht mehr als ein populistisches Placebo, ein Hilferuf einer wütenden Bevölkerung, die sich das Leben in der eigenen Stadt nicht mehr leisten kann. Probleme würde die Vergesellschaftung nicht lösen. Statt die Wohnungskonzerne, die sich sicher auch Kritik wegen der Wohnbedingungen in manchen Anlagen gefallen lassen müssen, zu gängeln, sollten die Bürger ihren Unmut vor allem gegen die Politik richten.
Denn sie hat über Jahre die Wohnungsnot verschlafen. Noch immer werden zu wenig neue Wohnungen gebaut, die Zahl der Sozialwohnungen geht zurück und die Verwaltungen trödeln bei Baugenehmigungen. Zur Bundestagswahl geloben die Parteien natürlich wieder, jetzt aufs Gaspedal zu drücken. Und neben dem üblichen Phrasengedresche liebäugelt die Politik damit, die Wohnwirtschaft weiter zu regulieren. So wird es sicher nichts mit dem bezahlbarem Wohnen.
Mehr zum Thema: Am 26. September stimmen die Berliner über die milliardenschwere Enteignung von Wohnkonzernen ab. Doch mit der Verwaltung der 380 000 Objekte wäre der Staat völlig überfordert.